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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aaut, Goethe und der Moxisnnis

gerade Weg zur philosophischen Schwärmerei sei. "Wenn also der Vernunft
in Sachen, die übersinnliche Gegenstände betreffen, das ihr zustehende Recht,
zuerst zu sprechen, bestritten wird, so ist dem Aberglauben eine weite Pforte
geöffnet." Deshalb kommt Kant zu dem Endergebnis (in der Vorrede zur
Kritik der reinen Vernunft), "daß nicht der kleinste Nutzen der Kritik die bessere
Zeitcmwendung einer wißbegierigen Jugend sei, die beim gewöhnlichen Dog¬
matismus soviel Aufmunterung bekommt, über Dinge, davon sie nichts ver¬
steht, bequem zu vernünfteln, oder gar ans Erfindung neuer Gedanken und
Meinungen auszugehn und die Erlernung gründlicher Wissenschaften zu ver¬
säumen."

Damit stürzte die Metaphysik mit ihren unfruchtbaren Klaubereieu über
das Übersinnliche, Transzendeute und Absolute. "Diese Verstimmung des
Gemüts," wie Kant in der Anthropologie die krankhafte Grübelsucht seines
Zeitalters nennt, "truü nicht füglich durch vernünftige Vorstellungen gehoben
werden, der Hang, in sich gekehrt zu sein, kann samt deu daher kommenden
Täuschungen des innern Sinnes mir dadurch in Ordnung gebracht werden,
daß der Mensch in die äußere Welt und hiermit in die Ordnung der Dinge,
die deu äußern Sinnen vorliegen, zurückgeführt wird." "Die Vernunft, heißt
es in der "Kritik der reinen Vernunft" (Ausgabe von Kirchmann, Seite 498),
kann dnrch keinen Zweifel subtiler, abgezogner Spekulation so niedergedrückt
werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischem Unentschlossenheit, gleichwie aus
einem Traume, durch den Blick, den sie auf die Wunder der Natur und die
Majestät des Weltbaus wirft, gerissen werden sollte."

Aus alldem leuchtet klar hervor, daß die Tendenz der Kantischen Philo¬
sophie gegen die Sucht gerichtet ist, über die Grenzen der Vernunft hinaus
spekulative Luftschlösser in die verbotue Sphäre hinein zu bauen, wo "im Meer
des ewigen Glanzes sterbend nutertnucheu Maß und Zeit": die verworrnen
Nebelbilder dieser unklaren Schwärmer und falschen Weisheitsprophcten wurden
durch die Sonnenstrahlen seines lichten Kritizismus vernichtet. Dagegen er¬
nährt er uns, hier uus umzuschauen, diesseits der Grenzen einer möglichen
Erkenntnis, und mit Beobachtung und Zergliederung der Natur zu Leibe zu
gehn. Mail ersieht daraus, ein wie schiefes Bild uus Haeckel von der Geistes¬
individualität Kants und der Richtung seiner Philosophie giebt, wenn er ihn
beständig tendenziös als einen Gegner des naturwissenschaftlichen Standpunkts
behandelt. Freilich paßt es den Haeckclianern nicht, daß ein Vertreter der
Philosophie "ut der Naturwissenschaften von der Bedeutung Kants -- und
hierin ganz im Einklang mit Kirchhofs, Helmholtz und du Vvis-Nehmond - mit
nnwiderlegliche.l Gründen die Grenzen der Natnrerkenntnis feststellt.

(Schluß folgt)




Aaut, Goethe und der Moxisnnis

gerade Weg zur philosophischen Schwärmerei sei. „Wenn also der Vernunft
in Sachen, die übersinnliche Gegenstände betreffen, das ihr zustehende Recht,
zuerst zu sprechen, bestritten wird, so ist dem Aberglauben eine weite Pforte
geöffnet." Deshalb kommt Kant zu dem Endergebnis (in der Vorrede zur
Kritik der reinen Vernunft), „daß nicht der kleinste Nutzen der Kritik die bessere
Zeitcmwendung einer wißbegierigen Jugend sei, die beim gewöhnlichen Dog¬
matismus soviel Aufmunterung bekommt, über Dinge, davon sie nichts ver¬
steht, bequem zu vernünfteln, oder gar ans Erfindung neuer Gedanken und
Meinungen auszugehn und die Erlernung gründlicher Wissenschaften zu ver¬
säumen."

Damit stürzte die Metaphysik mit ihren unfruchtbaren Klaubereieu über
das Übersinnliche, Transzendeute und Absolute. „Diese Verstimmung des
Gemüts," wie Kant in der Anthropologie die krankhafte Grübelsucht seines
Zeitalters nennt, „truü nicht füglich durch vernünftige Vorstellungen gehoben
werden, der Hang, in sich gekehrt zu sein, kann samt deu daher kommenden
Täuschungen des innern Sinnes mir dadurch in Ordnung gebracht werden,
daß der Mensch in die äußere Welt und hiermit in die Ordnung der Dinge,
die deu äußern Sinnen vorliegen, zurückgeführt wird." „Die Vernunft, heißt
es in der »Kritik der reinen Vernunft« (Ausgabe von Kirchmann, Seite 498),
kann dnrch keinen Zweifel subtiler, abgezogner Spekulation so niedergedrückt
werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischem Unentschlossenheit, gleichwie aus
einem Traume, durch den Blick, den sie auf die Wunder der Natur und die
Majestät des Weltbaus wirft, gerissen werden sollte."

Aus alldem leuchtet klar hervor, daß die Tendenz der Kantischen Philo¬
sophie gegen die Sucht gerichtet ist, über die Grenzen der Vernunft hinaus
spekulative Luftschlösser in die verbotue Sphäre hinein zu bauen, wo „im Meer
des ewigen Glanzes sterbend nutertnucheu Maß und Zeit": die verworrnen
Nebelbilder dieser unklaren Schwärmer und falschen Weisheitsprophcten wurden
durch die Sonnenstrahlen seines lichten Kritizismus vernichtet. Dagegen er¬
nährt er uns, hier uus umzuschauen, diesseits der Grenzen einer möglichen
Erkenntnis, und mit Beobachtung und Zergliederung der Natur zu Leibe zu
gehn. Mail ersieht daraus, ein wie schiefes Bild uus Haeckel von der Geistes¬
individualität Kants und der Richtung seiner Philosophie giebt, wenn er ihn
beständig tendenziös als einen Gegner des naturwissenschaftlichen Standpunkts
behandelt. Freilich paßt es den Haeckclianern nicht, daß ein Vertreter der
Philosophie »ut der Naturwissenschaften von der Bedeutung Kants — und
hierin ganz im Einklang mit Kirchhofs, Helmholtz und du Vvis-Nehmond - mit
nnwiderlegliche.l Gründen die Grenzen der Natnrerkenntnis feststellt.

(Schluß folgt)




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[0431] Aaut, Goethe und der Moxisnnis gerade Weg zur philosophischen Schwärmerei sei. „Wenn also der Vernunft in Sachen, die übersinnliche Gegenstände betreffen, das ihr zustehende Recht, zuerst zu sprechen, bestritten wird, so ist dem Aberglauben eine weite Pforte geöffnet." Deshalb kommt Kant zu dem Endergebnis (in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft), „daß nicht der kleinste Nutzen der Kritik die bessere Zeitcmwendung einer wißbegierigen Jugend sei, die beim gewöhnlichen Dog¬ matismus soviel Aufmunterung bekommt, über Dinge, davon sie nichts ver¬ steht, bequem zu vernünfteln, oder gar ans Erfindung neuer Gedanken und Meinungen auszugehn und die Erlernung gründlicher Wissenschaften zu ver¬ säumen." Damit stürzte die Metaphysik mit ihren unfruchtbaren Klaubereieu über das Übersinnliche, Transzendeute und Absolute. „Diese Verstimmung des Gemüts," wie Kant in der Anthropologie die krankhafte Grübelsucht seines Zeitalters nennt, „truü nicht füglich durch vernünftige Vorstellungen gehoben werden, der Hang, in sich gekehrt zu sein, kann samt deu daher kommenden Täuschungen des innern Sinnes mir dadurch in Ordnung gebracht werden, daß der Mensch in die äußere Welt und hiermit in die Ordnung der Dinge, die deu äußern Sinnen vorliegen, zurückgeführt wird." „Die Vernunft, heißt es in der »Kritik der reinen Vernunft« (Ausgabe von Kirchmann, Seite 498), kann dnrch keinen Zweifel subtiler, abgezogner Spekulation so niedergedrückt werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischem Unentschlossenheit, gleichwie aus einem Traume, durch den Blick, den sie auf die Wunder der Natur und die Majestät des Weltbaus wirft, gerissen werden sollte." Aus alldem leuchtet klar hervor, daß die Tendenz der Kantischen Philo¬ sophie gegen die Sucht gerichtet ist, über die Grenzen der Vernunft hinaus spekulative Luftschlösser in die verbotue Sphäre hinein zu bauen, wo „im Meer des ewigen Glanzes sterbend nutertnucheu Maß und Zeit": die verworrnen Nebelbilder dieser unklaren Schwärmer und falschen Weisheitsprophcten wurden durch die Sonnenstrahlen seines lichten Kritizismus vernichtet. Dagegen er¬ nährt er uns, hier uus umzuschauen, diesseits der Grenzen einer möglichen Erkenntnis, und mit Beobachtung und Zergliederung der Natur zu Leibe zu gehn. Mail ersieht daraus, ein wie schiefes Bild uus Haeckel von der Geistes¬ individualität Kants und der Richtung seiner Philosophie giebt, wenn er ihn beständig tendenziös als einen Gegner des naturwissenschaftlichen Standpunkts behandelt. Freilich paßt es den Haeckclianern nicht, daß ein Vertreter der Philosophie »ut der Naturwissenschaften von der Bedeutung Kants — und hierin ganz im Einklang mit Kirchhofs, Helmholtz und du Vvis-Nehmond - mit nnwiderlegliche.l Gründen die Grenzen der Natnrerkenntnis feststellt. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/431>, abgerufen am 24.08.2024.