Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wozu der Lärm?

Aus diesem Widerspruch Kapital z" schlagen gegen die kaiserliche Politik,
gegen den Kaiser und mich gegen den Grafen Bülow persönlich, der es seit
seiner Abfertigung vom 16, Dezember mit den Altdeutschen und den National-
liberalen ganz verdorben hat, diese Politik ans persönliche Launen, auf die
englischen Familienbeziehnugen und dergleichen unsachliche Beweggründe zurück¬
zuführen, das wäre eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit und Unverschämtheit,
weil darin die Anklage grober Pflichtvergessenheit liegt, lind was null und
kann man denn auch mit diesen Treibereien eigentlich erreichen? Darüber
müßte man sich doch klar sein. Meint man den Kaiser etwa von dem Wege
abdrängen zu können, den er sich vorgezeichnet hat, will man ihn zu der
"Volksmeinung" bekehren, oder ihn zwingen, sich dieser Nolksmeinung zu
unterwerfen? Dann schaffe man erst eine Neichstagsmehrheit, die dieser
Meinung entspricht, die jetzt aber nicht vorhanden ist, und mau setze an die
Stelle des verfassungsmäßigen konstitutionellen Regiments das parlamentarische
"System." Anders geht es wirklich nicht, und das wäre auch gewissen Leuten
am liebsten, Mu" will eben von einen, persönlichen Willen des Monarchen
nichts mehr wissen, er soll sich mindestens immer von dem "verantwortlichen"
Minister gängeln lassen. Geht der Kaiser wie jetzt in Familienangelegenheiten
nach England ohne den Grafen Bülow, so ist das höchst bedenklich, denn er
könnte -- sit pfui" vsrdo -- irgend einen unbedachten Streich machen. Nimmt
er ihn mit, wie im November 1899, so ist auch das bedenklich, denn das
verrät die Absicht, sich England politisch zu nähern, womit sich der deutsche
Staatsbürger schon aus moralischen Gründen niemals einverstanden erklären
kann. Als ob die übermächtige Stellung, die ein genialer Staatsmann in
den letzten Jahren Kaiser Wilhelms I. eingenommen hat, an sich das normale
Verhältnis wäre, als ob nicht auch Wilhelm I. in jede große politische Hand¬
lung trotz Bismarck ein Stück seines eignen Wesens hineingelegt hätte, wie
das Erich Marcks in seiner schönen Biographie, die vor kurzem in wesentlich
vermehrter, alle neuem Publikationen und Forschungen sorgfältig berück¬
sichtigender vierter Auflage erschienen ist (Leipzig, Duncker und Humblot, 1900).
oft genug nachweist, z. B. bei dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879
(S. 372 ff.). Wenn Wilhelm II. seinen persönlichen Einfluß stärker in die
Politik hineinträgt, als Wilhelm 1. in seinem letzten Jahrzehnt gethan hat, so ist
Graf Bülow auch kein Bismarck und braucht es auch gar nicht zu sein; denu
die heroische Kraft, deren es bedürfte, die eigensinnigen Deutschen gegen ihren
Willen zu einigen -- schlimm genug, daß nur eine solche dieses Notwendigste
von der Welt vermochte! --. ist heute in unsern gefestigten Verhältnissen
weniger nötig, als richtige Einsicht und ruhige Entschlossenheit, Wie weit
über parlamentarisch regierte Länder kommen, wo der Monarch höchstens noch
das Pünktchen aufs i zu setzen hat, z. B. England, das sich von einer schamlos
habgierigen Kapitalistengruppe in den Burenkrieg hineinsetzen ließ, obwohl
ihn Königin Viktoria nicht wollte, oder Italien, das vor den parlamentarischen
Klopffechtereien und dem ewigen Ministerwechsel nicht einmal zu den aller-
dringendsten innern Reformen gelangen kann, das lehrt der Augenschein; wohin


wozu der Lärm?

Aus diesem Widerspruch Kapital z» schlagen gegen die kaiserliche Politik,
gegen den Kaiser und mich gegen den Grafen Bülow persönlich, der es seit
seiner Abfertigung vom 16, Dezember mit den Altdeutschen und den National-
liberalen ganz verdorben hat, diese Politik ans persönliche Launen, auf die
englischen Familienbeziehnugen und dergleichen unsachliche Beweggründe zurück¬
zuführen, das wäre eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit und Unverschämtheit,
weil darin die Anklage grober Pflichtvergessenheit liegt, lind was null und
kann man denn auch mit diesen Treibereien eigentlich erreichen? Darüber
müßte man sich doch klar sein. Meint man den Kaiser etwa von dem Wege
abdrängen zu können, den er sich vorgezeichnet hat, will man ihn zu der
„Volksmeinung" bekehren, oder ihn zwingen, sich dieser Nolksmeinung zu
unterwerfen? Dann schaffe man erst eine Neichstagsmehrheit, die dieser
Meinung entspricht, die jetzt aber nicht vorhanden ist, und mau setze an die
Stelle des verfassungsmäßigen konstitutionellen Regiments das parlamentarische
„System." Anders geht es wirklich nicht, und das wäre auch gewissen Leuten
am liebsten, Mu» will eben von einen, persönlichen Willen des Monarchen
nichts mehr wissen, er soll sich mindestens immer von dem „verantwortlichen"
Minister gängeln lassen. Geht der Kaiser wie jetzt in Familienangelegenheiten
nach England ohne den Grafen Bülow, so ist das höchst bedenklich, denn er
könnte — sit pfui» vsrdo — irgend einen unbedachten Streich machen. Nimmt
er ihn mit, wie im November 1899, so ist auch das bedenklich, denn das
verrät die Absicht, sich England politisch zu nähern, womit sich der deutsche
Staatsbürger schon aus moralischen Gründen niemals einverstanden erklären
kann. Als ob die übermächtige Stellung, die ein genialer Staatsmann in
den letzten Jahren Kaiser Wilhelms I. eingenommen hat, an sich das normale
Verhältnis wäre, als ob nicht auch Wilhelm I. in jede große politische Hand¬
lung trotz Bismarck ein Stück seines eignen Wesens hineingelegt hätte, wie
das Erich Marcks in seiner schönen Biographie, die vor kurzem in wesentlich
vermehrter, alle neuem Publikationen und Forschungen sorgfältig berück¬
sichtigender vierter Auflage erschienen ist (Leipzig, Duncker und Humblot, 1900).
oft genug nachweist, z. B. bei dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879
(S. 372 ff.). Wenn Wilhelm II. seinen persönlichen Einfluß stärker in die
Politik hineinträgt, als Wilhelm 1. in seinem letzten Jahrzehnt gethan hat, so ist
Graf Bülow auch kein Bismarck und braucht es auch gar nicht zu sein; denu
die heroische Kraft, deren es bedürfte, die eigensinnigen Deutschen gegen ihren
Willen zu einigen — schlimm genug, daß nur eine solche dieses Notwendigste
von der Welt vermochte! —. ist heute in unsern gefestigten Verhältnissen
weniger nötig, als richtige Einsicht und ruhige Entschlossenheit, Wie weit
über parlamentarisch regierte Länder kommen, wo der Monarch höchstens noch
das Pünktchen aufs i zu setzen hat, z. B. England, das sich von einer schamlos
habgierigen Kapitalistengruppe in den Burenkrieg hineinsetzen ließ, obwohl
ihn Königin Viktoria nicht wollte, oder Italien, das vor den parlamentarischen
Klopffechtereien und dem ewigen Ministerwechsel nicht einmal zu den aller-
dringendsten innern Reformen gelangen kann, das lehrt der Augenschein; wohin


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234285"/>
          <fw type="header" place="top"> wozu der Lärm?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1326" next="#ID_1327"> Aus diesem Widerspruch Kapital z» schlagen gegen die kaiserliche Politik,<lb/>
gegen den Kaiser und mich gegen den Grafen Bülow persönlich, der es seit<lb/>
seiner Abfertigung vom 16, Dezember mit den Altdeutschen und den National-<lb/>
liberalen ganz verdorben hat, diese Politik ans persönliche Launen, auf die<lb/>
englischen Familienbeziehnugen und dergleichen unsachliche Beweggründe zurück¬<lb/>
zuführen, das wäre eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit und Unverschämtheit,<lb/>
weil darin die Anklage grober Pflichtvergessenheit liegt, lind was null und<lb/>
kann man denn auch mit diesen Treibereien eigentlich erreichen? Darüber<lb/>
müßte man sich doch klar sein. Meint man den Kaiser etwa von dem Wege<lb/>
abdrängen zu können, den er sich vorgezeichnet hat, will man ihn zu der<lb/>
&#x201E;Volksmeinung" bekehren, oder ihn zwingen, sich dieser Nolksmeinung zu<lb/>
unterwerfen? Dann schaffe man erst eine Neichstagsmehrheit, die dieser<lb/>
Meinung entspricht, die jetzt aber nicht vorhanden ist, und mau setze an die<lb/>
Stelle des verfassungsmäßigen konstitutionellen Regiments das parlamentarische<lb/>
&#x201E;System." Anders geht es wirklich nicht, und das wäre auch gewissen Leuten<lb/>
am liebsten, Mu» will eben von einen, persönlichen Willen des Monarchen<lb/>
nichts mehr wissen, er soll sich mindestens immer von dem &#x201E;verantwortlichen"<lb/>
Minister gängeln lassen. Geht der Kaiser wie jetzt in Familienangelegenheiten<lb/>
nach England ohne den Grafen Bülow, so ist das höchst bedenklich, denn er<lb/>
könnte &#x2014; sit pfui» vsrdo &#x2014; irgend einen unbedachten Streich machen. Nimmt<lb/>
er ihn mit, wie im November 1899, so ist auch das bedenklich, denn das<lb/>
verrät die Absicht, sich England politisch zu nähern, womit sich der deutsche<lb/>
Staatsbürger schon aus moralischen Gründen niemals einverstanden erklären<lb/>
kann. Als ob die übermächtige Stellung, die ein genialer Staatsmann in<lb/>
den letzten Jahren Kaiser Wilhelms I. eingenommen hat, an sich das normale<lb/>
Verhältnis wäre, als ob nicht auch Wilhelm I. in jede große politische Hand¬<lb/>
lung trotz Bismarck ein Stück seines eignen Wesens hineingelegt hätte, wie<lb/>
das Erich Marcks in seiner schönen Biographie, die vor kurzem in wesentlich<lb/>
vermehrter, alle neuem Publikationen und Forschungen sorgfältig berück¬<lb/>
sichtigender vierter Auflage erschienen ist (Leipzig, Duncker und Humblot, 1900).<lb/>
oft genug nachweist, z. B. bei dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879<lb/>
(S. 372 ff.). Wenn Wilhelm II. seinen persönlichen Einfluß stärker in die<lb/>
Politik hineinträgt, als Wilhelm 1. in seinem letzten Jahrzehnt gethan hat, so ist<lb/>
Graf Bülow auch kein Bismarck und braucht es auch gar nicht zu sein; denu<lb/>
die heroische Kraft, deren es bedürfte, die eigensinnigen Deutschen gegen ihren<lb/>
Willen zu einigen &#x2014; schlimm genug, daß nur eine solche dieses Notwendigste<lb/>
von der Welt vermochte! &#x2014;. ist heute in unsern gefestigten Verhältnissen<lb/>
weniger nötig, als richtige Einsicht und ruhige Entschlossenheit, Wie weit<lb/>
über parlamentarisch regierte Länder kommen, wo der Monarch höchstens noch<lb/>
das Pünktchen aufs i zu setzen hat, z. B. England, das sich von einer schamlos<lb/>
habgierigen Kapitalistengruppe in den Burenkrieg hineinsetzen ließ, obwohl<lb/>
ihn Königin Viktoria nicht wollte, oder Italien, das vor den parlamentarischen<lb/>
Klopffechtereien und dem ewigen Ministerwechsel nicht einmal zu den aller-<lb/>
dringendsten innern Reformen gelangen kann, das lehrt der Augenschein; wohin</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] wozu der Lärm? Aus diesem Widerspruch Kapital z» schlagen gegen die kaiserliche Politik, gegen den Kaiser und mich gegen den Grafen Bülow persönlich, der es seit seiner Abfertigung vom 16, Dezember mit den Altdeutschen und den National- liberalen ganz verdorben hat, diese Politik ans persönliche Launen, auf die englischen Familienbeziehnugen und dergleichen unsachliche Beweggründe zurück¬ zuführen, das wäre eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit und Unverschämtheit, weil darin die Anklage grober Pflichtvergessenheit liegt, lind was null und kann man denn auch mit diesen Treibereien eigentlich erreichen? Darüber müßte man sich doch klar sein. Meint man den Kaiser etwa von dem Wege abdrängen zu können, den er sich vorgezeichnet hat, will man ihn zu der „Volksmeinung" bekehren, oder ihn zwingen, sich dieser Nolksmeinung zu unterwerfen? Dann schaffe man erst eine Neichstagsmehrheit, die dieser Meinung entspricht, die jetzt aber nicht vorhanden ist, und mau setze an die Stelle des verfassungsmäßigen konstitutionellen Regiments das parlamentarische „System." Anders geht es wirklich nicht, und das wäre auch gewissen Leuten am liebsten, Mu» will eben von einen, persönlichen Willen des Monarchen nichts mehr wissen, er soll sich mindestens immer von dem „verantwortlichen" Minister gängeln lassen. Geht der Kaiser wie jetzt in Familienangelegenheiten nach England ohne den Grafen Bülow, so ist das höchst bedenklich, denn er könnte — sit pfui» vsrdo — irgend einen unbedachten Streich machen. Nimmt er ihn mit, wie im November 1899, so ist auch das bedenklich, denn das verrät die Absicht, sich England politisch zu nähern, womit sich der deutsche Staatsbürger schon aus moralischen Gründen niemals einverstanden erklären kann. Als ob die übermächtige Stellung, die ein genialer Staatsmann in den letzten Jahren Kaiser Wilhelms I. eingenommen hat, an sich das normale Verhältnis wäre, als ob nicht auch Wilhelm I. in jede große politische Hand¬ lung trotz Bismarck ein Stück seines eignen Wesens hineingelegt hätte, wie das Erich Marcks in seiner schönen Biographie, die vor kurzem in wesentlich vermehrter, alle neuem Publikationen und Forschungen sorgfältig berück¬ sichtigender vierter Auflage erschienen ist (Leipzig, Duncker und Humblot, 1900). oft genug nachweist, z. B. bei dem deutsch-österreichischen Bündnis von 1879 (S. 372 ff.). Wenn Wilhelm II. seinen persönlichen Einfluß stärker in die Politik hineinträgt, als Wilhelm 1. in seinem letzten Jahrzehnt gethan hat, so ist Graf Bülow auch kein Bismarck und braucht es auch gar nicht zu sein; denu die heroische Kraft, deren es bedürfte, die eigensinnigen Deutschen gegen ihren Willen zu einigen — schlimm genug, daß nur eine solche dieses Notwendigste von der Welt vermochte! —. ist heute in unsern gefestigten Verhältnissen weniger nötig, als richtige Einsicht und ruhige Entschlossenheit, Wie weit über parlamentarisch regierte Länder kommen, wo der Monarch höchstens noch das Pünktchen aufs i zu setzen hat, z. B. England, das sich von einer schamlos habgierigen Kapitalistengruppe in den Burenkrieg hineinsetzen ließ, obwohl ihn Königin Viktoria nicht wollte, oder Italien, das vor den parlamentarischen Klopffechtereien und dem ewigen Ministerwechsel nicht einmal zu den aller- dringendsten innern Reformen gelangen kann, das lehrt der Augenschein; wohin

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/405>, abgerufen am 27.06.2024.