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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Acme, Goethe und der Monismus

zwischen den Goethischen Überzeugungen und denen Haeckels recht deutlich in
die Augen!

Aber auch der Grundtendenz der ttltrndnrnnnistischen Weltanschauung in
spezifisch Haeckelscher Fassung von dem Leben als einem lediglich physikalisch-
chemischen Prozesse und von der Natur als einer mechanischen Entwicklung
ohne Zweck würde ein Mann Wohl kaum seine Zustimmung gegeben haben,
der (am 2. April 1782) den emphatischen Ausspruch that: "Es freut mich,
daß ich gegen Unbequemlichkeiten völlig gleichgiltig bin, sobald es sein muß
und das Unternehmen einen Zweck hat: das Zwecklose macht mich rasend, und
ich hab ihm eine ewige Feindschaft geschworen." Das Zwecklose also konnte
Goethe nicht ertragen: wie Hütte er also eine Naturauffassung zu der seinigen
machen können, die die Zwecklosigkeit des Natnrverlnufs und das bloß zu¬
fällige Entsteh" aller Naturformen und Lebensvvrgünge zum Prinzip erhebt.

Aus dem bisher gesagten ist schon setzt klar, daß zwischen der Goethischen
und der Kantischen Weltanschauung nicht allein kein Widerstreit bestehn kaun,
sondern daß sich vielmehr eine große Übereinstimmung beider ergeben muß.
In der That erkennt man bei unserm Hinblick deutlich diese Kongruenz, die
in den eignen Äußerungen Goethes ihre volle Bestätigung findet. Auf die
Frage Eckermanns (11. April 1827), ob Goethe zu Kant in einem persön¬
lichen Verhältnis gestanden habe, erwidert er: "Nein, Kant hat nie von mir
Notiz genommen, wiewohl ich aus eigner Natur einen ähnlichen Weg ging.
Meine "Metamorphose der Pflanzen" habe ich geschrieben, ehe ich etwas von
Kant wußte, und doch ist sie ganz im Sinne seiner Lehre. Die Unterschei¬
dung des Subjekts vom Objekt und ferner die Ansicht, daß jedes Geschöpf
um seiner selbst willen existiert, und nicht etwa der Korkbaum gewachsen ist,
damit wir unsre Flaschen pfropfen können: dieses hat Kant mit mir gemein,
und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen." Man begreift deshalb die Be-
wundrung, die Goethe Kant gezollt hat, und die hohe Meinung, die er von
seiner Philosophie hatte. "Kant ist der vorzüglichste (der neuern Philosophen),
ohne allen Zweifel, sagt er in demselben Gespräch zu Eckermann, er ist anch
derjenige, dessen Lehre sich fortwirkend erwiesen hat, und die in unsre deutsche
Kultur am tiefsten eingedrungen ist. Er hat auch auf Sie gewirkt, ohne daß
Sie ihn gelesen haben!"

Goethe schätzte von den philosophischen Werken Kants am höchsten die
"Kritik der Urteilskraft," weil sie seinem Geschmack und der Richtung seines
Geistes am meisten entsprach. "Die "Kritik der reinen Vernunft", äußert er,
lag völlig außerhalb meines Kreises." Aber er ist sich ihrer unermeßlichen
Bedeutung wohl bewußt. "Kant hat unstreitig am meisten genützt, sagt er
zu Eckermann (1. September 1829), indem er die Grenzen zog, wie weit der
menschliche Geist zu dringen fähig ist, und daß er die unauflöslichen Probleme
liegen ließ." "Er mochte freilich bemerkt haben, sagt Goethe an einer andern
Stelle, wie anmaßend und naseweis der Mensch verfährt, wenn er behaglich,
mit wenig Erfahrungen ausgerüstet, sogleich unbesonnen abspricht und voreilig


Acme, Goethe und der Monismus

zwischen den Goethischen Überzeugungen und denen Haeckels recht deutlich in
die Augen!

Aber auch der Grundtendenz der ttltrndnrnnnistischen Weltanschauung in
spezifisch Haeckelscher Fassung von dem Leben als einem lediglich physikalisch-
chemischen Prozesse und von der Natur als einer mechanischen Entwicklung
ohne Zweck würde ein Mann Wohl kaum seine Zustimmung gegeben haben,
der (am 2. April 1782) den emphatischen Ausspruch that: „Es freut mich,
daß ich gegen Unbequemlichkeiten völlig gleichgiltig bin, sobald es sein muß
und das Unternehmen einen Zweck hat: das Zwecklose macht mich rasend, und
ich hab ihm eine ewige Feindschaft geschworen." Das Zwecklose also konnte
Goethe nicht ertragen: wie Hütte er also eine Naturauffassung zu der seinigen
machen können, die die Zwecklosigkeit des Natnrverlnufs und das bloß zu¬
fällige Entsteh» aller Naturformen und Lebensvvrgünge zum Prinzip erhebt.

Aus dem bisher gesagten ist schon setzt klar, daß zwischen der Goethischen
und der Kantischen Weltanschauung nicht allein kein Widerstreit bestehn kaun,
sondern daß sich vielmehr eine große Übereinstimmung beider ergeben muß.
In der That erkennt man bei unserm Hinblick deutlich diese Kongruenz, die
in den eignen Äußerungen Goethes ihre volle Bestätigung findet. Auf die
Frage Eckermanns (11. April 1827), ob Goethe zu Kant in einem persön¬
lichen Verhältnis gestanden habe, erwidert er: „Nein, Kant hat nie von mir
Notiz genommen, wiewohl ich aus eigner Natur einen ähnlichen Weg ging.
Meine »Metamorphose der Pflanzen« habe ich geschrieben, ehe ich etwas von
Kant wußte, und doch ist sie ganz im Sinne seiner Lehre. Die Unterschei¬
dung des Subjekts vom Objekt und ferner die Ansicht, daß jedes Geschöpf
um seiner selbst willen existiert, und nicht etwa der Korkbaum gewachsen ist,
damit wir unsre Flaschen pfropfen können: dieses hat Kant mit mir gemein,
und ich freute mich, ihm hierin zu begegnen." Man begreift deshalb die Be-
wundrung, die Goethe Kant gezollt hat, und die hohe Meinung, die er von
seiner Philosophie hatte. „Kant ist der vorzüglichste (der neuern Philosophen),
ohne allen Zweifel, sagt er in demselben Gespräch zu Eckermann, er ist anch
derjenige, dessen Lehre sich fortwirkend erwiesen hat, und die in unsre deutsche
Kultur am tiefsten eingedrungen ist. Er hat auch auf Sie gewirkt, ohne daß
Sie ihn gelesen haben!"

Goethe schätzte von den philosophischen Werken Kants am höchsten die
„Kritik der Urteilskraft," weil sie seinem Geschmack und der Richtung seines
Geistes am meisten entsprach. „Die »Kritik der reinen Vernunft«, äußert er,
lag völlig außerhalb meines Kreises." Aber er ist sich ihrer unermeßlichen
Bedeutung wohl bewußt. „Kant hat unstreitig am meisten genützt, sagt er
zu Eckermann (1. September 1829), indem er die Grenzen zog, wie weit der
menschliche Geist zu dringen fähig ist, und daß er die unauflöslichen Probleme
liegen ließ." „Er mochte freilich bemerkt haben, sagt Goethe an einer andern
Stelle, wie anmaßend und naseweis der Mensch verfährt, wenn er behaglich,
mit wenig Erfahrungen ausgerüstet, sogleich unbesonnen abspricht und voreilig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/470>, abgerufen am 21.06.2024.