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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aare, Goethe und der Monismus

soll. Mit diesem Modell und dein Schlüssel dazu kann nur alsdann noch
Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, d. h. die, wenn
sie mich nicht existiere", doch existieren könnten, ..." "Es war mir auf¬
gegangen, schreibt er später, daß in dem Blatte der wahre Proteus verborgen
liegt, der sich in allen Gestaltungen versteckt und offenbart. Vorwärts und
rückwärts ist die Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keim so un¬
zertrennlich vereint, daß man eins ohne das andre nicht denken darf,"

Freilich ist die Urpflanze, wie sie Goethe in der üppigen Vegetation
Palermos aufzufinden hoffte, eine bloße Idee, und das Grundelement der
Pflanzen nicht das Blatt, sondern die Zelle: dennoch war sein Genius auf
der rechten Spur, und sein Gedanke in morphologischer Hinsicht zutreffend, da
auch beim tierischen Organismus das Blatt als Keimblatt die embryonale
Grundform ist, ans der sich alle später" entwickeln. Auch erkannte er richtig,
daß nur das Gesetz der Entstehung aller Arten aus einer gemeinsamen Ur¬
form auf alles Lebendige anwenden könne. Aus dem schlesischen Lager schreibt
Goethe im August 1789: "In all dem Gewühle hab ich angefangen, meine
Abhandlung über die Bildung der Tiere zu schreiben," In ihr versuchte er die
divergeute Evolution aller tierischen Arten von einem gemeinsamen Prototyp
abzuleiten. "Dies also hätten wir gewonnen, ruft er triumphierend aus, un-
gescheut behaupten zu dürfen: daß alle vollkommneren organischen Naturen
-- worunter Nur Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere und an der Spitze der
letztern den Menschen sehen -- nach einem Urbilde geformt seien!"

Aber ans dieser Übereinstimmung der Goethischen Naturauffassung mit
der modernen monistischen, die dahin geht: "daß wir alle unsers Daseins
Kreise nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen vollenden müssen," und daß es
"das ewig Eine ist, sich gestaltend, umgestaltend, immer wechselnd fest sich
haltend, was sich vielfach offenbart"; daß die verschiednen Organismen sich
aus einer Urform durch Metamorphose entwickelt haben und alle Tierarten,
mit Einschluß des Meuscheu, gemeinschaftlichen Ursprungs sind -- aus allem
dem darf noch nicht geschlossen werden, daß Goethe auch die Konsequenzen,
die Haeckel daraus gezogen hat, acceptieren würde!

Den" Goethe war von einem tiefen Gottesglauben erfüllt. "Widersacher
haben ihn oft beschuldigt, sagt Eckermann, er habe keinen Glaube", Er hatte
aber bloß deu ihrigen nicht, weil er ihm zu klein war. Wollte er den seinigen
aussprechen, so würden sie erstaunen, aber sie würden nicht fähig sein, ihn zu
fassen. Goethe selbst aber ist weit entfernt zu glauben, daß er das höchste
Wesen erkenne, wie es ist. Alle seine schriftlichen und mündlichen Äußerungen
gehn darauf hin, daß es ein Unerforschliches sei, wovon der Mensch nur an-
nähernde Spuren und Ahnungen habe," (Ausg. Moldenhaner, Band II.)
Goethes Auffassung des Göttlichen deckt sich also vollkommen mit der Kantischen.
Auch in dem Kampfe Haeckels gegen das Christentum steht Goethe nicht aus
der Haeckelschen Seite: "Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten,
sagt er im März 1832 zu Eckermnnn, mögen die Naturwissenschaften in immer


Aare, Goethe und der Monismus

soll. Mit diesem Modell und dein Schlüssel dazu kann nur alsdann noch
Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, d. h. die, wenn
sie mich nicht existiere», doch existieren könnten, ..." „Es war mir auf¬
gegangen, schreibt er später, daß in dem Blatte der wahre Proteus verborgen
liegt, der sich in allen Gestaltungen versteckt und offenbart. Vorwärts und
rückwärts ist die Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keim so un¬
zertrennlich vereint, daß man eins ohne das andre nicht denken darf,"

Freilich ist die Urpflanze, wie sie Goethe in der üppigen Vegetation
Palermos aufzufinden hoffte, eine bloße Idee, und das Grundelement der
Pflanzen nicht das Blatt, sondern die Zelle: dennoch war sein Genius auf
der rechten Spur, und sein Gedanke in morphologischer Hinsicht zutreffend, da
auch beim tierischen Organismus das Blatt als Keimblatt die embryonale
Grundform ist, ans der sich alle später» entwickeln. Auch erkannte er richtig,
daß nur das Gesetz der Entstehung aller Arten aus einer gemeinsamen Ur¬
form auf alles Lebendige anwenden könne. Aus dem schlesischen Lager schreibt
Goethe im August 1789: „In all dem Gewühle hab ich angefangen, meine
Abhandlung über die Bildung der Tiere zu schreiben," In ihr versuchte er die
divergeute Evolution aller tierischen Arten von einem gemeinsamen Prototyp
abzuleiten. „Dies also hätten wir gewonnen, ruft er triumphierend aus, un-
gescheut behaupten zu dürfen: daß alle vollkommneren organischen Naturen
— worunter Nur Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere und an der Spitze der
letztern den Menschen sehen — nach einem Urbilde geformt seien!"

Aber ans dieser Übereinstimmung der Goethischen Naturauffassung mit
der modernen monistischen, die dahin geht: „daß wir alle unsers Daseins
Kreise nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen vollenden müssen," und daß es
„das ewig Eine ist, sich gestaltend, umgestaltend, immer wechselnd fest sich
haltend, was sich vielfach offenbart"; daß die verschiednen Organismen sich
aus einer Urform durch Metamorphose entwickelt haben und alle Tierarten,
mit Einschluß des Meuscheu, gemeinschaftlichen Ursprungs sind — aus allem
dem darf noch nicht geschlossen werden, daß Goethe auch die Konsequenzen,
die Haeckel daraus gezogen hat, acceptieren würde!

Den» Goethe war von einem tiefen Gottesglauben erfüllt. „Widersacher
haben ihn oft beschuldigt, sagt Eckermann, er habe keinen Glaube», Er hatte
aber bloß deu ihrigen nicht, weil er ihm zu klein war. Wollte er den seinigen
aussprechen, so würden sie erstaunen, aber sie würden nicht fähig sein, ihn zu
fassen. Goethe selbst aber ist weit entfernt zu glauben, daß er das höchste
Wesen erkenne, wie es ist. Alle seine schriftlichen und mündlichen Äußerungen
gehn darauf hin, daß es ein Unerforschliches sei, wovon der Mensch nur an-
nähernde Spuren und Ahnungen habe," (Ausg. Moldenhaner, Band II.)
Goethes Auffassung des Göttlichen deckt sich also vollkommen mit der Kantischen.
Auch in dem Kampfe Haeckels gegen das Christentum steht Goethe nicht aus
der Haeckelschen Seite: „Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten,
sagt er im März 1832 zu Eckermnnn, mögen die Naturwissenschaften in immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/468>, abgerufen am 21.06.2024.