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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die englische Rirche

die Seelen wollte" sie die Kirche sehe", Sie wollte" sie wieder zu der Macht
emporhebe", die sie vor der Reformntiou gehabt hatte, als das Abendland
nur el" geistiges Oberhaupt kannte. Es war die Zeit der Romantik, die ihre
Ideale im Mittelalter suchte, und das nüchterne Gebäude, das die Gegenwart
ihnen bot, war weit entfernt von dem himmelanstrebenden Dome, den die
Hoffnung ihnen vorspiegelte. Doch so wenig sich eine Mietkaserne zu einer
gotischen Kirche umbauen läßt, so wenig läßt sich aus der anglikanischen Kirche
das macheu, was die Oxforder Bewegung anstrebte. Die bestehende Kirche
müßte erst niedergerissen werden, und nur ihre Trümmer könnten für die neue
verwandt werden. Nicht lange, und Newman fand, daß in der Kirche kein
Raum für seine Ziele war. Wer den Boden des Kompromisses, ans dein die
anglikanische Kirche ruht, verläßt, muß entweder zum Protestantismus über¬
gehn oder sich nach Rom hin bewegen. Die Wesleyaner waren nach der
Protestantischen Seite hingetrieben, die Oxforder Bewegung konnte ihrem Wesen
nach nichts andres als die entgegengesetzte Richtung einschlage,?. Je länger
er sann und grübelte, um so mehr fand sich Newmans zum Mystischen an¬
gelegter Geist von deu Lehren Roms angezogen. Newman war ehrlich genng,
seine Verbindung mit der anglikanischen Kirche zu lose", als er erkannte, daß
seine Ansichten die Grenzen der 39 Artikel überschritten hatten. Während sein
uicht "ü"der begabter jüngerer Bruder als Freidenker endete, fand er sein
Heil im Schoße der allein seligmachenden Kirche, die ihn zum Kardinal machte
und "ach seinem Tode dnrch ein Denkmal am Oratorium in Brompton ehrte.
^Vie er handelten auch viele seiner Schüler und Gesinnungsgenossen, unter
ehren der später ebenfalls durch den Kardinalshut ausgezeichnete Manning,

Wenn damit die Sache ihren Abschluß gefunden hätte, so wäre nichts
dagegen einzuwenden gewesen. Es ist niemand verwehrt, katholisch zu werden.
Aber Pusey und die große Mehrzahl der Anhänger der Oxforder Bewegung
zogen es vor, in der Kirche und in dem Genusse ihrer Pfründen zu bleiben,
""d damit legten sie den Kenn zu dem Zwiespalt, der jetzt in der Kirche
herrscht. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Bewegung, die 1833 begann, in
ez^'^ Ziehung einen guten Einfluß ausgeübt hat. Sie hat die trägen
ePer aufgerüttelt. Die Geistlichkeit hat dadurch entschieden eine tiefere Änf-
aw'ng ilMZ Berufs erhalten und steht in der eifrigen Erfüllung ihrer Pflichten
U)t mehr hinter den Methodisten zurück; aber auf der andern Seite haben
e romamswrendcn Bestrebungen so viele Auswüchse gezeitigt, daß man ver-
' ")t M zu fragen, ob nicht der Fortschritt zu teuer erkauft ist.

Die Gefahr, die der Kirche droht, liegt hauptsächlich in der stillen ge¬
heimen Maulwurfsarbeit der Ritualisteu, wie die Partei heute genannt wird.
- an darf die Ritnnlisten nicht für gleichbedeutend mit der Hochkirchenpartei
halten. Die Hochkirchehat eS auch schon früher gegeben; sie hielt sich und



*) In Deutschland findet sich oft die Neigung, die ganze anglikanische Kirche als Hoch-
zu bezeichnen. Doch so wenig wie die Orthodoxen die evangelische Kirche ausmachen, so
Grenzboten I IWl 57
Die englische Rirche

die Seelen wollte» sie die Kirche sehe», Sie wollte» sie wieder zu der Macht
emporhebe», die sie vor der Reformntiou gehabt hatte, als das Abendland
nur el» geistiges Oberhaupt kannte. Es war die Zeit der Romantik, die ihre
Ideale im Mittelalter suchte, und das nüchterne Gebäude, das die Gegenwart
ihnen bot, war weit entfernt von dem himmelanstrebenden Dome, den die
Hoffnung ihnen vorspiegelte. Doch so wenig sich eine Mietkaserne zu einer
gotischen Kirche umbauen läßt, so wenig läßt sich aus der anglikanischen Kirche
das macheu, was die Oxforder Bewegung anstrebte. Die bestehende Kirche
müßte erst niedergerissen werden, und nur ihre Trümmer könnten für die neue
verwandt werden. Nicht lange, und Newman fand, daß in der Kirche kein
Raum für seine Ziele war. Wer den Boden des Kompromisses, ans dein die
anglikanische Kirche ruht, verläßt, muß entweder zum Protestantismus über¬
gehn oder sich nach Rom hin bewegen. Die Wesleyaner waren nach der
Protestantischen Seite hingetrieben, die Oxforder Bewegung konnte ihrem Wesen
nach nichts andres als die entgegengesetzte Richtung einschlage,?. Je länger
er sann und grübelte, um so mehr fand sich Newmans zum Mystischen an¬
gelegter Geist von deu Lehren Roms angezogen. Newman war ehrlich genng,
seine Verbindung mit der anglikanischen Kirche zu lose», als er erkannte, daß
seine Ansichten die Grenzen der 39 Artikel überschritten hatten. Während sein
uicht »ü»der begabter jüngerer Bruder als Freidenker endete, fand er sein
Heil im Schoße der allein seligmachenden Kirche, die ihn zum Kardinal machte
und »ach seinem Tode dnrch ein Denkmal am Oratorium in Brompton ehrte.
^Vie er handelten auch viele seiner Schüler und Gesinnungsgenossen, unter
ehren der später ebenfalls durch den Kardinalshut ausgezeichnete Manning,

Wenn damit die Sache ihren Abschluß gefunden hätte, so wäre nichts
dagegen einzuwenden gewesen. Es ist niemand verwehrt, katholisch zu werden.
Aber Pusey und die große Mehrzahl der Anhänger der Oxforder Bewegung
zogen es vor, in der Kirche und in dem Genusse ihrer Pfründen zu bleiben,
""d damit legten sie den Kenn zu dem Zwiespalt, der jetzt in der Kirche
herrscht. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Bewegung, die 1833 begann, in
ez^'^ Ziehung einen guten Einfluß ausgeübt hat. Sie hat die trägen
ePer aufgerüttelt. Die Geistlichkeit hat dadurch entschieden eine tiefere Änf-
aw'ng ilMZ Berufs erhalten und steht in der eifrigen Erfüllung ihrer Pflichten
U)t mehr hinter den Methodisten zurück; aber auf der andern Seite haben
e romamswrendcn Bestrebungen so viele Auswüchse gezeitigt, daß man ver-
' ")t M zu fragen, ob nicht der Fortschritt zu teuer erkauft ist.

Die Gefahr, die der Kirche droht, liegt hauptsächlich in der stillen ge¬
heimen Maulwurfsarbeit der Ritualisteu, wie die Partei heute genannt wird.
- an darf die Ritnnlisten nicht für gleichbedeutend mit der Hochkirchenpartei
halten. Die Hochkirchehat eS auch schon früher gegeben; sie hielt sich und



*) In Deutschland findet sich oft die Neigung, die ganze anglikanische Kirche als Hoch-
zu bezeichnen. Doch so wenig wie die Orthodoxen die evangelische Kirche ausmachen, so
Grenzboten I IWl 57
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[0457] Die englische Rirche die Seelen wollte» sie die Kirche sehe», Sie wollte» sie wieder zu der Macht emporhebe», die sie vor der Reformntiou gehabt hatte, als das Abendland nur el» geistiges Oberhaupt kannte. Es war die Zeit der Romantik, die ihre Ideale im Mittelalter suchte, und das nüchterne Gebäude, das die Gegenwart ihnen bot, war weit entfernt von dem himmelanstrebenden Dome, den die Hoffnung ihnen vorspiegelte. Doch so wenig sich eine Mietkaserne zu einer gotischen Kirche umbauen läßt, so wenig läßt sich aus der anglikanischen Kirche das macheu, was die Oxforder Bewegung anstrebte. Die bestehende Kirche müßte erst niedergerissen werden, und nur ihre Trümmer könnten für die neue verwandt werden. Nicht lange, und Newman fand, daß in der Kirche kein Raum für seine Ziele war. Wer den Boden des Kompromisses, ans dein die anglikanische Kirche ruht, verläßt, muß entweder zum Protestantismus über¬ gehn oder sich nach Rom hin bewegen. Die Wesleyaner waren nach der Protestantischen Seite hingetrieben, die Oxforder Bewegung konnte ihrem Wesen nach nichts andres als die entgegengesetzte Richtung einschlage,?. Je länger er sann und grübelte, um so mehr fand sich Newmans zum Mystischen an¬ gelegter Geist von deu Lehren Roms angezogen. Newman war ehrlich genng, seine Verbindung mit der anglikanischen Kirche zu lose», als er erkannte, daß seine Ansichten die Grenzen der 39 Artikel überschritten hatten. Während sein uicht »ü»der begabter jüngerer Bruder als Freidenker endete, fand er sein Heil im Schoße der allein seligmachenden Kirche, die ihn zum Kardinal machte und »ach seinem Tode dnrch ein Denkmal am Oratorium in Brompton ehrte. ^Vie er handelten auch viele seiner Schüler und Gesinnungsgenossen, unter ehren der später ebenfalls durch den Kardinalshut ausgezeichnete Manning, Wenn damit die Sache ihren Abschluß gefunden hätte, so wäre nichts dagegen einzuwenden gewesen. Es ist niemand verwehrt, katholisch zu werden. Aber Pusey und die große Mehrzahl der Anhänger der Oxforder Bewegung zogen es vor, in der Kirche und in dem Genusse ihrer Pfründen zu bleiben, ""d damit legten sie den Kenn zu dem Zwiespalt, der jetzt in der Kirche herrscht. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Bewegung, die 1833 begann, in ez^'^ Ziehung einen guten Einfluß ausgeübt hat. Sie hat die trägen ePer aufgerüttelt. Die Geistlichkeit hat dadurch entschieden eine tiefere Änf- aw'ng ilMZ Berufs erhalten und steht in der eifrigen Erfüllung ihrer Pflichten U)t mehr hinter den Methodisten zurück; aber auf der andern Seite haben e romamswrendcn Bestrebungen so viele Auswüchse gezeitigt, daß man ver- ' ")t M zu fragen, ob nicht der Fortschritt zu teuer erkauft ist. Die Gefahr, die der Kirche droht, liegt hauptsächlich in der stillen ge¬ heimen Maulwurfsarbeit der Ritualisteu, wie die Partei heute genannt wird. - an darf die Ritnnlisten nicht für gleichbedeutend mit der Hochkirchenpartei halten. Die Hochkirchehat eS auch schon früher gegeben; sie hielt sich und *) In Deutschland findet sich oft die Neigung, die ganze anglikanische Kirche als Hoch- zu bezeichnen. Doch so wenig wie die Orthodoxen die evangelische Kirche ausmachen, so Grenzboten I IWl 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/457>, abgerufen am 21.06.2024.