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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Rand, Goethe und der Monismus

und Theorie des Himmels/' das epochemachende Werk astronomischen Charak¬
ters, das die berühmte Nebularhypothese über die Entstehung der Sonnen¬
systeme enthalt. Von 1746 bis 1768 veröffentlicht er gleichfalls lauter Schriften
naturwissenschaftlichen Inhalts, besonders über Geologie und physische Geo¬
graphie. Nun tritt er 1770 seine Professur mit einer Inauguraldissertation
spekulativen Charakters an, die schou die Keime der Vernunftkritik in sich birgt.
Auf diese folgen aber wieder Schriften anthropologischen und kosmologischen
Inhalts, z, B, über die Entstehung der Menschenrassen, über die Vnlknne im
Monde, über den Einfluß des Mondes auf die Witterung usw. Im Jahre
1781 erscheint die "Kritik der reinen Vernunft," und es schließen sich ihr in
den darauffolgende" sechzehn Jahren die übrigen kritischen Hauptwerke an.
Von den beiden letzten Werten Kants ist wieder eins naturwissenschaftlichen
Charakters, die "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" (1798); das zweite,
ein philosophisches, ist "Der Streit der Fakultäten" (1798). Aber auch sein
nachgelassenes Werk handelt, charakteristisch genug, "Vom Übergang von den
metaphysischen Anfangsgründen der Naturwisseuschnft zur Physik" (herausge¬
geben von Krause, Lahr, 1888).

Mau muß also Kant sowohl als einen Vertreter der Naturwissenschaften
wie der Philosophie ansehen. Aber gerade das ist den Haeckelianern unbequem:
denn alles, was Kant über die Grenzen des Nnturerkennens gelehrt hat, er¬
hält dadurch eine doppelte Autorität; und darum suchen sie ihn abzuschütteln.
Kant hat selbst über die Stellung seiner Lehre in der Geschichte der Philo¬
sophie keinen Zweifel aufkommen lassen und dafür gesorgt, Mißverständnisse
und irrtümliche Auffassungen im Keime zu ersticken. Als nämlich die ersten
Rezensionen der "Kritik der reinen Vernunft," in völliger Verkennung der
eigentlichen Tendenz der Vernunftkritik, Kant bezichtigten, in schwer verstünd¬
licher Sprache "nichts andres zu lehren als Bcrkeleyscheu Idealismus" (Garve)
und "ohne es zu wissen ärger als Plato in der Jntellektnalwelt zu schwärmen"
(Hamann); ja als Hamann ihm geradezu Mystizismus vorwarf -- dn schrieb
Kant zur Abwehr die "Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik" (1783),
die in scharfer Sprache ein für allemal dieses Kardiualmißverständnis seiner
Lehre berichtigten. Als die Formel des gewöhnlichen Idealismus stellt Kant
den Satz auf: "Alle Erkenntnis durch Sinne und Erfahrung ist nichts als
Schein, und uur in den Ideen des reinen Verstandes und der reinen Vernunft
ist Wahrheit"; sein kritischer Idealismus aber lehre: "Alle Erkenntnis von
Dingen aus bloßem reinem Verstände oder reiner Vernunft ist nichts als Schein,
und nur in der Erfahrung ist Wahrheit" -- also gerade das Gegenteil!
Seine Lehre verhalte sich also zur bisherigen Metaphysik, wie Chemie zur
Alchemie, wie Astronomie zur Astrologie.

In der That hat .Kant diesen Kern seiner Lehre in der "Kritik der reinen
Vernunft" am tiefsten bei der Untersuchung des Begriffs der Materie (An¬
merkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe) klar ausgesprochen: "Die
Materie ist "notanda xlmönommion. Was ihr innerlich zukomme, suche ich


Rand, Goethe und der Monismus

und Theorie des Himmels/' das epochemachende Werk astronomischen Charak¬
ters, das die berühmte Nebularhypothese über die Entstehung der Sonnen¬
systeme enthalt. Von 1746 bis 1768 veröffentlicht er gleichfalls lauter Schriften
naturwissenschaftlichen Inhalts, besonders über Geologie und physische Geo¬
graphie. Nun tritt er 1770 seine Professur mit einer Inauguraldissertation
spekulativen Charakters an, die schou die Keime der Vernunftkritik in sich birgt.
Auf diese folgen aber wieder Schriften anthropologischen und kosmologischen
Inhalts, z, B, über die Entstehung der Menschenrassen, über die Vnlknne im
Monde, über den Einfluß des Mondes auf die Witterung usw. Im Jahre
1781 erscheint die „Kritik der reinen Vernunft," und es schließen sich ihr in
den darauffolgende» sechzehn Jahren die übrigen kritischen Hauptwerke an.
Von den beiden letzten Werten Kants ist wieder eins naturwissenschaftlichen
Charakters, die „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" (1798); das zweite,
ein philosophisches, ist „Der Streit der Fakultäten" (1798). Aber auch sein
nachgelassenes Werk handelt, charakteristisch genug, „Vom Übergang von den
metaphysischen Anfangsgründen der Naturwisseuschnft zur Physik" (herausge¬
geben von Krause, Lahr, 1888).

Mau muß also Kant sowohl als einen Vertreter der Naturwissenschaften
wie der Philosophie ansehen. Aber gerade das ist den Haeckelianern unbequem:
denn alles, was Kant über die Grenzen des Nnturerkennens gelehrt hat, er¬
hält dadurch eine doppelte Autorität; und darum suchen sie ihn abzuschütteln.
Kant hat selbst über die Stellung seiner Lehre in der Geschichte der Philo¬
sophie keinen Zweifel aufkommen lassen und dafür gesorgt, Mißverständnisse
und irrtümliche Auffassungen im Keime zu ersticken. Als nämlich die ersten
Rezensionen der „Kritik der reinen Vernunft," in völliger Verkennung der
eigentlichen Tendenz der Vernunftkritik, Kant bezichtigten, in schwer verstünd¬
licher Sprache „nichts andres zu lehren als Bcrkeleyscheu Idealismus" (Garve)
und „ohne es zu wissen ärger als Plato in der Jntellektnalwelt zu schwärmen"
(Hamann); ja als Hamann ihm geradezu Mystizismus vorwarf — dn schrieb
Kant zur Abwehr die „Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik" (1783),
die in scharfer Sprache ein für allemal dieses Kardiualmißverständnis seiner
Lehre berichtigten. Als die Formel des gewöhnlichen Idealismus stellt Kant
den Satz auf: „Alle Erkenntnis durch Sinne und Erfahrung ist nichts als
Schein, und uur in den Ideen des reinen Verstandes und der reinen Vernunft
ist Wahrheit"; sein kritischer Idealismus aber lehre: „Alle Erkenntnis von
Dingen aus bloßem reinem Verstände oder reiner Vernunft ist nichts als Schein,
und nur in der Erfahrung ist Wahrheit" — also gerade das Gegenteil!
Seine Lehre verhalte sich also zur bisherigen Metaphysik, wie Chemie zur
Alchemie, wie Astronomie zur Astrologie.

In der That hat .Kant diesen Kern seiner Lehre in der „Kritik der reinen
Vernunft" am tiefsten bei der Untersuchung des Begriffs der Materie (An¬
merkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe) klar ausgesprochen: „Die
Materie ist »notanda xlmönommion. Was ihr innerlich zukomme, suche ich


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[0426] Rand, Goethe und der Monismus und Theorie des Himmels/' das epochemachende Werk astronomischen Charak¬ ters, das die berühmte Nebularhypothese über die Entstehung der Sonnen¬ systeme enthalt. Von 1746 bis 1768 veröffentlicht er gleichfalls lauter Schriften naturwissenschaftlichen Inhalts, besonders über Geologie und physische Geo¬ graphie. Nun tritt er 1770 seine Professur mit einer Inauguraldissertation spekulativen Charakters an, die schou die Keime der Vernunftkritik in sich birgt. Auf diese folgen aber wieder Schriften anthropologischen und kosmologischen Inhalts, z, B, über die Entstehung der Menschenrassen, über die Vnlknne im Monde, über den Einfluß des Mondes auf die Witterung usw. Im Jahre 1781 erscheint die „Kritik der reinen Vernunft," und es schließen sich ihr in den darauffolgende» sechzehn Jahren die übrigen kritischen Hauptwerke an. Von den beiden letzten Werten Kants ist wieder eins naturwissenschaftlichen Charakters, die „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" (1798); das zweite, ein philosophisches, ist „Der Streit der Fakultäten" (1798). Aber auch sein nachgelassenes Werk handelt, charakteristisch genug, „Vom Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwisseuschnft zur Physik" (herausge¬ geben von Krause, Lahr, 1888). Mau muß also Kant sowohl als einen Vertreter der Naturwissenschaften wie der Philosophie ansehen. Aber gerade das ist den Haeckelianern unbequem: denn alles, was Kant über die Grenzen des Nnturerkennens gelehrt hat, er¬ hält dadurch eine doppelte Autorität; und darum suchen sie ihn abzuschütteln. Kant hat selbst über die Stellung seiner Lehre in der Geschichte der Philo¬ sophie keinen Zweifel aufkommen lassen und dafür gesorgt, Mißverständnisse und irrtümliche Auffassungen im Keime zu ersticken. Als nämlich die ersten Rezensionen der „Kritik der reinen Vernunft," in völliger Verkennung der eigentlichen Tendenz der Vernunftkritik, Kant bezichtigten, in schwer verstünd¬ licher Sprache „nichts andres zu lehren als Bcrkeleyscheu Idealismus" (Garve) und „ohne es zu wissen ärger als Plato in der Jntellektnalwelt zu schwärmen" (Hamann); ja als Hamann ihm geradezu Mystizismus vorwarf — dn schrieb Kant zur Abwehr die „Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik" (1783), die in scharfer Sprache ein für allemal dieses Kardiualmißverständnis seiner Lehre berichtigten. Als die Formel des gewöhnlichen Idealismus stellt Kant den Satz auf: „Alle Erkenntnis durch Sinne und Erfahrung ist nichts als Schein, und uur in den Ideen des reinen Verstandes und der reinen Vernunft ist Wahrheit"; sein kritischer Idealismus aber lehre: „Alle Erkenntnis von Dingen aus bloßem reinem Verstände oder reiner Vernunft ist nichts als Schein, und nur in der Erfahrung ist Wahrheit" — also gerade das Gegenteil! Seine Lehre verhalte sich also zur bisherigen Metaphysik, wie Chemie zur Alchemie, wie Astronomie zur Astrologie. In der That hat .Kant diesen Kern seiner Lehre in der „Kritik der reinen Vernunft" am tiefsten bei der Untersuchung des Begriffs der Materie (An¬ merkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe) klar ausgesprochen: „Die Materie ist »notanda xlmönommion. Was ihr innerlich zukomme, suche ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/426>, abgerufen am 27.06.2024.