Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die englische Allahn

wie auf seine strammen Beine, als einzige Ursache des Bruchs mit Rom hin¬
stellen, hieße jedoch die Mannigfaltigkeit des Staatslebens verkennen. Es ist
ganz wohl möglich, daß sich Heinrich VIII, von Rom losgesagt hätte, anch
ohne Anna Bolehns Ehrgeiz, dem die Rolle einer königlichen Kebse nicht ge¬
nügte. Dem oberflächlichen Betrachter erscheint Anna Bolehn als die Ursache
der englische" Reformation, aber einer den tiefern Gründen nachgehenden Ge-
schichtforschung ist sie nnr ein Hebel, den der schlaue Thomas Cromwell be¬
nutzte, um seinen leidenschaftlichen Gebieter seinen weitnusschaueuden Plänen
geneigt zu machen.

Nicht umsonst war Cromwell bei Macchiavelli in die Schule gegangen.
Bon allen, die je aus dem Buche des scharfsichtigen Florentiners geschöpft
haben, führte er die neue Staats kunst am folgerichtigsten durch. Er glaubte
das Heil Englands in einer unumschränkten Monarchie zu finden, der alle
Kräfte des Landes zu freier Verfügung stehn, und er setzte alle seine That¬
kraft ein, seinem Könige diese Macht zu verschaffen, unbekümmert um die
Rechte, die er dabei mit Füßen trat, ohne Gewissensbisse wegen des edeln
Bluts, das er vergoß, bis er selbst dem Geiste, den er gerufen hatte, erlag.
Die beiden obersten Stände des Reichs, Adel und Geistlichkeit, standen ihm
im Wege. Was vom alten Adel den Sturm der Nosenkriege überdauert hatte,
verfiel der Axt des Scharfrichters, der unter ihm einer der wichtigsten und mir
"leisten beschäftigten Beamte" wurde, und um die Kirche zur getreuen Dienerin
des Königs zu machen, löste er sie von Rom. Die Bestrebungen der Huma¬
nisten, die Hoffnungen der Protestanten waren ihm gleichgiltig, ihm kam es
auf die politische Macht an. Mit demselben Gleichmute, mit dem er die
Führer des Adels aufs Schafott schickte und Äbte an den Galgen hängte,
überantwortete er auch Thomas Morus und Fisher dem Blocke.

Politische Rücksichten haben auch anderswo Einfluß auf den Gang der
Reformation ausgeübt; aber in England geschah die Lösung von Rom nnr
aus politischen Beweggründen. An der Lehre selbst änderte der bissige Gegner
Luthers, der Verteidiger des Glaubens, so gut wie nichts. Die ganze Kirchen¬
verbesserung beschränkte sich darauf, daß die englische Kirche anstatt des römischen
Papstes einen englischen erhielt, und daß den Klöstern und den Stiften der
Garaus gemacht wurde, damit sie die Taschen des Königs und seiner Günstlinge
füllten. Eine Reformation ist diese Änderung darum auch kaum zu nennen,
und die freiern Köpfe, die eine wirkliche Reformation anstrebten, waren bitter
enttäuscht. Neben diesen, die aus den Lehren von Wittenberg und Genf schöpften,
gab es jedoch ebenso viele Anhänger des Alten, und beide Parteien hielte"
sich die Wage wie in Frankreich. Unter Edward VI. gewann die Partei der
gründlichen Kirchenverbesserung die Oberhemd, aber unter der Regierung der
katholischen Marin mußte sie einem ebenso gründlichen Rückschläge weichen.

Dem kühl berechnenden, leidenschaftlosen Geiste der Elisabeth drängte sich
aus der Beobachtung dieser beiden Regierungen der Gedanke auf, in einem
Mittelwege das Heil zu suchen. Die große Masse des Volks neigte weder


Die englische Allahn

wie auf seine strammen Beine, als einzige Ursache des Bruchs mit Rom hin¬
stellen, hieße jedoch die Mannigfaltigkeit des Staatslebens verkennen. Es ist
ganz wohl möglich, daß sich Heinrich VIII, von Rom losgesagt hätte, anch
ohne Anna Bolehns Ehrgeiz, dem die Rolle einer königlichen Kebse nicht ge¬
nügte. Dem oberflächlichen Betrachter erscheint Anna Bolehn als die Ursache
der englische» Reformation, aber einer den tiefern Gründen nachgehenden Ge-
schichtforschung ist sie nnr ein Hebel, den der schlaue Thomas Cromwell be¬
nutzte, um seinen leidenschaftlichen Gebieter seinen weitnusschaueuden Plänen
geneigt zu machen.

Nicht umsonst war Cromwell bei Macchiavelli in die Schule gegangen.
Bon allen, die je aus dem Buche des scharfsichtigen Florentiners geschöpft
haben, führte er die neue Staats kunst am folgerichtigsten durch. Er glaubte
das Heil Englands in einer unumschränkten Monarchie zu finden, der alle
Kräfte des Landes zu freier Verfügung stehn, und er setzte alle seine That¬
kraft ein, seinem Könige diese Macht zu verschaffen, unbekümmert um die
Rechte, die er dabei mit Füßen trat, ohne Gewissensbisse wegen des edeln
Bluts, das er vergoß, bis er selbst dem Geiste, den er gerufen hatte, erlag.
Die beiden obersten Stände des Reichs, Adel und Geistlichkeit, standen ihm
im Wege. Was vom alten Adel den Sturm der Nosenkriege überdauert hatte,
verfiel der Axt des Scharfrichters, der unter ihm einer der wichtigsten und mir
»leisten beschäftigten Beamte» wurde, und um die Kirche zur getreuen Dienerin
des Königs zu machen, löste er sie von Rom. Die Bestrebungen der Huma¬
nisten, die Hoffnungen der Protestanten waren ihm gleichgiltig, ihm kam es
auf die politische Macht an. Mit demselben Gleichmute, mit dem er die
Führer des Adels aufs Schafott schickte und Äbte an den Galgen hängte,
überantwortete er auch Thomas Morus und Fisher dem Blocke.

Politische Rücksichten haben auch anderswo Einfluß auf den Gang der
Reformation ausgeübt; aber in England geschah die Lösung von Rom nnr
aus politischen Beweggründen. An der Lehre selbst änderte der bissige Gegner
Luthers, der Verteidiger des Glaubens, so gut wie nichts. Die ganze Kirchen¬
verbesserung beschränkte sich darauf, daß die englische Kirche anstatt des römischen
Papstes einen englischen erhielt, und daß den Klöstern und den Stiften der
Garaus gemacht wurde, damit sie die Taschen des Königs und seiner Günstlinge
füllten. Eine Reformation ist diese Änderung darum auch kaum zu nennen,
und die freiern Köpfe, die eine wirkliche Reformation anstrebten, waren bitter
enttäuscht. Neben diesen, die aus den Lehren von Wittenberg und Genf schöpften,
gab es jedoch ebenso viele Anhänger des Alten, und beide Parteien hielte»
sich die Wage wie in Frankreich. Unter Edward VI. gewann die Partei der
gründlichen Kirchenverbesserung die Oberhemd, aber unter der Regierung der
katholischen Marin mußte sie einem ebenso gründlichen Rückschläge weichen.

Dem kühl berechnenden, leidenschaftlosen Geiste der Elisabeth drängte sich
aus der Beobachtung dieser beiden Regierungen der Gedanke auf, in einem
Mittelwege das Heil zu suchen. Die große Masse des Volks neigte weder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234332"/>
          <fw type="header" place="top"> Die englische Allahn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1489" prev="#ID_1488"> wie auf seine strammen Beine, als einzige Ursache des Bruchs mit Rom hin¬<lb/>
stellen, hieße jedoch die Mannigfaltigkeit des Staatslebens verkennen. Es ist<lb/>
ganz wohl möglich, daß sich Heinrich VIII, von Rom losgesagt hätte, anch<lb/>
ohne Anna Bolehns Ehrgeiz, dem die Rolle einer königlichen Kebse nicht ge¬<lb/>
nügte. Dem oberflächlichen Betrachter erscheint Anna Bolehn als die Ursache<lb/>
der englische» Reformation, aber einer den tiefern Gründen nachgehenden Ge-<lb/>
schichtforschung ist sie nnr ein Hebel, den der schlaue Thomas Cromwell be¬<lb/>
nutzte, um seinen leidenschaftlichen Gebieter seinen weitnusschaueuden Plänen<lb/>
geneigt zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1490"> Nicht umsonst war Cromwell bei Macchiavelli in die Schule gegangen.<lb/>
Bon allen, die je aus dem Buche des scharfsichtigen Florentiners geschöpft<lb/>
haben, führte er die neue Staats kunst am folgerichtigsten durch. Er glaubte<lb/>
das Heil Englands in einer unumschränkten Monarchie zu finden, der alle<lb/>
Kräfte des Landes zu freier Verfügung stehn, und er setzte alle seine That¬<lb/>
kraft ein, seinem Könige diese Macht zu verschaffen, unbekümmert um die<lb/>
Rechte, die er dabei mit Füßen trat, ohne Gewissensbisse wegen des edeln<lb/>
Bluts, das er vergoß, bis er selbst dem Geiste, den er gerufen hatte, erlag.<lb/>
Die beiden obersten Stände des Reichs, Adel und Geistlichkeit, standen ihm<lb/>
im Wege. Was vom alten Adel den Sturm der Nosenkriege überdauert hatte,<lb/>
verfiel der Axt des Scharfrichters, der unter ihm einer der wichtigsten und mir<lb/>
»leisten beschäftigten Beamte» wurde, und um die Kirche zur getreuen Dienerin<lb/>
des Königs zu machen, löste er sie von Rom. Die Bestrebungen der Huma¬<lb/>
nisten, die Hoffnungen der Protestanten waren ihm gleichgiltig, ihm kam es<lb/>
auf die politische Macht an. Mit demselben Gleichmute, mit dem er die<lb/>
Führer des Adels aufs Schafott schickte und Äbte an den Galgen hängte,<lb/>
überantwortete er auch Thomas Morus und Fisher dem Blocke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1491"> Politische Rücksichten haben auch anderswo Einfluß auf den Gang der<lb/>
Reformation ausgeübt; aber in England geschah die Lösung von Rom nnr<lb/>
aus politischen Beweggründen. An der Lehre selbst änderte der bissige Gegner<lb/>
Luthers, der Verteidiger des Glaubens, so gut wie nichts. Die ganze Kirchen¬<lb/>
verbesserung beschränkte sich darauf, daß die englische Kirche anstatt des römischen<lb/>
Papstes einen englischen erhielt, und daß den Klöstern und den Stiften der<lb/>
Garaus gemacht wurde, damit sie die Taschen des Königs und seiner Günstlinge<lb/>
füllten. Eine Reformation ist diese Änderung darum auch kaum zu nennen,<lb/>
und die freiern Köpfe, die eine wirkliche Reformation anstrebten, waren bitter<lb/>
enttäuscht. Neben diesen, die aus den Lehren von Wittenberg und Genf schöpften,<lb/>
gab es jedoch ebenso viele Anhänger des Alten, und beide Parteien hielte»<lb/>
sich die Wage wie in Frankreich. Unter Edward VI. gewann die Partei der<lb/>
gründlichen Kirchenverbesserung die Oberhemd, aber unter der Regierung der<lb/>
katholischen Marin mußte sie einem ebenso gründlichen Rückschläge weichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1492" next="#ID_1493"> Dem kühl berechnenden, leidenschaftlosen Geiste der Elisabeth drängte sich<lb/>
aus der Beobachtung dieser beiden Regierungen der Gedanke auf, in einem<lb/>
Mittelwege das Heil zu suchen.  Die große Masse des Volks neigte weder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Die englische Allahn wie auf seine strammen Beine, als einzige Ursache des Bruchs mit Rom hin¬ stellen, hieße jedoch die Mannigfaltigkeit des Staatslebens verkennen. Es ist ganz wohl möglich, daß sich Heinrich VIII, von Rom losgesagt hätte, anch ohne Anna Bolehns Ehrgeiz, dem die Rolle einer königlichen Kebse nicht ge¬ nügte. Dem oberflächlichen Betrachter erscheint Anna Bolehn als die Ursache der englische» Reformation, aber einer den tiefern Gründen nachgehenden Ge- schichtforschung ist sie nnr ein Hebel, den der schlaue Thomas Cromwell be¬ nutzte, um seinen leidenschaftlichen Gebieter seinen weitnusschaueuden Plänen geneigt zu machen. Nicht umsonst war Cromwell bei Macchiavelli in die Schule gegangen. Bon allen, die je aus dem Buche des scharfsichtigen Florentiners geschöpft haben, führte er die neue Staats kunst am folgerichtigsten durch. Er glaubte das Heil Englands in einer unumschränkten Monarchie zu finden, der alle Kräfte des Landes zu freier Verfügung stehn, und er setzte alle seine That¬ kraft ein, seinem Könige diese Macht zu verschaffen, unbekümmert um die Rechte, die er dabei mit Füßen trat, ohne Gewissensbisse wegen des edeln Bluts, das er vergoß, bis er selbst dem Geiste, den er gerufen hatte, erlag. Die beiden obersten Stände des Reichs, Adel und Geistlichkeit, standen ihm im Wege. Was vom alten Adel den Sturm der Nosenkriege überdauert hatte, verfiel der Axt des Scharfrichters, der unter ihm einer der wichtigsten und mir »leisten beschäftigten Beamte» wurde, und um die Kirche zur getreuen Dienerin des Königs zu machen, löste er sie von Rom. Die Bestrebungen der Huma¬ nisten, die Hoffnungen der Protestanten waren ihm gleichgiltig, ihm kam es auf die politische Macht an. Mit demselben Gleichmute, mit dem er die Führer des Adels aufs Schafott schickte und Äbte an den Galgen hängte, überantwortete er auch Thomas Morus und Fisher dem Blocke. Politische Rücksichten haben auch anderswo Einfluß auf den Gang der Reformation ausgeübt; aber in England geschah die Lösung von Rom nnr aus politischen Beweggründen. An der Lehre selbst änderte der bissige Gegner Luthers, der Verteidiger des Glaubens, so gut wie nichts. Die ganze Kirchen¬ verbesserung beschränkte sich darauf, daß die englische Kirche anstatt des römischen Papstes einen englischen erhielt, und daß den Klöstern und den Stiften der Garaus gemacht wurde, damit sie die Taschen des Königs und seiner Günstlinge füllten. Eine Reformation ist diese Änderung darum auch kaum zu nennen, und die freiern Köpfe, die eine wirkliche Reformation anstrebten, waren bitter enttäuscht. Neben diesen, die aus den Lehren von Wittenberg und Genf schöpften, gab es jedoch ebenso viele Anhänger des Alten, und beide Parteien hielte» sich die Wage wie in Frankreich. Unter Edward VI. gewann die Partei der gründlichen Kirchenverbesserung die Oberhemd, aber unter der Regierung der katholischen Marin mußte sie einem ebenso gründlichen Rückschläge weichen. Dem kühl berechnenden, leidenschaftlosen Geiste der Elisabeth drängte sich aus der Beobachtung dieser beiden Regierungen der Gedanke auf, in einem Mittelwege das Heil zu suchen. Die große Masse des Volks neigte weder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/452>, abgerufen am 21.06.2024.