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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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?Je englische Kirche

likeu waren "och schlimmer daran. Erst 1828 wurden die Nonkonformisten
in bürgerlichen Rechten den Anglikanern gleichgestellt, lind den Katholiken er¬
laubte erst das Jahr 1830, sich als volle Engländer zu fühlen.

Bis 1828 also war die anglikanische Kirche unbestrittne Alleinherrscherin.
Bei aller Selbstzufriedenheit konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß einzelne
ihrer Mitglieder die herrschenden Schäden erkannten und sich bemühte", ihnen
abzuhelfen. In den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts entstand
in Oxford eine kleine Gruppe von Müuneru, die in der obwaltenden Ode und
Leere eine tiefere Auffassung deS religiösen Lebens bekundeten, an ihrer Spitze
John Wesleh. Von den mährischen Brüdern beeinflußt, wurde Weslcy der
Stifter der zahlreichen, jetzt in mehrere Nntersekten gespaltne" Methodisten-
gemeinschaft. Er n"d seine Jünger wandten sich mit steigendem Erfolge an die
untern, voll der Kirche vernachlässigten Schichten der Bevölkerung. Leicht war
die Arbeit nicht, nur zu oft fand er bei den Bergleuten und Tagelöhnern hand¬
greiflichen Widerstand. Aber am Ende drang er mit seiner rastlosen Thätigkeit
durch, die nie entmutigt wurde, und sein Wirken hatte auch heilsamen Einfluß
auf Kreise, die sich den Methodisten selbst nicht anschlössen, sondern a" der
Kirche festhielten. Auch Wesleh wollte sich nicht von der Kirche trennen;
doch wie sehr er auch deu Zusammenhang mit ihr zu erhalten wünschte, sie
brachte ihm viel mehr Feindseligkeit als Z"stimmn"g entgegen, und für die
Methodisten war in ihr kein Raum. Die Kirche blieb die alte. So schied
wieder ein Teil des Volks aus ihr aus und vermehrte die Reihen der Nicht-
anglikaner. Erst als die Brücken abgebrochen waren, kam es der Kirche zum
Bewußtsein, daß von den Weslehanern el" neuer Geist christlicher Pflicht¬
erfüllung ausging, lind allmählich wuchs auch in ihr el" neues Geschlecht von
Geistlichen heran, das etwas von diesem Geiste in sich aufnahm und anstatt
mit den Edelleuten den Fuchs zu Hetzen und dem Becher zuzusprechen seine
Aufgabe in der Fürsorge für die Armen und Elenden sah. Jetzt ist der fuchs-
jagende Pfarrer selten geworden, allsgestorben ist er auch heute uoch nicht.

Im großen und ganzen trat die Kirche ins neunzehnte Jahrhundert mit
demselben Geiste ein, mit dem sie das achtzehnte begonnen hatte. Die Geist¬
lichen Ware" vielleicht weniger unwissend und nicht so verwelkliche wie früher,
und die Zahl derer, denen ihr Beruf heiliger Ernst war, mochte größer sein.
Ganz gefehlt hat es um solchen ja niemals. Die Ziele der Kirche selbst waren
nicht gestiegen.

Und wieder ging von Oxford eine Bewegung aus. Wie seinerzeit Wesleh
und seine Freunde, so fand sich wieder eine kleine Gruppe zusammen, die der
Meinung war, daß die anglikanische Kirche höhere Pflichten hätte, als harm¬
lose Predigten ablesen zu lassen und Bischöfen hohe Gehälter zu zahlen.
Keble, Puseh und Newman waren die Führer, und unter ihnen ragte Newman
um Haupteslänge hervor. Sie sahen in der anglikanischen Kirche die wahre
katholische Kirche und forderten für sie die Stellung, deren sich die römische
erfreute. Nicht als eine Dienerin des Staats, sondern als Herrscherin über


?Je englische Kirche

likeu waren »och schlimmer daran. Erst 1828 wurden die Nonkonformisten
in bürgerlichen Rechten den Anglikanern gleichgestellt, lind den Katholiken er¬
laubte erst das Jahr 1830, sich als volle Engländer zu fühlen.

Bis 1828 also war die anglikanische Kirche unbestrittne Alleinherrscherin.
Bei aller Selbstzufriedenheit konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß einzelne
ihrer Mitglieder die herrschenden Schäden erkannten und sich bemühte», ihnen
abzuhelfen. In den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts entstand
in Oxford eine kleine Gruppe von Müuneru, die in der obwaltenden Ode und
Leere eine tiefere Auffassung deS religiösen Lebens bekundeten, an ihrer Spitze
John Wesleh. Von den mährischen Brüdern beeinflußt, wurde Weslcy der
Stifter der zahlreichen, jetzt in mehrere Nntersekten gespaltne» Methodisten-
gemeinschaft. Er n»d seine Jünger wandten sich mit steigendem Erfolge an die
untern, voll der Kirche vernachlässigten Schichten der Bevölkerung. Leicht war
die Arbeit nicht, nur zu oft fand er bei den Bergleuten und Tagelöhnern hand¬
greiflichen Widerstand. Aber am Ende drang er mit seiner rastlosen Thätigkeit
durch, die nie entmutigt wurde, und sein Wirken hatte auch heilsamen Einfluß
auf Kreise, die sich den Methodisten selbst nicht anschlössen, sondern a» der
Kirche festhielten. Auch Wesleh wollte sich nicht von der Kirche trennen;
doch wie sehr er auch deu Zusammenhang mit ihr zu erhalten wünschte, sie
brachte ihm viel mehr Feindseligkeit als Z»stimmn»g entgegen, und für die
Methodisten war in ihr kein Raum. Die Kirche blieb die alte. So schied
wieder ein Teil des Volks aus ihr aus und vermehrte die Reihen der Nicht-
anglikaner. Erst als die Brücken abgebrochen waren, kam es der Kirche zum
Bewußtsein, daß von den Weslehanern el» neuer Geist christlicher Pflicht¬
erfüllung ausging, lind allmählich wuchs auch in ihr el» neues Geschlecht von
Geistlichen heran, das etwas von diesem Geiste in sich aufnahm und anstatt
mit den Edelleuten den Fuchs zu Hetzen und dem Becher zuzusprechen seine
Aufgabe in der Fürsorge für die Armen und Elenden sah. Jetzt ist der fuchs-
jagende Pfarrer selten geworden, allsgestorben ist er auch heute uoch nicht.

Im großen und ganzen trat die Kirche ins neunzehnte Jahrhundert mit
demselben Geiste ein, mit dem sie das achtzehnte begonnen hatte. Die Geist¬
lichen Ware» vielleicht weniger unwissend und nicht so verwelkliche wie früher,
und die Zahl derer, denen ihr Beruf heiliger Ernst war, mochte größer sein.
Ganz gefehlt hat es um solchen ja niemals. Die Ziele der Kirche selbst waren
nicht gestiegen.

Und wieder ging von Oxford eine Bewegung aus. Wie seinerzeit Wesleh
und seine Freunde, so fand sich wieder eine kleine Gruppe zusammen, die der
Meinung war, daß die anglikanische Kirche höhere Pflichten hätte, als harm¬
lose Predigten ablesen zu lassen und Bischöfen hohe Gehälter zu zahlen.
Keble, Puseh und Newman waren die Führer, und unter ihnen ragte Newman
um Haupteslänge hervor. Sie sahen in der anglikanischen Kirche die wahre
katholische Kirche und forderten für sie die Stellung, deren sich die römische
erfreute. Nicht als eine Dienerin des Staats, sondern als Herrscherin über


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[0456] ?Je englische Kirche likeu waren »och schlimmer daran. Erst 1828 wurden die Nonkonformisten in bürgerlichen Rechten den Anglikanern gleichgestellt, lind den Katholiken er¬ laubte erst das Jahr 1830, sich als volle Engländer zu fühlen. Bis 1828 also war die anglikanische Kirche unbestrittne Alleinherrscherin. Bei aller Selbstzufriedenheit konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß einzelne ihrer Mitglieder die herrschenden Schäden erkannten und sich bemühte», ihnen abzuhelfen. In den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts entstand in Oxford eine kleine Gruppe von Müuneru, die in der obwaltenden Ode und Leere eine tiefere Auffassung deS religiösen Lebens bekundeten, an ihrer Spitze John Wesleh. Von den mährischen Brüdern beeinflußt, wurde Weslcy der Stifter der zahlreichen, jetzt in mehrere Nntersekten gespaltne» Methodisten- gemeinschaft. Er n»d seine Jünger wandten sich mit steigendem Erfolge an die untern, voll der Kirche vernachlässigten Schichten der Bevölkerung. Leicht war die Arbeit nicht, nur zu oft fand er bei den Bergleuten und Tagelöhnern hand¬ greiflichen Widerstand. Aber am Ende drang er mit seiner rastlosen Thätigkeit durch, die nie entmutigt wurde, und sein Wirken hatte auch heilsamen Einfluß auf Kreise, die sich den Methodisten selbst nicht anschlössen, sondern a» der Kirche festhielten. Auch Wesleh wollte sich nicht von der Kirche trennen; doch wie sehr er auch deu Zusammenhang mit ihr zu erhalten wünschte, sie brachte ihm viel mehr Feindseligkeit als Z»stimmn»g entgegen, und für die Methodisten war in ihr kein Raum. Die Kirche blieb die alte. So schied wieder ein Teil des Volks aus ihr aus und vermehrte die Reihen der Nicht- anglikaner. Erst als die Brücken abgebrochen waren, kam es der Kirche zum Bewußtsein, daß von den Weslehanern el» neuer Geist christlicher Pflicht¬ erfüllung ausging, lind allmählich wuchs auch in ihr el» neues Geschlecht von Geistlichen heran, das etwas von diesem Geiste in sich aufnahm und anstatt mit den Edelleuten den Fuchs zu Hetzen und dem Becher zuzusprechen seine Aufgabe in der Fürsorge für die Armen und Elenden sah. Jetzt ist der fuchs- jagende Pfarrer selten geworden, allsgestorben ist er auch heute uoch nicht. Im großen und ganzen trat die Kirche ins neunzehnte Jahrhundert mit demselben Geiste ein, mit dem sie das achtzehnte begonnen hatte. Die Geist¬ lichen Ware» vielleicht weniger unwissend und nicht so verwelkliche wie früher, und die Zahl derer, denen ihr Beruf heiliger Ernst war, mochte größer sein. Ganz gefehlt hat es um solchen ja niemals. Die Ziele der Kirche selbst waren nicht gestiegen. Und wieder ging von Oxford eine Bewegung aus. Wie seinerzeit Wesleh und seine Freunde, so fand sich wieder eine kleine Gruppe zusammen, die der Meinung war, daß die anglikanische Kirche höhere Pflichten hätte, als harm¬ lose Predigten ablesen zu lassen und Bischöfen hohe Gehälter zu zahlen. Keble, Puseh und Newman waren die Führer, und unter ihnen ragte Newman um Haupteslänge hervor. Sie sahen in der anglikanischen Kirche die wahre katholische Kirche und forderten für sie die Stellung, deren sich die römische erfreute. Nicht als eine Dienerin des Staats, sondern als Herrscherin über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/456>, abgerufen am 21.06.2024.