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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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einzelnen Teile der Gesetzesvvrlage angestellt worden. Ganz allgemein könne
aber schon jetzt bemerkt werden, daß der für den voll entwickelten Wasscrver-
kehr berechnete Ausfall nicht schon in den ersten Jahren, sondern erst nach
einer mehr oder weniger langen Entwicklungszeit eintreten werde, und daß der
Ausfall an Roheinnahmen nur einen viel geringern Ausfall an Reineinnahmen
zur Folge haben werde. Für den Rhein-Elbekanal rechnet die ihm besonders
gewidmete Denkschrift damit, daß sich die Verschiebungen zu Ungunsten der
Eisenbahnen verhältnismäßig bald geltend macheu würden. Es handle sich
hier vorwiegend um Güter, die in große" Massen von verhältnismäßig wenig
Versendern aufgegeben würden, für die natürlich der Anreiz einer Fracht¬
ersparnis um so stärker wirke. Es liege deshalb auch die Annahme nahe,
daß die westliche Kohlen- und Eisenindustrie die zehnjährige Zwischenzeit bis
zur Kaualeröffnung nicht ungenützt vorübergehn lassen würde, sich für eine
frühzeitige Ausnützung des neuen Wasserwegs vorzubereiten. Immerhin sei
es schwierig, mit einiger Sicherheit den Zeitpunkt voranszubestimmen, bis zu
dem sich die völlige Abgabe des etwa im Jahre 1910 vorhandnen Eisenbahn¬
verkehrs an den Kanal vollzogen haben werde. Nach einer schematisch und
sozusagen rein theoretisch vvrgenommnen Berechnung wird die vorübergehende
Verminderung der Bruttoeinnahmen der preußischen Staatseisenbahn infolge
der Kanaleröffnung als höchster Betrag für ein Jahr auf uicht weniger als
71 Millionen Mark, und die Verminderung der Überschüsse der Staatsbahnen,
also sozusagen der Nettvausfall, auf 57 Millionen angenommen. Das ist eine
sehr große Zahl, die einen in der That im ersten Augenblick vor den Kopf
stoßen muß, aber doch auch beweist, daß sich die Staatsregierung über die
Größe des Risikos nicht hat hinwegtäusche" wollen. Hat mau wirklich auch
nur für eine nicht allzulange Reihe von Jahren mit solchen riesigen Ausfällen
der Eisenbahnüberschüssc zu rechnen, die natürlich durch Kaualüberschüsse nur
zu einem kleinen Teil gedeckt werden würden, so bekommt die Sache denn
doch ein viel ernsteres Gesicht, und man könnte dann wohl nicht mit Unrecht
von Hunderten von Millionen reden, die außer deu beträchtlichen Baugeldern
noch in den Rhein-Elbckcmal geworfen werden sollen.

Wie hat sich die Staatsregierung mit diesen theoretische" Berechnungen
abgefunden? Wie liegt die Frage nach ihrer Erkenntnis in xrgxi? In der
Kommission wird gerade darüber am eingehendsten verhandelt werden müssen,
aber man kann nach allem, was schon vor der Öffentlichkeit darüber verhandelt
ist, schon jetzt die Antwort dahin geben: Jedenfalls so, daß sich die Regierung
nach pflichtmäßigem Ermessen für den Bau des Rhein-Elbekanals entscheiden
mußte. Der Eisenbahnminister hat schon am ersten Verhandlnngstage diese
theoretische Rechnerei so gründlich desavouiert, daß man eigentlich nicht recht
begreift, warum sie überhaupt aufgestellt und vollends mit dem eindrucksvoller
Nimbus, der nun einmal solchen Zahlentabellen anhaftet, in der Begründung
veröffentlicht worden ist. Er sagte wörtlich: "Wenn aber wirklich der schema¬
tisch ausgerechnete Minderüberschuß von 5?; Millionen -- so hoch hatte man


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einzelnen Teile der Gesetzesvvrlage angestellt worden. Ganz allgemein könne
aber schon jetzt bemerkt werden, daß der für den voll entwickelten Wasscrver-
kehr berechnete Ausfall nicht schon in den ersten Jahren, sondern erst nach
einer mehr oder weniger langen Entwicklungszeit eintreten werde, und daß der
Ausfall an Roheinnahmen nur einen viel geringern Ausfall an Reineinnahmen
zur Folge haben werde. Für den Rhein-Elbekanal rechnet die ihm besonders
gewidmete Denkschrift damit, daß sich die Verschiebungen zu Ungunsten der
Eisenbahnen verhältnismäßig bald geltend macheu würden. Es handle sich
hier vorwiegend um Güter, die in große» Massen von verhältnismäßig wenig
Versendern aufgegeben würden, für die natürlich der Anreiz einer Fracht¬
ersparnis um so stärker wirke. Es liege deshalb auch die Annahme nahe,
daß die westliche Kohlen- und Eisenindustrie die zehnjährige Zwischenzeit bis
zur Kaualeröffnung nicht ungenützt vorübergehn lassen würde, sich für eine
frühzeitige Ausnützung des neuen Wasserwegs vorzubereiten. Immerhin sei
es schwierig, mit einiger Sicherheit den Zeitpunkt voranszubestimmen, bis zu
dem sich die völlige Abgabe des etwa im Jahre 1910 vorhandnen Eisenbahn¬
verkehrs an den Kanal vollzogen haben werde. Nach einer schematisch und
sozusagen rein theoretisch vvrgenommnen Berechnung wird die vorübergehende
Verminderung der Bruttoeinnahmen der preußischen Staatseisenbahn infolge
der Kanaleröffnung als höchster Betrag für ein Jahr auf uicht weniger als
71 Millionen Mark, und die Verminderung der Überschüsse der Staatsbahnen,
also sozusagen der Nettvausfall, auf 57 Millionen angenommen. Das ist eine
sehr große Zahl, die einen in der That im ersten Augenblick vor den Kopf
stoßen muß, aber doch auch beweist, daß sich die Staatsregierung über die
Größe des Risikos nicht hat hinwegtäusche» wollen. Hat mau wirklich auch
nur für eine nicht allzulange Reihe von Jahren mit solchen riesigen Ausfällen
der Eisenbahnüberschüssc zu rechnen, die natürlich durch Kaualüberschüsse nur
zu einem kleinen Teil gedeckt werden würden, so bekommt die Sache denn
doch ein viel ernsteres Gesicht, und man könnte dann wohl nicht mit Unrecht
von Hunderten von Millionen reden, die außer deu beträchtlichen Baugeldern
noch in den Rhein-Elbckcmal geworfen werden sollen.

Wie hat sich die Staatsregierung mit diesen theoretische» Berechnungen
abgefunden? Wie liegt die Frage nach ihrer Erkenntnis in xrgxi? In der
Kommission wird gerade darüber am eingehendsten verhandelt werden müssen,
aber man kann nach allem, was schon vor der Öffentlichkeit darüber verhandelt
ist, schon jetzt die Antwort dahin geben: Jedenfalls so, daß sich die Regierung
nach pflichtmäßigem Ermessen für den Bau des Rhein-Elbekanals entscheiden
mußte. Der Eisenbahnminister hat schon am ersten Verhandlnngstage diese
theoretische Rechnerei so gründlich desavouiert, daß man eigentlich nicht recht
begreift, warum sie überhaupt aufgestellt und vollends mit dem eindrucksvoller
Nimbus, der nun einmal solchen Zahlentabellen anhaftet, in der Begründung
veröffentlicht worden ist. Er sagte wörtlich: „Wenn aber wirklich der schema¬
tisch ausgerechnete Minderüberschuß von 5?; Millionen — so hoch hatte man


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[0365] Zur neuen Aanalvorlage einzelnen Teile der Gesetzesvvrlage angestellt worden. Ganz allgemein könne aber schon jetzt bemerkt werden, daß der für den voll entwickelten Wasscrver- kehr berechnete Ausfall nicht schon in den ersten Jahren, sondern erst nach einer mehr oder weniger langen Entwicklungszeit eintreten werde, und daß der Ausfall an Roheinnahmen nur einen viel geringern Ausfall an Reineinnahmen zur Folge haben werde. Für den Rhein-Elbekanal rechnet die ihm besonders gewidmete Denkschrift damit, daß sich die Verschiebungen zu Ungunsten der Eisenbahnen verhältnismäßig bald geltend macheu würden. Es handle sich hier vorwiegend um Güter, die in große» Massen von verhältnismäßig wenig Versendern aufgegeben würden, für die natürlich der Anreiz einer Fracht¬ ersparnis um so stärker wirke. Es liege deshalb auch die Annahme nahe, daß die westliche Kohlen- und Eisenindustrie die zehnjährige Zwischenzeit bis zur Kaualeröffnung nicht ungenützt vorübergehn lassen würde, sich für eine frühzeitige Ausnützung des neuen Wasserwegs vorzubereiten. Immerhin sei es schwierig, mit einiger Sicherheit den Zeitpunkt voranszubestimmen, bis zu dem sich die völlige Abgabe des etwa im Jahre 1910 vorhandnen Eisenbahn¬ verkehrs an den Kanal vollzogen haben werde. Nach einer schematisch und sozusagen rein theoretisch vvrgenommnen Berechnung wird die vorübergehende Verminderung der Bruttoeinnahmen der preußischen Staatseisenbahn infolge der Kanaleröffnung als höchster Betrag für ein Jahr auf uicht weniger als 71 Millionen Mark, und die Verminderung der Überschüsse der Staatsbahnen, also sozusagen der Nettvausfall, auf 57 Millionen angenommen. Das ist eine sehr große Zahl, die einen in der That im ersten Augenblick vor den Kopf stoßen muß, aber doch auch beweist, daß sich die Staatsregierung über die Größe des Risikos nicht hat hinwegtäusche» wollen. Hat mau wirklich auch nur für eine nicht allzulange Reihe von Jahren mit solchen riesigen Ausfällen der Eisenbahnüberschüssc zu rechnen, die natürlich durch Kaualüberschüsse nur zu einem kleinen Teil gedeckt werden würden, so bekommt die Sache denn doch ein viel ernsteres Gesicht, und man könnte dann wohl nicht mit Unrecht von Hunderten von Millionen reden, die außer deu beträchtlichen Baugeldern noch in den Rhein-Elbckcmal geworfen werden sollen. Wie hat sich die Staatsregierung mit diesen theoretische» Berechnungen abgefunden? Wie liegt die Frage nach ihrer Erkenntnis in xrgxi? In der Kommission wird gerade darüber am eingehendsten verhandelt werden müssen, aber man kann nach allem, was schon vor der Öffentlichkeit darüber verhandelt ist, schon jetzt die Antwort dahin geben: Jedenfalls so, daß sich die Regierung nach pflichtmäßigem Ermessen für den Bau des Rhein-Elbekanals entscheiden mußte. Der Eisenbahnminister hat schon am ersten Verhandlnngstage diese theoretische Rechnerei so gründlich desavouiert, daß man eigentlich nicht recht begreift, warum sie überhaupt aufgestellt und vollends mit dem eindrucksvoller Nimbus, der nun einmal solchen Zahlentabellen anhaftet, in der Begründung veröffentlicht worden ist. Er sagte wörtlich: „Wenn aber wirklich der schema¬ tisch ausgerechnete Minderüberschuß von 5?; Millionen — so hoch hatte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/365>, abgerufen am 24.07.2024.