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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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llaich Goethe und der Monismus

"In meinen Spekulationen bin ich glücklich, ich hoffe den Ariadnefaden bald
zu besitzen, mit dem man sich aus diesen nuscheinenden Verworrenheiten heraus¬
finden kann!" Mit Loder trieb er Osteologie, unternahm in den Jlmenauer
Bergwerken geologische und mineralogische Touren, die ihn zu einer neuen
Theorie der Gebirgsformation führte", beschäftigte sich mit Professor Büttner
und Professor Barsch mit Botanik und krhstallographischen Arbeiten und be¬
gann mikroskopische Studien über Infusionstierchen und Sameneutwicklnng.
Bei seinen osteologischen Untersuchungen hatte Goethe aus der Idee der Über¬
einstimmung des menschlichen mit dem tierischen Skelett schon lange die Ver¬
mutung gehegt, daß mau mit Unrecht dem Menschen den Zwischenkieferknochen
abgesprochen habe. Am 27. März 1784 schreibt er freudig a" Herder: "Ich
habe gefunden -- weder Gold noch Silber, aber was mir unsäglich mehr
Freude macht, das os wwrrrmxilw'v des Menschen! Ich verglich mit Loder
Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur, und siehe, da ist es! ... Der
Mensch ist auf das nächste mit dem Tier verwandt. . . . Und so ist jede
Kreatur nur ein Ton, eine Schattierung einer großen Harmonie, die man im
großen und ganzen studieren muß, sonst ist jedes einzelne ein toter Buchstabe."
Sechs Jahre später entdeckte Goethe die Entstehung des Schädels ans Wirbel¬
teilen an einem zufällig ans einem Spaziergange in Venedig aufgefundnen
Schafschädel!

Nicht minder glücklich war er in seinen botanischen Meditationen. Am
1V- Juli 1786 schreibt er hierüber an Frau von Stein: "Das ungeheure
Pflanzenreich simplifiziert sich mir in der Seele, daß ich bald die schwerste
Aufgabe gleich weglesen kann. . . . Und es ist kein Traum, keine Phantasie:
es ist ein Gewahrwerden der Form, mit der die Natur gleichsam mir immer
spielt und spielend das mannigfache Leben hervorbringt!" Diese wesentliche
Form, durch deren Entfaltung und Verwandlung die unendliche Mannigfaltig¬
keit der vegetabilischen Formenwelt entsteht, und in der Goethe das Grund¬
organ der Nrpflanze sieht, ist ihm das Blatt. In der That, schon um
17- April 1787 schreibt er ans Palermo um Herd. ,.................^^^SFH^^^V^^Zr^^Gespenst, das mir dieser Tage "achgesthluh u ^ ^ ^ ""dsonst uur hinter Glasfenstern zu ^"^^7.^ neuen und erneutenfrisch unter freiem Himmel. Im Angesicht so ^ ^ ScharGebilds siel mir die alte Grille wieder em, o o ^. am 8. Juni 1787die Nrpflanze entdecken könnte?" Und ans ^om ) ^an Fran von Stein: "Sage Herdern. daß up °^ ^ ^ Einfachste es.erzeugung und Organisation ganz nahe on, ' ^ Hauptpunkt, wowas nur gedacht werden kann. - - - Sage chuuday ) ^ ^der Keim'steckt, ganz klar und zweifellos ^" . wird das wnnder-nbrige auch schon im ganzen übersehe. . . Dn u p ^liebste Geschöpf von der Welt, um welche, much


llaich Goethe und der Monismus

„In meinen Spekulationen bin ich glücklich, ich hoffe den Ariadnefaden bald
zu besitzen, mit dem man sich aus diesen nuscheinenden Verworrenheiten heraus¬
finden kann!" Mit Loder trieb er Osteologie, unternahm in den Jlmenauer
Bergwerken geologische und mineralogische Touren, die ihn zu einer neuen
Theorie der Gebirgsformation führte», beschäftigte sich mit Professor Büttner
und Professor Barsch mit Botanik und krhstallographischen Arbeiten und be¬
gann mikroskopische Studien über Infusionstierchen und Sameneutwicklnng.
Bei seinen osteologischen Untersuchungen hatte Goethe aus der Idee der Über¬
einstimmung des menschlichen mit dem tierischen Skelett schon lange die Ver¬
mutung gehegt, daß mau mit Unrecht dem Menschen den Zwischenkieferknochen
abgesprochen habe. Am 27. März 1784 schreibt er freudig a» Herder: „Ich
habe gefunden — weder Gold noch Silber, aber was mir unsäglich mehr
Freude macht, das os wwrrrmxilw'v des Menschen! Ich verglich mit Loder
Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur, und siehe, da ist es! ... Der
Mensch ist auf das nächste mit dem Tier verwandt. . . . Und so ist jede
Kreatur nur ein Ton, eine Schattierung einer großen Harmonie, die man im
großen und ganzen studieren muß, sonst ist jedes einzelne ein toter Buchstabe."
Sechs Jahre später entdeckte Goethe die Entstehung des Schädels ans Wirbel¬
teilen an einem zufällig ans einem Spaziergange in Venedig aufgefundnen
Schafschädel!

Nicht minder glücklich war er in seinen botanischen Meditationen. Am
1V- Juli 1786 schreibt er hierüber an Frau von Stein: „Das ungeheure
Pflanzenreich simplifiziert sich mir in der Seele, daß ich bald die schwerste
Aufgabe gleich weglesen kann. . . . Und es ist kein Traum, keine Phantasie:
es ist ein Gewahrwerden der Form, mit der die Natur gleichsam mir immer
spielt und spielend das mannigfache Leben hervorbringt!" Diese wesentliche
Form, durch deren Entfaltung und Verwandlung die unendliche Mannigfaltig¬
keit der vegetabilischen Formenwelt entsteht, und in der Goethe das Grund¬
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17- April 1787 schreibt er ans Palermo um Herd. ,.................^^^SFH^^^V^^Zr^^Gespenst, das mir dieser Tage "achgesthluh u ^ ^ ^ „„dsonst uur hinter Glasfenstern zu ^"^^7.^ neuen und erneutenfrisch unter freiem Himmel. Im Angesicht so ^ ^ ScharGebilds siel mir die alte Grille wieder em, o o ^. am 8. Juni 1787die Nrpflanze entdecken könnte?" Und ans ^om ) ^an Fran von Stein: „Sage Herdern. daß up °^ ^ ^ Einfachste es.erzeugung und Organisation ganz nahe on, ' ^ Hauptpunkt, wowas nur gedacht werden kann. - - - Sage chuuday ) ^ ^der Keim'steckt, ganz klar und zweifellos ^« . wird das wnnder-nbrige auch schon im ganzen übersehe. . . Dn u p ^liebste Geschöpf von der Welt, um welche, much


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[0467] llaich Goethe und der Monismus „In meinen Spekulationen bin ich glücklich, ich hoffe den Ariadnefaden bald zu besitzen, mit dem man sich aus diesen nuscheinenden Verworrenheiten heraus¬ finden kann!" Mit Loder trieb er Osteologie, unternahm in den Jlmenauer Bergwerken geologische und mineralogische Touren, die ihn zu einer neuen Theorie der Gebirgsformation führte», beschäftigte sich mit Professor Büttner und Professor Barsch mit Botanik und krhstallographischen Arbeiten und be¬ gann mikroskopische Studien über Infusionstierchen und Sameneutwicklnng. Bei seinen osteologischen Untersuchungen hatte Goethe aus der Idee der Über¬ einstimmung des menschlichen mit dem tierischen Skelett schon lange die Ver¬ mutung gehegt, daß mau mit Unrecht dem Menschen den Zwischenkieferknochen abgesprochen habe. Am 27. März 1784 schreibt er freudig a» Herder: „Ich habe gefunden — weder Gold noch Silber, aber was mir unsäglich mehr Freude macht, das os wwrrrmxilw'v des Menschen! Ich verglich mit Loder Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur, und siehe, da ist es! ... Der Mensch ist auf das nächste mit dem Tier verwandt. . . . Und so ist jede Kreatur nur ein Ton, eine Schattierung einer großen Harmonie, die man im großen und ganzen studieren muß, sonst ist jedes einzelne ein toter Buchstabe." Sechs Jahre später entdeckte Goethe die Entstehung des Schädels ans Wirbel¬ teilen an einem zufällig ans einem Spaziergange in Venedig aufgefundnen Schafschädel! Nicht minder glücklich war er in seinen botanischen Meditationen. Am 1V- Juli 1786 schreibt er hierüber an Frau von Stein: „Das ungeheure Pflanzenreich simplifiziert sich mir in der Seele, daß ich bald die schwerste Aufgabe gleich weglesen kann. . . . Und es ist kein Traum, keine Phantasie: es ist ein Gewahrwerden der Form, mit der die Natur gleichsam mir immer spielt und spielend das mannigfache Leben hervorbringt!" Diese wesentliche Form, durch deren Entfaltung und Verwandlung die unendliche Mannigfaltig¬ keit der vegetabilischen Formenwelt entsteht, und in der Goethe das Grund¬ organ der Nrpflanze sieht, ist ihm das Blatt. In der That, schon um 17- April 1787 schreibt er ans Palermo um Herd. ,.................^^^SFH^^^V^^Zr^^Gespenst, das mir dieser Tage "achgesthluh u ^ ^ ^ „„dsonst uur hinter Glasfenstern zu ^"^^7.^ neuen und erneutenfrisch unter freiem Himmel. Im Angesicht so ^ ^ ScharGebilds siel mir die alte Grille wieder em, o o ^. am 8. Juni 1787die Nrpflanze entdecken könnte?" Und ans ^om ) ^an Fran von Stein: „Sage Herdern. daß up °^ ^ ^ Einfachste es.erzeugung und Organisation ganz nahe on, ' ^ Hauptpunkt, wowas nur gedacht werden kann. - - - Sage chuuday ) ^ ^der Keim'steckt, ganz klar und zweifellos ^« . wird das wnnder-nbrige auch schon im ganzen übersehe. . . Dn u p ^liebste Geschöpf von der Welt, um welche, much

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/467>, abgerufen am 21.06.2024.