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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Anrn, Goethe und der Nwnisinus

Lichtenberg über die Männer der Wissenschaft und die Kathederphilosophen das
bittere Urteil fällte: "Eine gewisse Gefälligkeit gegen die Große" macht, das;
sie das meiste mit einer einschläfernden Unmaßgeblichkeit und feigen Unvor-
greiflichteit sagen/' In dieser schwülen und drückenden Geistesatmosphäre
entlud sich das Gewitter der Kantischen Philosophie, und die furchtbare"
Blitze seiner Dialektik zerschmetterten die morschen Stützen der scholastischen
und metaphysischen Wortweisheit, "Es gab nie eine größere That, sagt
Friedrich Nietzsche von der Kantischen Vernunftkritik (in der "Fröhlichen
Wissenschaft". Seite 125). und wer nur immer nach uns geboren wird, ge-
hört um dieser That nulle" in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte
bisher war."

Die gewaltige Argnmentativ". mit der Kant die Grundlage aller speku¬
lativen Gottesbeweise, den ontologischen Beweis, zermalmte, war die folgende.
Der Begriff eines absolut "otwendigen Wesens ist el" reiner Vernunftbegriff,
das ist eine bloße Idee, deren objektive Realität dadurch, daß die Vernunft
ihrer zu Erkenntniszwecken bedarf, noch lange "icht bewiesen ist; den" aus
einer ganz willkürlich entworfue" Idee läßt sich das Dasein des ihr ent¬
sprechenden Gegenstands nicht ausklauben. Im Gegenteil können nur uns von
dem rein logisch konstruierten Begriffe gar keine konkrete Vorstellung machen,
und alle hernngezogneu analogen Beispiele beziehn sich nur auf Urteile, nicht
jedoch auf Dinge, wie z. B. der Satz, "daß ein Dreieck notwendig drei Winkel
habe." nur unter der Voraussetzung gilt, daß ein Dreieck überhaupt da ist.
Der Schein der zwingenden Notwendigkeit dieses Satzes liegt also nur darin,
daß mau in einem identischen Urteile, wenn mau das Subjekt behält, das
Prädikat nicht aufheben kan", ohne einen Widerspruch herbeizuführen; hebt
man aber das Subjekt zusammen mit dem Prädikat auf. so entsteht kein
Widerspruch, dem, es ist nichts mehr da. dem widersprochen werden könnte,
Nun könnte man aber einwenden, daß es Subjekte giebt, die gar nicht auf¬
gehoben werde" können, weil ihre Existenz notwendig sei. Das ist aber eine
willkürliche Assertion, die sich nicht beweisen läßt; denn man kan" sich keinen
Begriff macheu von einem Dinge, das, mit allen seinen Prädikaten aufgehoben,
einen Widerspruch hinterließe; ohne Widerspruch aber giebt es durch bloße
Begriffe ^ priori den, Merkmal der Unmöglichkeit, Ma" könnte aber noch
sagen, daß es einen Ausnahmefall gäbe, nämlich deu eines allerrealsteu Wesens,
in dessen Begriff ebeu das Dasein'mit eingeschlossen liegt, sodaß dessen Nicht¬
sein in sich selbst widersprechet wäre. Aber in deu Begriff eiues derartigen
Wesens hätte ma" alsda"" die Existenz, die ja erst bewiesen werden soll.
>chon widerrechtlich hineingeschmuggelt, sodaß. das Dasei" daraus nnedernm
abzulecken, ans eine elende Tautologie hinauslaufe" würde. Es handelt sich
überhaupt um eine Verwechslung des logischen mit dem realen Seinsprüdikate:
durch das erste, nämlich die Position eines Dinges seiner bloße" Möglichkeit
"ach, tritt zum Begriff dieses Dinges nichts hinzu -- hundert wirkliche Thaler
enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert gedachte Thaler --; anders


Anrn, Goethe und der Nwnisinus

Lichtenberg über die Männer der Wissenschaft und die Kathederphilosophen das
bittere Urteil fällte: „Eine gewisse Gefälligkeit gegen die Große» macht, das;
sie das meiste mit einer einschläfernden Unmaßgeblichkeit und feigen Unvor-
greiflichteit sagen/' In dieser schwülen und drückenden Geistesatmosphäre
entlud sich das Gewitter der Kantischen Philosophie, und die furchtbare»
Blitze seiner Dialektik zerschmetterten die morschen Stützen der scholastischen
und metaphysischen Wortweisheit, „Es gab nie eine größere That, sagt
Friedrich Nietzsche von der Kantischen Vernunftkritik (in der »Fröhlichen
Wissenschaft«. Seite 125). und wer nur immer nach uns geboren wird, ge-
hört um dieser That nulle» in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte
bisher war."

Die gewaltige Argnmentativ». mit der Kant die Grundlage aller speku¬
lativen Gottesbeweise, den ontologischen Beweis, zermalmte, war die folgende.
Der Begriff eines absolut »otwendigen Wesens ist el» reiner Vernunftbegriff,
das ist eine bloße Idee, deren objektive Realität dadurch, daß die Vernunft
ihrer zu Erkenntniszwecken bedarf, noch lange »icht bewiesen ist; den» aus
einer ganz willkürlich entworfue» Idee läßt sich das Dasein des ihr ent¬
sprechenden Gegenstands nicht ausklauben. Im Gegenteil können nur uns von
dem rein logisch konstruierten Begriffe gar keine konkrete Vorstellung machen,
und alle hernngezogneu analogen Beispiele beziehn sich nur auf Urteile, nicht
jedoch auf Dinge, wie z. B. der Satz, „daß ein Dreieck notwendig drei Winkel
habe." nur unter der Voraussetzung gilt, daß ein Dreieck überhaupt da ist.
Der Schein der zwingenden Notwendigkeit dieses Satzes liegt also nur darin,
daß mau in einem identischen Urteile, wenn mau das Subjekt behält, das
Prädikat nicht aufheben kan», ohne einen Widerspruch herbeizuführen; hebt
man aber das Subjekt zusammen mit dem Prädikat auf. so entsteht kein
Widerspruch, dem, es ist nichts mehr da. dem widersprochen werden könnte,
Nun könnte man aber einwenden, daß es Subjekte giebt, die gar nicht auf¬
gehoben werde» können, weil ihre Existenz notwendig sei. Das ist aber eine
willkürliche Assertion, die sich nicht beweisen läßt; denn man kan» sich keinen
Begriff macheu von einem Dinge, das, mit allen seinen Prädikaten aufgehoben,
einen Widerspruch hinterließe; ohne Widerspruch aber giebt es durch bloße
Begriffe ^ priori den, Merkmal der Unmöglichkeit, Ma» könnte aber noch
sagen, daß es einen Ausnahmefall gäbe, nämlich deu eines allerrealsteu Wesens,
in dessen Begriff ebeu das Dasein'mit eingeschlossen liegt, sodaß dessen Nicht¬
sein in sich selbst widersprechet wäre. Aber in deu Begriff eiues derartigen
Wesens hätte ma» alsda»» die Existenz, die ja erst bewiesen werden soll.
>chon widerrechtlich hineingeschmuggelt, sodaß. das Dasei» daraus nnedernm
abzulecken, ans eine elende Tautologie hinauslaufe» würde. Es handelt sich
überhaupt um eine Verwechslung des logischen mit dem realen Seinsprüdikate:
durch das erste, nämlich die Position eines Dinges seiner bloße» Möglichkeit
»ach, tritt zum Begriff dieses Dinges nichts hinzu — hundert wirkliche Thaler
enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert gedachte Thaler —; anders


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[0429] Anrn, Goethe und der Nwnisinus Lichtenberg über die Männer der Wissenschaft und die Kathederphilosophen das bittere Urteil fällte: „Eine gewisse Gefälligkeit gegen die Große» macht, das; sie das meiste mit einer einschläfernden Unmaßgeblichkeit und feigen Unvor- greiflichteit sagen/' In dieser schwülen und drückenden Geistesatmosphäre entlud sich das Gewitter der Kantischen Philosophie, und die furchtbare» Blitze seiner Dialektik zerschmetterten die morschen Stützen der scholastischen und metaphysischen Wortweisheit, „Es gab nie eine größere That, sagt Friedrich Nietzsche von der Kantischen Vernunftkritik (in der »Fröhlichen Wissenschaft«. Seite 125). und wer nur immer nach uns geboren wird, ge- hört um dieser That nulle» in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war." Die gewaltige Argnmentativ». mit der Kant die Grundlage aller speku¬ lativen Gottesbeweise, den ontologischen Beweis, zermalmte, war die folgende. Der Begriff eines absolut »otwendigen Wesens ist el» reiner Vernunftbegriff, das ist eine bloße Idee, deren objektive Realität dadurch, daß die Vernunft ihrer zu Erkenntniszwecken bedarf, noch lange »icht bewiesen ist; den» aus einer ganz willkürlich entworfue» Idee läßt sich das Dasein des ihr ent¬ sprechenden Gegenstands nicht ausklauben. Im Gegenteil können nur uns von dem rein logisch konstruierten Begriffe gar keine konkrete Vorstellung machen, und alle hernngezogneu analogen Beispiele beziehn sich nur auf Urteile, nicht jedoch auf Dinge, wie z. B. der Satz, „daß ein Dreieck notwendig drei Winkel habe." nur unter der Voraussetzung gilt, daß ein Dreieck überhaupt da ist. Der Schein der zwingenden Notwendigkeit dieses Satzes liegt also nur darin, daß mau in einem identischen Urteile, wenn mau das Subjekt behält, das Prädikat nicht aufheben kan», ohne einen Widerspruch herbeizuführen; hebt man aber das Subjekt zusammen mit dem Prädikat auf. so entsteht kein Widerspruch, dem, es ist nichts mehr da. dem widersprochen werden könnte, Nun könnte man aber einwenden, daß es Subjekte giebt, die gar nicht auf¬ gehoben werde» können, weil ihre Existenz notwendig sei. Das ist aber eine willkürliche Assertion, die sich nicht beweisen läßt; denn man kan» sich keinen Begriff macheu von einem Dinge, das, mit allen seinen Prädikaten aufgehoben, einen Widerspruch hinterließe; ohne Widerspruch aber giebt es durch bloße Begriffe ^ priori den, Merkmal der Unmöglichkeit, Ma» könnte aber noch sagen, daß es einen Ausnahmefall gäbe, nämlich deu eines allerrealsteu Wesens, in dessen Begriff ebeu das Dasein'mit eingeschlossen liegt, sodaß dessen Nicht¬ sein in sich selbst widersprechet wäre. Aber in deu Begriff eiues derartigen Wesens hätte ma» alsda»» die Existenz, die ja erst bewiesen werden soll. >chon widerrechtlich hineingeschmuggelt, sodaß. das Dasei» daraus nnedernm abzulecken, ans eine elende Tautologie hinauslaufe» würde. Es handelt sich überhaupt um eine Verwechslung des logischen mit dem realen Seinsprüdikate: durch das erste, nämlich die Position eines Dinges seiner bloße» Möglichkeit »ach, tritt zum Begriff dieses Dinges nichts hinzu — hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert gedachte Thaler —; anders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/429>, abgerufen am 24.08.2024.