Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rand, Gottlze und d^r Monismus

dagegen verhält es sich mit dem realen Seinsprädikate, weil bei der Wirk¬
lichkeit zum Begriffe eines Dinges dessen Gegenstand synthetisch hinzukommt.
Ich mag mir also ein Ding denken, von welcher Beschaffenheit ich will,
so kommt dadurch, daß ich noch hinzufüge: "Es ist," nicht das mindeste zu
dem Dinge hinzu; damit das geschähe und ich das blos; gedachte auch für
ein wirkliches Ding halten dürfte, müßte ich mich durch seinen Zusammenhang
mit irgend einer meiner sinnlichen Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen
von der Existenz jenes Objekts -i xostvriori, überzeugen können. Das Dasein
eines höchsten Wesens läßt sich also ans reinen Begriffen priori nicht be^
weisen, sondern, da es sich um eine bloße Idee handelt, ist diese gänzlich un¬
fähig, unsre Erkenntnis in dem, was existiert, zu erweitern.

Der angebliche ontologische Beweis laust also, wie Kant durch diese
mächtige und zwingende Argumentation unwiderleglich zeigt, auf einen Trug¬
schluß hinaus, der auf einer Verwechslung des realen und des logischen Be¬
griffs im Worte "sein" beruht, und die Kritik der Vernunft enthüllt diese
folgenschwere Wahrheit: daß die in sich selbst widerspruchsvolle und leere Ver¬
nunft nnr in ihrer Anwendung auf das Gebiet der Erfahrung Geltung hat,
und deshalb alle Erkenntnis von Gott und göttlichen Dingen durch sie un¬
möglich ist. Damit war den sogenannten "Vernnuftoffenbarnngen" und allem
scholastische" Hokuspokus für ewige Zeiten ein Ende gemacht. Bekanntlich
hat Kant in seiner Ethik den Gottesbegriff -- dort wo er hingehört -- als
Ideal der Vernunft und moralisches Bedürfnis in seine vollen Rechte eingesetzt.

Es entsteht nun die Frage, ob sich Haeckel der ungeheuern Tragweite
dieser kritischen Sichtung und Berichtigung des religiösen Problems durch Kant
vollauf bewußt geworden ist, da er als Vertreter der modernen Welt¬
anschauung den, der das meiste zur Begründung dieser Weltanschauung bei-
getragen hat, in seinen Schriften fortwährend angreift. Nach der Probe in
seinen "Welträtseln" zu urteilen, wonach der junge Kant freigeistig gewesen
sein soll und erst der alte fromme Neigungen gezeigt habe -- während gerade
das Unigekehrte der Fall ist, worauf erst kürzlich Friedrich Paulsen im den
Preußischen Jahrbüchern, Julinummer 1900) wieder hingewiesen hat --, muß
daran füglich gezweifelt werden!

Mit Schärfe wandte sich Kant auch gegen die künstlichen und unfrucht¬
baren Konstruktionen der Metaphysik, "deren Verfahren bisher ein bloßes
Herumtappen, und was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen
ist." Er erklärt darum^'den"j Dogmatismus der Metaphysik, d. h, die An¬
maßung, mit einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen und Prinzipien auszu¬
kommen, ohne Kontrolle der Art und des Rechts, wodurch sie dazu gekommen
ist, also ohne Vernunftkritik, für ein Vorurteil (Vorrede zur zweiten Ausgabe
der Kritik der reinen Vernunft). Und in der Abhandlung: "Was heißt, sich
im Denken orientieren?" (1786) führt Kant aus, daß durch den bloßen Be¬
griff im Reich des Übersinnlichen nichts ausgerichtet werden könne, und daß
das Dvgmatisieren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der


Rand, Gottlze und d^r Monismus

dagegen verhält es sich mit dem realen Seinsprädikate, weil bei der Wirk¬
lichkeit zum Begriffe eines Dinges dessen Gegenstand synthetisch hinzukommt.
Ich mag mir also ein Ding denken, von welcher Beschaffenheit ich will,
so kommt dadurch, daß ich noch hinzufüge: „Es ist," nicht das mindeste zu
dem Dinge hinzu; damit das geschähe und ich das blos; gedachte auch für
ein wirkliches Ding halten dürfte, müßte ich mich durch seinen Zusammenhang
mit irgend einer meiner sinnlichen Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen
von der Existenz jenes Objekts -i xostvriori, überzeugen können. Das Dasein
eines höchsten Wesens läßt sich also ans reinen Begriffen priori nicht be^
weisen, sondern, da es sich um eine bloße Idee handelt, ist diese gänzlich un¬
fähig, unsre Erkenntnis in dem, was existiert, zu erweitern.

Der angebliche ontologische Beweis laust also, wie Kant durch diese
mächtige und zwingende Argumentation unwiderleglich zeigt, auf einen Trug¬
schluß hinaus, der auf einer Verwechslung des realen und des logischen Be¬
griffs im Worte „sein" beruht, und die Kritik der Vernunft enthüllt diese
folgenschwere Wahrheit: daß die in sich selbst widerspruchsvolle und leere Ver¬
nunft nnr in ihrer Anwendung auf das Gebiet der Erfahrung Geltung hat,
und deshalb alle Erkenntnis von Gott und göttlichen Dingen durch sie un¬
möglich ist. Damit war den sogenannten „Vernnuftoffenbarnngen" und allem
scholastische» Hokuspokus für ewige Zeiten ein Ende gemacht. Bekanntlich
hat Kant in seiner Ethik den Gottesbegriff — dort wo er hingehört — als
Ideal der Vernunft und moralisches Bedürfnis in seine vollen Rechte eingesetzt.

Es entsteht nun die Frage, ob sich Haeckel der ungeheuern Tragweite
dieser kritischen Sichtung und Berichtigung des religiösen Problems durch Kant
vollauf bewußt geworden ist, da er als Vertreter der modernen Welt¬
anschauung den, der das meiste zur Begründung dieser Weltanschauung bei-
getragen hat, in seinen Schriften fortwährend angreift. Nach der Probe in
seinen „Welträtseln" zu urteilen, wonach der junge Kant freigeistig gewesen
sein soll und erst der alte fromme Neigungen gezeigt habe — während gerade
das Unigekehrte der Fall ist, worauf erst kürzlich Friedrich Paulsen im den
Preußischen Jahrbüchern, Julinummer 1900) wieder hingewiesen hat —, muß
daran füglich gezweifelt werden!

Mit Schärfe wandte sich Kant auch gegen die künstlichen und unfrucht¬
baren Konstruktionen der Metaphysik, „deren Verfahren bisher ein bloßes
Herumtappen, und was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen
ist." Er erklärt darum^'den"j Dogmatismus der Metaphysik, d. h, die An¬
maßung, mit einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen und Prinzipien auszu¬
kommen, ohne Kontrolle der Art und des Rechts, wodurch sie dazu gekommen
ist, also ohne Vernunftkritik, für ein Vorurteil (Vorrede zur zweiten Ausgabe
der Kritik der reinen Vernunft). Und in der Abhandlung: „Was heißt, sich
im Denken orientieren?" (1786) führt Kant aus, daß durch den bloßen Be¬
griff im Reich des Übersinnlichen nichts ausgerichtet werden könne, und daß
das Dvgmatisieren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234310"/>
          <fw type="header" place="top"> Rand, Gottlze und d^r Monismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1412" prev="#ID_1411"> dagegen verhält es sich mit dem realen Seinsprädikate, weil bei der Wirk¬<lb/>
lichkeit zum Begriffe eines Dinges dessen Gegenstand synthetisch hinzukommt.<lb/>
Ich mag mir also ein Ding denken, von welcher Beschaffenheit ich will,<lb/>
so kommt dadurch, daß ich noch hinzufüge: &#x201E;Es ist," nicht das mindeste zu<lb/>
dem Dinge hinzu; damit das geschähe und ich das blos; gedachte auch für<lb/>
ein wirkliches Ding halten dürfte, müßte ich mich durch seinen Zusammenhang<lb/>
mit irgend einer meiner sinnlichen Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen<lb/>
von der Existenz jenes Objekts -i xostvriori, überzeugen können. Das Dasein<lb/>
eines höchsten Wesens läßt sich also ans reinen Begriffen priori nicht be^<lb/>
weisen, sondern, da es sich um eine bloße Idee handelt, ist diese gänzlich un¬<lb/>
fähig, unsre Erkenntnis in dem, was existiert, zu erweitern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1413"> Der angebliche ontologische Beweis laust also, wie Kant durch diese<lb/>
mächtige und zwingende Argumentation unwiderleglich zeigt, auf einen Trug¬<lb/>
schluß hinaus, der auf einer Verwechslung des realen und des logischen Be¬<lb/>
griffs im Worte &#x201E;sein" beruht, und die Kritik der Vernunft enthüllt diese<lb/>
folgenschwere Wahrheit: daß die in sich selbst widerspruchsvolle und leere Ver¬<lb/>
nunft nnr in ihrer Anwendung auf das Gebiet der Erfahrung Geltung hat,<lb/>
und deshalb alle Erkenntnis von Gott und göttlichen Dingen durch sie un¬<lb/>
möglich ist. Damit war den sogenannten &#x201E;Vernnuftoffenbarnngen" und allem<lb/>
scholastische» Hokuspokus für ewige Zeiten ein Ende gemacht. Bekanntlich<lb/>
hat Kant in seiner Ethik den Gottesbegriff &#x2014; dort wo er hingehört &#x2014; als<lb/>
Ideal der Vernunft und moralisches Bedürfnis in seine vollen Rechte eingesetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1414"> Es entsteht nun die Frage, ob sich Haeckel der ungeheuern Tragweite<lb/>
dieser kritischen Sichtung und Berichtigung des religiösen Problems durch Kant<lb/>
vollauf bewußt geworden ist, da er als Vertreter der modernen Welt¬<lb/>
anschauung den, der das meiste zur Begründung dieser Weltanschauung bei-<lb/>
getragen hat, in seinen Schriften fortwährend angreift. Nach der Probe in<lb/>
seinen &#x201E;Welträtseln" zu urteilen, wonach der junge Kant freigeistig gewesen<lb/>
sein soll und erst der alte fromme Neigungen gezeigt habe &#x2014; während gerade<lb/>
das Unigekehrte der Fall ist, worauf erst kürzlich Friedrich Paulsen im den<lb/>
Preußischen Jahrbüchern, Julinummer 1900) wieder hingewiesen hat &#x2014;, muß<lb/>
daran füglich gezweifelt werden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1415" next="#ID_1416"> Mit Schärfe wandte sich Kant auch gegen die künstlichen und unfrucht¬<lb/>
baren Konstruktionen der Metaphysik, &#x201E;deren Verfahren bisher ein bloßes<lb/>
Herumtappen, und was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen<lb/>
ist." Er erklärt darum^'den"j Dogmatismus der Metaphysik, d. h, die An¬<lb/>
maßung, mit einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen und Prinzipien auszu¬<lb/>
kommen, ohne Kontrolle der Art und des Rechts, wodurch sie dazu gekommen<lb/>
ist, also ohne Vernunftkritik, für ein Vorurteil (Vorrede zur zweiten Ausgabe<lb/>
der Kritik der reinen Vernunft). Und in der Abhandlung: &#x201E;Was heißt, sich<lb/>
im Denken orientieren?" (1786) führt Kant aus, daß durch den bloßen Be¬<lb/>
griff im Reich des Übersinnlichen nichts ausgerichtet werden könne, und daß<lb/>
das Dvgmatisieren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] Rand, Gottlze und d^r Monismus dagegen verhält es sich mit dem realen Seinsprädikate, weil bei der Wirk¬ lichkeit zum Begriffe eines Dinges dessen Gegenstand synthetisch hinzukommt. Ich mag mir also ein Ding denken, von welcher Beschaffenheit ich will, so kommt dadurch, daß ich noch hinzufüge: „Es ist," nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu; damit das geschähe und ich das blos; gedachte auch für ein wirkliches Ding halten dürfte, müßte ich mich durch seinen Zusammenhang mit irgend einer meiner sinnlichen Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen von der Existenz jenes Objekts -i xostvriori, überzeugen können. Das Dasein eines höchsten Wesens läßt sich also ans reinen Begriffen priori nicht be^ weisen, sondern, da es sich um eine bloße Idee handelt, ist diese gänzlich un¬ fähig, unsre Erkenntnis in dem, was existiert, zu erweitern. Der angebliche ontologische Beweis laust also, wie Kant durch diese mächtige und zwingende Argumentation unwiderleglich zeigt, auf einen Trug¬ schluß hinaus, der auf einer Verwechslung des realen und des logischen Be¬ griffs im Worte „sein" beruht, und die Kritik der Vernunft enthüllt diese folgenschwere Wahrheit: daß die in sich selbst widerspruchsvolle und leere Ver¬ nunft nnr in ihrer Anwendung auf das Gebiet der Erfahrung Geltung hat, und deshalb alle Erkenntnis von Gott und göttlichen Dingen durch sie un¬ möglich ist. Damit war den sogenannten „Vernnuftoffenbarnngen" und allem scholastische» Hokuspokus für ewige Zeiten ein Ende gemacht. Bekanntlich hat Kant in seiner Ethik den Gottesbegriff — dort wo er hingehört — als Ideal der Vernunft und moralisches Bedürfnis in seine vollen Rechte eingesetzt. Es entsteht nun die Frage, ob sich Haeckel der ungeheuern Tragweite dieser kritischen Sichtung und Berichtigung des religiösen Problems durch Kant vollauf bewußt geworden ist, da er als Vertreter der modernen Welt¬ anschauung den, der das meiste zur Begründung dieser Weltanschauung bei- getragen hat, in seinen Schriften fortwährend angreift. Nach der Probe in seinen „Welträtseln" zu urteilen, wonach der junge Kant freigeistig gewesen sein soll und erst der alte fromme Neigungen gezeigt habe — während gerade das Unigekehrte der Fall ist, worauf erst kürzlich Friedrich Paulsen im den Preußischen Jahrbüchern, Julinummer 1900) wieder hingewiesen hat —, muß daran füglich gezweifelt werden! Mit Schärfe wandte sich Kant auch gegen die künstlichen und unfrucht¬ baren Konstruktionen der Metaphysik, „deren Verfahren bisher ein bloßes Herumtappen, und was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen ist." Er erklärt darum^'den"j Dogmatismus der Metaphysik, d. h, die An¬ maßung, mit einer Erkenntnis aus bloßen Begriffen und Prinzipien auszu¬ kommen, ohne Kontrolle der Art und des Rechts, wodurch sie dazu gekommen ist, also ohne Vernunftkritik, für ein Vorurteil (Vorrede zur zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft). Und in der Abhandlung: „Was heißt, sich im Denken orientieren?" (1786) führt Kant aus, daß durch den bloßen Be¬ griff im Reich des Übersinnlichen nichts ausgerichtet werden könne, und daß das Dvgmatisieren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/430>, abgerufen am 27.06.2024.