Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kant, Goethe und dor Monisnius

in allen Teilen des Raumes, den sie annimmt, nud in allen Wirkungen, die
sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne sein können.
Ich habe also zwar nichts schlechthin-, sonder" lauter Komparativ-Innerliches,
das selbst wiederum aus äußern BerlMnisse" besteht. Allein das schlechthin,
dem reinen Verstände nach Innerliche der Materie ist auch eine bloße Grille;
denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand: das trans¬
zendentale Objekt aber, das der Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir
Materie nennen, ist ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal versteh" würden,
was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts
versteh", als was ein "usem Worten Korrespondierendes in der Anschauung
mit sich führt. Wenn die Klagen: wir sehen daS Innere der Dinge gar nicht
eil,, so viel bedeuten sollen, als: nur begreifen uicht durch den reinen Ver¬
stand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz
""billig und unvernünftig; denu sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge
erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß nur ein von dem menschlichen
nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art "ach gänzlich
ttnterschiedncs Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen
sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich,
viel weniger, wie sie beschaffen seien. Ins Innere der Natur dringt
Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und mau kann
nicht wissen, wie weit dies mit der Zeit gehn werde. Jene transzendentalen
Fragen aber, die über die Natur hinausgehn, würden wir bei allem dem doch
niemals beantworten könne", wenn uus auch die ganze Natur aufgedeckt wäre,
dn es uns uicht einmal gegeben ist, unser eignes Gemüt mit einer andern
Anschauung als der unsers innern Sinnes zu beobachten, Denn in demselben
liegt das Geheimnis des Ilrsprnugs unsrer Sinnlichkeit, Ihre Beziehung auf
ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne
Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nnr durch
innern Sinn, mithin als Erscheinung kenne". ein so unschickliches Werkzeug
unsrer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas andres, als immer wiederum
Erscheinungen aufzufinden, deren nicht-sinnliche Ursache wir doch gern erforschen
wollten,"

Beobachtung und Zergliederung -- also die Grundpfeiler der Natur¬
wissenschaften, das ist es, worauf Kant als eine Rettung des positiven Wissens
hinweist! Freilich fügt er als Korrektiv hinzu, daß nnr die Dinge nnr zu
erkennen vermöge", soweit sie Erscheinungen unsrer Sinne sind: was sie an
Reh sein möge", welchen Ursprung sie haben, welche Zwecke sie zu verwirk¬
ten bestimmt sind, und worin 'eigentlich der Zusammenhang unsrer Vor¬
stellungen mit den Naturobjekten b'estehu mag, können wir nicht begreifen.
"Es ist also ganz gewiß, sagt Kant am Schluß des 74. Paragraphen der
"Kritik der Urteilskraft", daß wir die organisierten Wesen und deren innere
Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zu¬
reichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können, und zwar so gewiß,


Kant, Goethe und dor Monisnius

in allen Teilen des Raumes, den sie annimmt, nud in allen Wirkungen, die
sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne sein können.
Ich habe also zwar nichts schlechthin-, sonder» lauter Komparativ-Innerliches,
das selbst wiederum aus äußern BerlMnisse» besteht. Allein das schlechthin,
dem reinen Verstände nach Innerliche der Materie ist auch eine bloße Grille;
denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand: das trans¬
zendentale Objekt aber, das der Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir
Materie nennen, ist ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal versteh» würden,
was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts
versteh», als was ein »usem Worten Korrespondierendes in der Anschauung
mit sich führt. Wenn die Klagen: wir sehen daS Innere der Dinge gar nicht
eil,, so viel bedeuten sollen, als: nur begreifen uicht durch den reinen Ver¬
stand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz
»»billig und unvernünftig; denu sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge
erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß nur ein von dem menschlichen
nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art »ach gänzlich
ttnterschiedncs Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen
sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich,
viel weniger, wie sie beschaffen seien. Ins Innere der Natur dringt
Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und mau kann
nicht wissen, wie weit dies mit der Zeit gehn werde. Jene transzendentalen
Fragen aber, die über die Natur hinausgehn, würden wir bei allem dem doch
niemals beantworten könne», wenn uus auch die ganze Natur aufgedeckt wäre,
dn es uns uicht einmal gegeben ist, unser eignes Gemüt mit einer andern
Anschauung als der unsers innern Sinnes zu beobachten, Denn in demselben
liegt das Geheimnis des Ilrsprnugs unsrer Sinnlichkeit, Ihre Beziehung auf
ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne
Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nnr durch
innern Sinn, mithin als Erscheinung kenne». ein so unschickliches Werkzeug
unsrer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas andres, als immer wiederum
Erscheinungen aufzufinden, deren nicht-sinnliche Ursache wir doch gern erforschen
wollten,"

Beobachtung und Zergliederung — also die Grundpfeiler der Natur¬
wissenschaften, das ist es, worauf Kant als eine Rettung des positiven Wissens
hinweist! Freilich fügt er als Korrektiv hinzu, daß nnr die Dinge nnr zu
erkennen vermöge», soweit sie Erscheinungen unsrer Sinne sind: was sie an
Reh sein möge», welchen Ursprung sie haben, welche Zwecke sie zu verwirk¬
ten bestimmt sind, und worin 'eigentlich der Zusammenhang unsrer Vor¬
stellungen mit den Naturobjekten b'estehu mag, können wir nicht begreifen.
"Es ist also ganz gewiß, sagt Kant am Schluß des 74. Paragraphen der
»Kritik der Urteilskraft«, daß wir die organisierten Wesen und deren innere
Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zu¬
reichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können, und zwar so gewiß,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234307"/>
          <fw type="header" place="top"> Kant, Goethe und dor Monisnius</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1404" prev="#ID_1403"> in allen Teilen des Raumes, den sie annimmt, nud in allen Wirkungen, die<lb/>
sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne sein können.<lb/>
Ich habe also zwar nichts schlechthin-, sonder» lauter Komparativ-Innerliches,<lb/>
das selbst wiederum aus äußern BerlMnisse» besteht. Allein das schlechthin,<lb/>
dem reinen Verstände nach Innerliche der Materie ist auch eine bloße Grille;<lb/>
denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand: das trans¬<lb/>
zendentale Objekt aber, das der Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir<lb/>
Materie nennen, ist ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal versteh» würden,<lb/>
was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts<lb/>
versteh», als was ein »usem Worten Korrespondierendes in der Anschauung<lb/>
mit sich führt. Wenn die Klagen: wir sehen daS Innere der Dinge gar nicht<lb/>
eil,, so viel bedeuten sollen, als: nur begreifen uicht durch den reinen Ver¬<lb/>
stand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz<lb/>
»»billig und unvernünftig; denu sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge<lb/>
erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß nur ein von dem menschlichen<lb/>
nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art »ach gänzlich<lb/>
ttnterschiedncs Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen<lb/>
sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich,<lb/>
viel weniger, wie sie beschaffen seien. Ins Innere der Natur dringt<lb/>
Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und mau kann<lb/>
nicht wissen, wie weit dies mit der Zeit gehn werde. Jene transzendentalen<lb/>
Fragen aber, die über die Natur hinausgehn, würden wir bei allem dem doch<lb/>
niemals beantworten könne», wenn uus auch die ganze Natur aufgedeckt wäre,<lb/>
dn es uns uicht einmal gegeben ist, unser eignes Gemüt mit einer andern<lb/>
Anschauung als der unsers innern Sinnes zu beobachten, Denn in demselben<lb/>
liegt das Geheimnis des Ilrsprnugs unsrer Sinnlichkeit, Ihre Beziehung auf<lb/>
ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne<lb/>
Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nnr durch<lb/>
innern Sinn, mithin als Erscheinung kenne». ein so unschickliches Werkzeug<lb/>
unsrer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas andres, als immer wiederum<lb/>
Erscheinungen aufzufinden, deren nicht-sinnliche Ursache wir doch gern erforschen<lb/>
wollten,"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1405" next="#ID_1406"> Beobachtung und Zergliederung &#x2014; also die Grundpfeiler der Natur¬<lb/>
wissenschaften, das ist es, worauf Kant als eine Rettung des positiven Wissens<lb/>
hinweist! Freilich fügt er als Korrektiv hinzu, daß nnr die Dinge nnr zu<lb/>
erkennen vermöge», soweit sie Erscheinungen unsrer Sinne sind: was sie an<lb/>
Reh sein möge», welchen Ursprung sie haben, welche Zwecke sie zu verwirk¬<lb/>
ten bestimmt sind, und worin 'eigentlich der Zusammenhang unsrer Vor¬<lb/>
stellungen mit den Naturobjekten b'estehu mag, können wir nicht begreifen.<lb/>
"Es ist also ganz gewiß, sagt Kant am Schluß des 74. Paragraphen der<lb/>
»Kritik der Urteilskraft«, daß wir die organisierten Wesen und deren innere<lb/>
Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zu¬<lb/>
reichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können, und zwar so gewiß,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] Kant, Goethe und dor Monisnius in allen Teilen des Raumes, den sie annimmt, nud in allen Wirkungen, die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne sein können. Ich habe also zwar nichts schlechthin-, sonder» lauter Komparativ-Innerliches, das selbst wiederum aus äußern BerlMnisse» besteht. Allein das schlechthin, dem reinen Verstände nach Innerliche der Materie ist auch eine bloße Grille; denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand: das trans¬ zendentale Objekt aber, das der Grund dieser Erscheinung sein mag, die wir Materie nennen, ist ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal versteh» würden, was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte. Denn wir können nichts versteh», als was ein »usem Worten Korrespondierendes in der Anschauung mit sich führt. Wenn die Klagen: wir sehen daS Innere der Dinge gar nicht eil,, so viel bedeuten sollen, als: nur begreifen uicht durch den reinen Ver¬ stand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich sein mögen, so sind sie ganz »»billig und unvernünftig; denu sie wollen, daß man ohne Sinne doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich daß nur ein von dem menschlichen nicht bloß dem Grade, sondern sogar der Anschauung und Art »ach gänzlich ttnterschiedncs Erkenntnisvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen sein sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich, viel weniger, wie sie beschaffen seien. Ins Innere der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und mau kann nicht wissen, wie weit dies mit der Zeit gehn werde. Jene transzendentalen Fragen aber, die über die Natur hinausgehn, würden wir bei allem dem doch niemals beantworten könne», wenn uus auch die ganze Natur aufgedeckt wäre, dn es uns uicht einmal gegeben ist, unser eignes Gemüt mit einer andern Anschauung als der unsers innern Sinnes zu beobachten, Denn in demselben liegt das Geheimnis des Ilrsprnugs unsrer Sinnlichkeit, Ihre Beziehung auf ein Objekt, und was der transzendentale Grund dieser Einheit sei, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir sogar uns selbst nnr durch innern Sinn, mithin als Erscheinung kenne». ein so unschickliches Werkzeug unsrer Nachforschung dazu brauchen könnten, etwas andres, als immer wiederum Erscheinungen aufzufinden, deren nicht-sinnliche Ursache wir doch gern erforschen wollten," Beobachtung und Zergliederung — also die Grundpfeiler der Natur¬ wissenschaften, das ist es, worauf Kant als eine Rettung des positiven Wissens hinweist! Freilich fügt er als Korrektiv hinzu, daß nnr die Dinge nnr zu erkennen vermöge», soweit sie Erscheinungen unsrer Sinne sind: was sie an Reh sein möge», welchen Ursprung sie haben, welche Zwecke sie zu verwirk¬ ten bestimmt sind, und worin 'eigentlich der Zusammenhang unsrer Vor¬ stellungen mit den Naturobjekten b'estehu mag, können wir nicht begreifen. "Es ist also ganz gewiß, sagt Kant am Schluß des 74. Paragraphen der »Kritik der Urteilskraft«, daß wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zu¬ reichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können, und zwar so gewiß,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/427>, abgerufen am 24.08.2024.