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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Moz" der Lärm?

Festlegung seiner Landmacht in Südafrika, die jetzt seine Aktion in China zur
Freude der Russen lahmt, vermiede". Aber man soll doch auch nicht ver¬
kennen, daß, da die Dinge dort um einmal so liegen, wie sie eben liegen,
England gar nicht mehr zurückweiche" kann, denn es handelt sich um seine
ganze Stellung in Südafrika, und von dieser hangt die Beherrschung des
einzigen ihm ganz sichern Seewegs nach Indien ab. Es ist übrigens noch
sehr die Frage, ob unserm südwestafrikamscheu Besitz eine selbständige, süd¬
afrikanische Bundesrepublik, die für eine große Bureupvlitik das Ziel Hütte sein
müssen, nicht gefährlicher wäre als die englische Herrschaft dort. Wenn sich
eines Tages der Ruf: "Südafrika für die Afrikauder!" auch auf den deutschen
Besitz richtete, so würden wir ihn uur schwer behaupte" können. Jedenfalls
kann das Deutsche Reich so wenig wie eine andre Großmacht die politische
Sittenpolizei in der Welt übernehmen und seine Bundesgenossen nach ihrer
sittliche" Unbescholtenheit wählen, denn dann würde es überhaupt keine finden.
Am wenigsten käme dann jedenfalls Rußland in Betracht, dessen Polen- und
Baltenpolitik mindestens ebenso gewaltsam ist wie das englische Borgehn in
Südafrika, Den politischen Don Quirote zu spielen, davor hat niemand
energischer gewarnt als Fürst Bismarck; er hat trotz aller moralisch unzweifel¬
haft höchst verwerflichen russischen Grausamkeiten gegen die baltischen Deutschen,
die uns doch viel näher stehn als die Buren, das gute Einvernehmen mit
Rußland immer als den Grundstein seiner Politik betrachtet, und es ist eine
platte Albernheit, dem Grafen Bülow, der sich natürlich zu denselben Grund¬
sätzen bekennt und wie sein großer Vorgänger mir die deutschen Interessen
zur Richtschnur seines Handelns nimmt, vorzuwerfen, er habe "die Moral aus
der Politik hinausgewiesen," Es ist gar kein Zweifel, daß sich weder Ru߬
land noch Frankreich dnrch moralische Bedenken, nicht einmal durch das böse
Klndderadatschgedicht auf König Eduard VII. und dnrch die Rücksicht ans die
Neutralität in: südafrikanischen Kriege einen Augenblick abhalten lassen würde,
sich mit England in nähere Beziehungen einzulassen, wenn es ihren Interessen
entsprechen sollte. Von einer friedlichen englisch-russische" Vereinbarung über
Asien reden zuweilen schon Blätter auf beiden Seiten; vielleicht würden wir
sie herbeiführen helfen, wenn wir gegen England die Spröden spielten, und
dann würde unsre Situation anch in Europa überaus angenehm werden.
Auch der Staat unterliegt allerdings dem Sittengesetz; wenn trotzdem oft
einmal ein Konflikt zwischen Politik und Moral eintritt, so beruht dieser ent¬
weder auf dem Gegensatz zwischen der Politik und dem positiven Recht oder
auf dem Konflikt zweier sittlichen Pflichten, wie er im Leben jedes einzelnen
vorkommt; für den Staatsmann aber ist die höchste sittliche Pflicht die Selbst¬
behauptung seines Staats, die Sicherung und Stärkung seiner Macht, denn
der Staat ist Macht (vgl, Treitschke, Politik I. 95 ff,). Das deutsche Volk
braucht sich seine Shmpathien für die Buren gar nicht nehmen zu lassen, und
es ist ein schöner Zug, daß es das Unrecht gegen die Buren so lebhaft
empfindet, aber es soll nicht fordern, daß sich die Leiter seiner Politik in ihrem
Verhalten davo" beherrschen lassen.


Moz» der Lärm?

Festlegung seiner Landmacht in Südafrika, die jetzt seine Aktion in China zur
Freude der Russen lahmt, vermiede». Aber man soll doch auch nicht ver¬
kennen, daß, da die Dinge dort um einmal so liegen, wie sie eben liegen,
England gar nicht mehr zurückweiche» kann, denn es handelt sich um seine
ganze Stellung in Südafrika, und von dieser hangt die Beherrschung des
einzigen ihm ganz sichern Seewegs nach Indien ab. Es ist übrigens noch
sehr die Frage, ob unserm südwestafrikamscheu Besitz eine selbständige, süd¬
afrikanische Bundesrepublik, die für eine große Bureupvlitik das Ziel Hütte sein
müssen, nicht gefährlicher wäre als die englische Herrschaft dort. Wenn sich
eines Tages der Ruf: „Südafrika für die Afrikauder!" auch auf den deutschen
Besitz richtete, so würden wir ihn uur schwer behaupte» können. Jedenfalls
kann das Deutsche Reich so wenig wie eine andre Großmacht die politische
Sittenpolizei in der Welt übernehmen und seine Bundesgenossen nach ihrer
sittliche» Unbescholtenheit wählen, denn dann würde es überhaupt keine finden.
Am wenigsten käme dann jedenfalls Rußland in Betracht, dessen Polen- und
Baltenpolitik mindestens ebenso gewaltsam ist wie das englische Borgehn in
Südafrika, Den politischen Don Quirote zu spielen, davor hat niemand
energischer gewarnt als Fürst Bismarck; er hat trotz aller moralisch unzweifel¬
haft höchst verwerflichen russischen Grausamkeiten gegen die baltischen Deutschen,
die uns doch viel näher stehn als die Buren, das gute Einvernehmen mit
Rußland immer als den Grundstein seiner Politik betrachtet, und es ist eine
platte Albernheit, dem Grafen Bülow, der sich natürlich zu denselben Grund¬
sätzen bekennt und wie sein großer Vorgänger mir die deutschen Interessen
zur Richtschnur seines Handelns nimmt, vorzuwerfen, er habe „die Moral aus
der Politik hinausgewiesen," Es ist gar kein Zweifel, daß sich weder Ru߬
land noch Frankreich dnrch moralische Bedenken, nicht einmal durch das böse
Klndderadatschgedicht auf König Eduard VII. und dnrch die Rücksicht ans die
Neutralität in: südafrikanischen Kriege einen Augenblick abhalten lassen würde,
sich mit England in nähere Beziehungen einzulassen, wenn es ihren Interessen
entsprechen sollte. Von einer friedlichen englisch-russische» Vereinbarung über
Asien reden zuweilen schon Blätter auf beiden Seiten; vielleicht würden wir
sie herbeiführen helfen, wenn wir gegen England die Spröden spielten, und
dann würde unsre Situation anch in Europa überaus angenehm werden.
Auch der Staat unterliegt allerdings dem Sittengesetz; wenn trotzdem oft
einmal ein Konflikt zwischen Politik und Moral eintritt, so beruht dieser ent¬
weder auf dem Gegensatz zwischen der Politik und dem positiven Recht oder
auf dem Konflikt zweier sittlichen Pflichten, wie er im Leben jedes einzelnen
vorkommt; für den Staatsmann aber ist die höchste sittliche Pflicht die Selbst¬
behauptung seines Staats, die Sicherung und Stärkung seiner Macht, denn
der Staat ist Macht (vgl, Treitschke, Politik I. 95 ff,). Das deutsche Volk
braucht sich seine Shmpathien für die Buren gar nicht nehmen zu lassen, und
es ist ein schöner Zug, daß es das Unrecht gegen die Buren so lebhaft
empfindet, aber es soll nicht fordern, daß sich die Leiter seiner Politik in ihrem
Verhalten davo» beherrschen lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/404>, abgerufen am 27.06.2024.