Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die englische Kirche

Menschen Leben eine Weile vor unsern Auge", aber was vorher war, was
nachher kommt, wir wissen es nicht. Wenn nun die neue Lehre davon etwas
weiß, so laßt uns ihr folgen.

So wurde Northumberland christlich. Doch weder Paulinus noch
Augustinus, der in Kent geblieben war, war eS beschieden, England dauernd
zum Christentum zu bekehren. Vor dem heidnischen Gegenschlage, der von
Mereia ausging, fielen die Früchte ihres Wirkens bis auf geringe Reste. Eine
Zeit lang traten Augustinus und seine Nachfolger in den Hintergrund, und
die Bekehrung der Angelsachsen wurde von andrer Seite begonnen, von dem
Nebenbuhler der römischen Kirche, der irischen. Der Bischofsitz zu Canter-
bury wurde überstrahlt vou dem schlichtem Kloster von Liudisfarue an der
Küste Nvrthumberlands, einer Ansiedlung der irischen Mönche von Jona, Wie
in unser deutsches Rheinthal sandte das vom Schicksal so grausam behandelte
Jrenvolk seine Glaubensboten auch nach England, und ihr Werk war dauernd.
Allenthalben entstanden Klöster, deren Insassen ihren heiligen Eifer auch den
Bekehrten einflößten, Cuthbert und Cädmon sind Zeugnis dafür, Endlich
aber, als die Gefahr nahe lag, daß das gesamte Augelsachsenvvlk der geistigen
Führung des Abtes von Jona anheimfallen würde, ermannte sich die römische
Kirche, und ihre straffe Verfassung gewann nach langem Kampfe den Sieg
über die irische, der eine gegliederte Ordnung unbekannt war. Innere Zer¬
fahrenheit hat schon damals den Iren die Früchte ihrer Arbeit geraubt. Auf
der Kirchenversammlung von Whitbh 664 unterwarf sich mit Northumberland
ganz England dem Hirtenstabe von Canterbury. Von Augustins Landung
rechnet die englische Kirche ihre Geschichte, und 1897 hat sie in Ebbsfleet ihr
dreizehnhuudertjähriges Bestehn gefeiert. Als Kirche vou England kann sie
jedoch erst von 664 ab gelten.

Der Sieg war vollständig. Die irischen Prediger räumten das Land ohne
den geringsten weitern Widerstand, und so festgewurzelt war die irische Lehre,
die sich von der römischen außerdem auch nur durch Äußerlichkeiten in der
Tonsur usw, unterschied, noch nicht, daß daS Volk großen Anteil an einem
Wechsel hätte nehmen können, den es kaum als Wechsel empfand. So leicht
sich nun die Umwälzung vollzog, und so geringfügig sie erscheinen mochte, von
so großer Bedeutung war sie für die staatliche Entwicklung Englands, Noch
ermangelte England der Einheit, noch bestanden die verschiednen Teilreiche
nebeneinander. Aber die Uuterwerfun^ unter die römische Kirche brachte alle
unter ein geistiges Oberhaupt, den Erzbischof von Canterbnrh. Die kirchliche
Einheit wirkte der den Germanen eigentümlichen Neigung zur Zersplitterung,
die sich germanische Freiheit nennt, entgegen, und ohne es zu wollen, half die
Kirche mit an der Verschmelzung der einzelnen Teile zu einem Ganzen, dem
Königreich England,

Sonst tritt die Kirche in den nächsten Jahrhunderten wenig in den
Vordergrund, obwohl sie nicht unthätig war und auf ihrem eigentlichen Gebiet
in diesem Zeitraume vielleicht mehr leistete, als in irgend einem spätern. Mit


Die englische Kirche

Menschen Leben eine Weile vor unsern Auge«, aber was vorher war, was
nachher kommt, wir wissen es nicht. Wenn nun die neue Lehre davon etwas
weiß, so laßt uns ihr folgen.

So wurde Northumberland christlich. Doch weder Paulinus noch
Augustinus, der in Kent geblieben war, war eS beschieden, England dauernd
zum Christentum zu bekehren. Vor dem heidnischen Gegenschlage, der von
Mereia ausging, fielen die Früchte ihres Wirkens bis auf geringe Reste. Eine
Zeit lang traten Augustinus und seine Nachfolger in den Hintergrund, und
die Bekehrung der Angelsachsen wurde von andrer Seite begonnen, von dem
Nebenbuhler der römischen Kirche, der irischen. Der Bischofsitz zu Canter-
bury wurde überstrahlt vou dem schlichtem Kloster von Liudisfarue an der
Küste Nvrthumberlands, einer Ansiedlung der irischen Mönche von Jona, Wie
in unser deutsches Rheinthal sandte das vom Schicksal so grausam behandelte
Jrenvolk seine Glaubensboten auch nach England, und ihr Werk war dauernd.
Allenthalben entstanden Klöster, deren Insassen ihren heiligen Eifer auch den
Bekehrten einflößten, Cuthbert und Cädmon sind Zeugnis dafür, Endlich
aber, als die Gefahr nahe lag, daß das gesamte Augelsachsenvvlk der geistigen
Führung des Abtes von Jona anheimfallen würde, ermannte sich die römische
Kirche, und ihre straffe Verfassung gewann nach langem Kampfe den Sieg
über die irische, der eine gegliederte Ordnung unbekannt war. Innere Zer¬
fahrenheit hat schon damals den Iren die Früchte ihrer Arbeit geraubt. Auf
der Kirchenversammlung von Whitbh 664 unterwarf sich mit Northumberland
ganz England dem Hirtenstabe von Canterbury. Von Augustins Landung
rechnet die englische Kirche ihre Geschichte, und 1897 hat sie in Ebbsfleet ihr
dreizehnhuudertjähriges Bestehn gefeiert. Als Kirche vou England kann sie
jedoch erst von 664 ab gelten.

Der Sieg war vollständig. Die irischen Prediger räumten das Land ohne
den geringsten weitern Widerstand, und so festgewurzelt war die irische Lehre,
die sich von der römischen außerdem auch nur durch Äußerlichkeiten in der
Tonsur usw, unterschied, noch nicht, daß daS Volk großen Anteil an einem
Wechsel hätte nehmen können, den es kaum als Wechsel empfand. So leicht
sich nun die Umwälzung vollzog, und so geringfügig sie erscheinen mochte, von
so großer Bedeutung war sie für die staatliche Entwicklung Englands, Noch
ermangelte England der Einheit, noch bestanden die verschiednen Teilreiche
nebeneinander. Aber die Uuterwerfun^ unter die römische Kirche brachte alle
unter ein geistiges Oberhaupt, den Erzbischof von Canterbnrh. Die kirchliche
Einheit wirkte der den Germanen eigentümlichen Neigung zur Zersplitterung,
die sich germanische Freiheit nennt, entgegen, und ohne es zu wollen, half die
Kirche mit an der Verschmelzung der einzelnen Teile zu einem Ganzen, dem
Königreich England,

Sonst tritt die Kirche in den nächsten Jahrhunderten wenig in den
Vordergrund, obwohl sie nicht unthätig war und auf ihrem eigentlichen Gebiet
in diesem Zeitraume vielleicht mehr leistete, als in irgend einem spätern. Mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234330"/>
          <fw type="header" place="top"> Die englische Kirche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> Menschen Leben eine Weile vor unsern Auge«, aber was vorher war, was<lb/>
nachher kommt, wir wissen es nicht. Wenn nun die neue Lehre davon etwas<lb/>
weiß, so laßt uns ihr folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482"> So wurde Northumberland christlich. Doch weder Paulinus noch<lb/>
Augustinus, der in Kent geblieben war, war eS beschieden, England dauernd<lb/>
zum Christentum zu bekehren. Vor dem heidnischen Gegenschlage, der von<lb/>
Mereia ausging, fielen die Früchte ihres Wirkens bis auf geringe Reste. Eine<lb/>
Zeit lang traten Augustinus und seine Nachfolger in den Hintergrund, und<lb/>
die Bekehrung der Angelsachsen wurde von andrer Seite begonnen, von dem<lb/>
Nebenbuhler der römischen Kirche, der irischen. Der Bischofsitz zu Canter-<lb/>
bury wurde überstrahlt vou dem schlichtem Kloster von Liudisfarue an der<lb/>
Küste Nvrthumberlands, einer Ansiedlung der irischen Mönche von Jona, Wie<lb/>
in unser deutsches Rheinthal sandte das vom Schicksal so grausam behandelte<lb/>
Jrenvolk seine Glaubensboten auch nach England, und ihr Werk war dauernd.<lb/>
Allenthalben entstanden Klöster, deren Insassen ihren heiligen Eifer auch den<lb/>
Bekehrten einflößten, Cuthbert und Cädmon sind Zeugnis dafür, Endlich<lb/>
aber, als die Gefahr nahe lag, daß das gesamte Augelsachsenvvlk der geistigen<lb/>
Führung des Abtes von Jona anheimfallen würde, ermannte sich die römische<lb/>
Kirche, und ihre straffe Verfassung gewann nach langem Kampfe den Sieg<lb/>
über die irische, der eine gegliederte Ordnung unbekannt war. Innere Zer¬<lb/>
fahrenheit hat schon damals den Iren die Früchte ihrer Arbeit geraubt. Auf<lb/>
der Kirchenversammlung von Whitbh 664 unterwarf sich mit Northumberland<lb/>
ganz England dem Hirtenstabe von Canterbury. Von Augustins Landung<lb/>
rechnet die englische Kirche ihre Geschichte, und 1897 hat sie in Ebbsfleet ihr<lb/>
dreizehnhuudertjähriges Bestehn gefeiert. Als Kirche vou England kann sie<lb/>
jedoch erst von 664 ab gelten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483"> Der Sieg war vollständig. Die irischen Prediger räumten das Land ohne<lb/>
den geringsten weitern Widerstand, und so festgewurzelt war die irische Lehre,<lb/>
die sich von der römischen außerdem auch nur durch Äußerlichkeiten in der<lb/>
Tonsur usw, unterschied, noch nicht, daß daS Volk großen Anteil an einem<lb/>
Wechsel hätte nehmen können, den es kaum als Wechsel empfand. So leicht<lb/>
sich nun die Umwälzung vollzog, und so geringfügig sie erscheinen mochte, von<lb/>
so großer Bedeutung war sie für die staatliche Entwicklung Englands, Noch<lb/>
ermangelte England der Einheit, noch bestanden die verschiednen Teilreiche<lb/>
nebeneinander. Aber die Uuterwerfun^ unter die römische Kirche brachte alle<lb/>
unter ein geistiges Oberhaupt, den Erzbischof von Canterbnrh. Die kirchliche<lb/>
Einheit wirkte der den Germanen eigentümlichen Neigung zur Zersplitterung,<lb/>
die sich germanische Freiheit nennt, entgegen, und ohne es zu wollen, half die<lb/>
Kirche mit an der Verschmelzung der einzelnen Teile zu einem Ganzen, dem<lb/>
Königreich England,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484" next="#ID_1485"> Sonst tritt die Kirche in den nächsten Jahrhunderten wenig in den<lb/>
Vordergrund, obwohl sie nicht unthätig war und auf ihrem eigentlichen Gebiet<lb/>
in diesem Zeitraume vielleicht mehr leistete, als in irgend einem spätern. Mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Die englische Kirche Menschen Leben eine Weile vor unsern Auge«, aber was vorher war, was nachher kommt, wir wissen es nicht. Wenn nun die neue Lehre davon etwas weiß, so laßt uns ihr folgen. So wurde Northumberland christlich. Doch weder Paulinus noch Augustinus, der in Kent geblieben war, war eS beschieden, England dauernd zum Christentum zu bekehren. Vor dem heidnischen Gegenschlage, der von Mereia ausging, fielen die Früchte ihres Wirkens bis auf geringe Reste. Eine Zeit lang traten Augustinus und seine Nachfolger in den Hintergrund, und die Bekehrung der Angelsachsen wurde von andrer Seite begonnen, von dem Nebenbuhler der römischen Kirche, der irischen. Der Bischofsitz zu Canter- bury wurde überstrahlt vou dem schlichtem Kloster von Liudisfarue an der Küste Nvrthumberlands, einer Ansiedlung der irischen Mönche von Jona, Wie in unser deutsches Rheinthal sandte das vom Schicksal so grausam behandelte Jrenvolk seine Glaubensboten auch nach England, und ihr Werk war dauernd. Allenthalben entstanden Klöster, deren Insassen ihren heiligen Eifer auch den Bekehrten einflößten, Cuthbert und Cädmon sind Zeugnis dafür, Endlich aber, als die Gefahr nahe lag, daß das gesamte Augelsachsenvvlk der geistigen Führung des Abtes von Jona anheimfallen würde, ermannte sich die römische Kirche, und ihre straffe Verfassung gewann nach langem Kampfe den Sieg über die irische, der eine gegliederte Ordnung unbekannt war. Innere Zer¬ fahrenheit hat schon damals den Iren die Früchte ihrer Arbeit geraubt. Auf der Kirchenversammlung von Whitbh 664 unterwarf sich mit Northumberland ganz England dem Hirtenstabe von Canterbury. Von Augustins Landung rechnet die englische Kirche ihre Geschichte, und 1897 hat sie in Ebbsfleet ihr dreizehnhuudertjähriges Bestehn gefeiert. Als Kirche vou England kann sie jedoch erst von 664 ab gelten. Der Sieg war vollständig. Die irischen Prediger räumten das Land ohne den geringsten weitern Widerstand, und so festgewurzelt war die irische Lehre, die sich von der römischen außerdem auch nur durch Äußerlichkeiten in der Tonsur usw, unterschied, noch nicht, daß daS Volk großen Anteil an einem Wechsel hätte nehmen können, den es kaum als Wechsel empfand. So leicht sich nun die Umwälzung vollzog, und so geringfügig sie erscheinen mochte, von so großer Bedeutung war sie für die staatliche Entwicklung Englands, Noch ermangelte England der Einheit, noch bestanden die verschiednen Teilreiche nebeneinander. Aber die Uuterwerfun^ unter die römische Kirche brachte alle unter ein geistiges Oberhaupt, den Erzbischof von Canterbnrh. Die kirchliche Einheit wirkte der den Germanen eigentümlichen Neigung zur Zersplitterung, die sich germanische Freiheit nennt, entgegen, und ohne es zu wollen, half die Kirche mit an der Verschmelzung der einzelnen Teile zu einem Ganzen, dem Königreich England, Sonst tritt die Kirche in den nächsten Jahrhunderten wenig in den Vordergrund, obwohl sie nicht unthätig war und auf ihrem eigentlichen Gebiet in diesem Zeitraume vielleicht mehr leistete, als in irgend einem spätern. Mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/450>, abgerufen am 24.08.2024.