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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Unter diesen Umstünden, sollten wir meinen, müßte jeder patriotische,
monarchisch gesinnte Mann im preußischen Landtage -- und die bisher in
Opposition stehenden Mehrheitsparteien gerade rühmen sich, nur aus solchen
zu bestehn - es sich tausendmal überlegen, ob die Mehrheit auch jetzt wieder
von ihrer parlamentarischen Stärke rücksichtslos Gebrauch machen, die Schwäche
der Negieruugspositivn rücksichtslos ausnützen dürfe. Wer wirklich konservativ
und monarchisch empfindet, darf sich der ernsthaften Selbstprüfung nicht mehr
entziehn, inwieweit das Verhalten der konservativen Partei die Mitschuld trifft
an dem Krankhaften unsrer Zustünde, vor allem das Verhalten der Konser¬
vativen in der Kannlknmpagne 1898/99. Es liegt uns nichts ferner, als be¬
haupten zu wollen, daß nicht streng sachliche Erwügnngen gut patriotische,
treu monarchisch gesinnte Konservative zur Ablehnung des Mittellandkanals
führen können und geführt haben, Sie waren dabei unsers Erachtens in
Irrtümern befangen, aber sie hatten das Recht, ja die Pflicht zur Opposition,
Aber wer nnr mit einiger Unbefangenheit den Verlauf der Mittellandkannl-
frage 1898/99 verfolgt hat, muß zugeben, daß im großen und ganzen die
konservative Opposition damals wesentlich beherrscht wurde von politischen
Parteirücksichten, die nicht in der Sache begründet waren. Das lehre" die
Einwünde, mit denen man den fachmännischer Darlegungen der Regierungs-
vertreter entgegentrat, und ihre Begründung unwiderleglich. Man wollte nicht
unbefangen, billig, wohlwollend auf die Anschauungen der Krone eingehn, sie
nicht so prüfen. Manche halten diese Parteibefangenheit nun einmal für unzer¬
trennlich vom politischen Leben, und die Parteidisziplin, die sogar das bessere
Wissen unter dem Bann des Irrtums beugt, für eine politische Tugend, Aber
niemals, meinen wir, darf sich der wirklich konservative Politiker weniger zu
dieser Lehre bekennen als jetzt. Nur von der Emanzipation des politischen
Gewissens der Einzelnen von der Parteidoktrin kann die Lüutcruug innerhalb
der konservativen Kreise erreicht werden, die unerläßlich ist, wenn nicht über
kurz oder lang die Fundamente unsers staatlichen Lebens, allen voran das
monarchische, in ernste Gefahr kommen sollen.

Es ist in dieser Beziehung den konservativen Parteien der allerschwerste
Vorwurf zu macheu, gerade wegen ihrer grundsätzlichen, tendenziösen, ursachlichen
Stclluttg zu der .Kanalfrage, Sie haben es provoziert, daß man ihr Ver¬
halten 1898/99 als beabsichtigte Kraftprobe des preußischen Junkertums gegen
die preußische Krone bezeichnen konnte. Sollen sich diese Vorgänge etwa
wiederholen? Kann ein wahrhaft konservativer Preuße ruhig zusehen, daß es
so kommt? Könnte er einen Grund dafür oder auch nur eine Entschuldigung
dafür finden in den taktischen Fehlern der Regierungsvertreter, die auch wir
beklage"? Ganz gewiß nicht. Gerade weil die falsche, in ihrer Schwäche be¬
ruhende Taktik der Regierung in der breiten Masse der Bevölkerung nur zu
leicht den Irrtum aufkommen läßt, daß die konservative Opposition sich in
Wirklichkeit gegen den Willen des Königs richte, dem sich seine verantwort¬
lichen Berater ohne volle eigne Überzeugung von der Notwendigkeit der Sache,


Grenzboten I 1901
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Unter diesen Umstünden, sollten wir meinen, müßte jeder patriotische,
monarchisch gesinnte Mann im preußischen Landtage — und die bisher in
Opposition stehenden Mehrheitsparteien gerade rühmen sich, nur aus solchen
zu bestehn - es sich tausendmal überlegen, ob die Mehrheit auch jetzt wieder
von ihrer parlamentarischen Stärke rücksichtslos Gebrauch machen, die Schwäche
der Negieruugspositivn rücksichtslos ausnützen dürfe. Wer wirklich konservativ
und monarchisch empfindet, darf sich der ernsthaften Selbstprüfung nicht mehr
entziehn, inwieweit das Verhalten der konservativen Partei die Mitschuld trifft
an dem Krankhaften unsrer Zustünde, vor allem das Verhalten der Konser¬
vativen in der Kannlknmpagne 1898/99. Es liegt uns nichts ferner, als be¬
haupten zu wollen, daß nicht streng sachliche Erwügnngen gut patriotische,
treu monarchisch gesinnte Konservative zur Ablehnung des Mittellandkanals
führen können und geführt haben, Sie waren dabei unsers Erachtens in
Irrtümern befangen, aber sie hatten das Recht, ja die Pflicht zur Opposition,
Aber wer nnr mit einiger Unbefangenheit den Verlauf der Mittellandkannl-
frage 1898/99 verfolgt hat, muß zugeben, daß im großen und ganzen die
konservative Opposition damals wesentlich beherrscht wurde von politischen
Parteirücksichten, die nicht in der Sache begründet waren. Das lehre» die
Einwünde, mit denen man den fachmännischer Darlegungen der Regierungs-
vertreter entgegentrat, und ihre Begründung unwiderleglich. Man wollte nicht
unbefangen, billig, wohlwollend auf die Anschauungen der Krone eingehn, sie
nicht so prüfen. Manche halten diese Parteibefangenheit nun einmal für unzer¬
trennlich vom politischen Leben, und die Parteidisziplin, die sogar das bessere
Wissen unter dem Bann des Irrtums beugt, für eine politische Tugend, Aber
niemals, meinen wir, darf sich der wirklich konservative Politiker weniger zu
dieser Lehre bekennen als jetzt. Nur von der Emanzipation des politischen
Gewissens der Einzelnen von der Parteidoktrin kann die Lüutcruug innerhalb
der konservativen Kreise erreicht werden, die unerläßlich ist, wenn nicht über
kurz oder lang die Fundamente unsers staatlichen Lebens, allen voran das
monarchische, in ernste Gefahr kommen sollen.

Es ist in dieser Beziehung den konservativen Parteien der allerschwerste
Vorwurf zu macheu, gerade wegen ihrer grundsätzlichen, tendenziösen, ursachlichen
Stclluttg zu der .Kanalfrage, Sie haben es provoziert, daß man ihr Ver¬
halten 1898/99 als beabsichtigte Kraftprobe des preußischen Junkertums gegen
die preußische Krone bezeichnen konnte. Sollen sich diese Vorgänge etwa
wiederholen? Kann ein wahrhaft konservativer Preuße ruhig zusehen, daß es
so kommt? Könnte er einen Grund dafür oder auch nur eine Entschuldigung
dafür finden in den taktischen Fehlern der Regierungsvertreter, die auch wir
beklage»? Ganz gewiß nicht. Gerade weil die falsche, in ihrer Schwäche be¬
ruhende Taktik der Regierung in der breiten Masse der Bevölkerung nur zu
leicht den Irrtum aufkommen läßt, daß die konservative Opposition sich in
Wirklichkeit gegen den Willen des Königs richte, dem sich seine verantwort¬
lichen Berater ohne volle eigne Überzeugung von der Notwendigkeit der Sache,


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[0337] Zur neue» Uanalvorlage Unter diesen Umstünden, sollten wir meinen, müßte jeder patriotische, monarchisch gesinnte Mann im preußischen Landtage — und die bisher in Opposition stehenden Mehrheitsparteien gerade rühmen sich, nur aus solchen zu bestehn - es sich tausendmal überlegen, ob die Mehrheit auch jetzt wieder von ihrer parlamentarischen Stärke rücksichtslos Gebrauch machen, die Schwäche der Negieruugspositivn rücksichtslos ausnützen dürfe. Wer wirklich konservativ und monarchisch empfindet, darf sich der ernsthaften Selbstprüfung nicht mehr entziehn, inwieweit das Verhalten der konservativen Partei die Mitschuld trifft an dem Krankhaften unsrer Zustünde, vor allem das Verhalten der Konser¬ vativen in der Kannlknmpagne 1898/99. Es liegt uns nichts ferner, als be¬ haupten zu wollen, daß nicht streng sachliche Erwügnngen gut patriotische, treu monarchisch gesinnte Konservative zur Ablehnung des Mittellandkanals führen können und geführt haben, Sie waren dabei unsers Erachtens in Irrtümern befangen, aber sie hatten das Recht, ja die Pflicht zur Opposition, Aber wer nnr mit einiger Unbefangenheit den Verlauf der Mittellandkannl- frage 1898/99 verfolgt hat, muß zugeben, daß im großen und ganzen die konservative Opposition damals wesentlich beherrscht wurde von politischen Parteirücksichten, die nicht in der Sache begründet waren. Das lehre» die Einwünde, mit denen man den fachmännischer Darlegungen der Regierungs- vertreter entgegentrat, und ihre Begründung unwiderleglich. Man wollte nicht unbefangen, billig, wohlwollend auf die Anschauungen der Krone eingehn, sie nicht so prüfen. Manche halten diese Parteibefangenheit nun einmal für unzer¬ trennlich vom politischen Leben, und die Parteidisziplin, die sogar das bessere Wissen unter dem Bann des Irrtums beugt, für eine politische Tugend, Aber niemals, meinen wir, darf sich der wirklich konservative Politiker weniger zu dieser Lehre bekennen als jetzt. Nur von der Emanzipation des politischen Gewissens der Einzelnen von der Parteidoktrin kann die Lüutcruug innerhalb der konservativen Kreise erreicht werden, die unerläßlich ist, wenn nicht über kurz oder lang die Fundamente unsers staatlichen Lebens, allen voran das monarchische, in ernste Gefahr kommen sollen. Es ist in dieser Beziehung den konservativen Parteien der allerschwerste Vorwurf zu macheu, gerade wegen ihrer grundsätzlichen, tendenziösen, ursachlichen Stclluttg zu der .Kanalfrage, Sie haben es provoziert, daß man ihr Ver¬ halten 1898/99 als beabsichtigte Kraftprobe des preußischen Junkertums gegen die preußische Krone bezeichnen konnte. Sollen sich diese Vorgänge etwa wiederholen? Kann ein wahrhaft konservativer Preuße ruhig zusehen, daß es so kommt? Könnte er einen Grund dafür oder auch nur eine Entschuldigung dafür finden in den taktischen Fehlern der Regierungsvertreter, die auch wir beklage»? Ganz gewiß nicht. Gerade weil die falsche, in ihrer Schwäche be¬ ruhende Taktik der Regierung in der breiten Masse der Bevölkerung nur zu leicht den Irrtum aufkommen läßt, daß die konservative Opposition sich in Wirklichkeit gegen den Willen des Königs richte, dem sich seine verantwort¬ lichen Berater ohne volle eigne Überzeugung von der Notwendigkeit der Sache, Grenzboten I 1901

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/337>, abgerufen am 01.07.2024.