Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
-Zur neuen Aanalvorlage

der Schein eines Grundes herzuleiten, der die Verquickung der drei Vorflut-
regulienmgen mit der Kanalvorlage sachlich rechtfertigen könnte. Der Land¬
wirtschaftsminister selbst hat in seiner Rede vom 5. Februar die gleichsam nur
nebenher bei den Vorflutregulicrllugsprojekten abfallenden Arbeiten im Schiff¬
fahrtsinteresse als "Kompensation" bezeichnet, den Vorflutregulierungsarbeiten
an sich aber diesen Charakter abgesprochen. Trotzdem warnt er die Agrarier vor
der Ablehnung der ganzen Vorlage, weil damit auch die Vorflutregulierungen in
Frage gestellt würden. Thatsächlich hat aber die Regierung durch die Zusammen¬
fassung der zweiten Gruppe mit den Wasserstraßen in einen Gesetzentwurf
Dingen, die der agrarischen Mehrheit als begehrenswert erscheinen müssen,
aber nichts mit den Wasserstraßen zu thun habe", wider die Natur der Sache
künstlich den Charakter als Kompensationen beigelegt und sie, obgleich sie gegen
die Berechtigung des Verlangens, wirkliche Kompensationen in den Gesetzent¬
wurf aufzunehmen, scheinbar protestiert, dennoch zum integrierender Bestandteil
der Vorlage zu machen versucht. Damit giebt sie sich eine Blöße, von der sie
wissen muß, daß die Opposition sie ausnutzen wird. Sie giebt nicht nur ein¬
fach dem Unverstand und dem Irrtum nach, sondern sie sucht ihn für sich
taktisch auszubeuten, obwohl sie weiß, daß der Gegner das Spiel durchschallt.
Sie setzt sich damit ihm gegenüber ins Unrecht. Sie versucht mit deu Mehr¬
heitsparteien zu spielen, aber nicht wie der Starke mit dem Schwachen, sondern
bewußt- und eingestandnermaßen aus Schwäche. Das ist das grundfalsche
System, in das unsre innere Politik hineingeraten ist, das System des Fort-
wurstelns mit allerhand taktischen Manövern und Listen, die immer gewagter
und zugleich durchsichtiger und erfolgloser werden, das System, das das Ver¬
trauen zur Krone im Volk zu schädigen droht, und mit dem deshalb gebrochen
werden muß so bald und so gründlich als möglich. Es will einem nicht in
den Kopf, daß man in den Regierungskreisen das Unschöne dieser Lage nicht
empfinden sollte. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß; mau scheint sich
auch in ein solches System einleben zu können, zumal da es schwer wird,
Einzelnen die Schuld darau nachzuweisen, überhaupt nur zuzusprechen. Aber
nur um so schlimmer ist es. Es hieße bei einer Besprechung der neuen Kanal-
Vorlage eine ihrer bedeutsamsten Seiten unterschlagen, wollte man nicht nach¬
drücklich ans diesen ungeheuern Fehler hinweisen, auf dieses sprechendste
Symptom des Gruudübels, an dem unser ganzes innerpolitisches Leben krankt.
Es hat gewiß einen guten Sinn, wenn gesagt wird, man solle die Vorlage
nicht vom politischen Standpunkt aus beurteilen, sondern ihren sachlichen In¬
halt rein sachlich prüfen. Es ist aber eine Lüge, sich so zu stellen, als ob
die Politik in der Kaualfrage keine Rolle mehr spiele. Die Vorlage ist ganz
lind gar unter dem Bann einer in Grund und Boden verfahrnen, unwahrhaften,
unhaltbaren Politik zusammengeflickt worden. Die dreitägigen Verhandlungen
der ersten Lesung legen wieder einmal Zeugnis ab für die Wahrheit: Schwäche,
die Geschenke macht und auf Dank spekuliert, ist der schlimmste politische
Fehler!


-Zur neuen Aanalvorlage

der Schein eines Grundes herzuleiten, der die Verquickung der drei Vorflut-
regulienmgen mit der Kanalvorlage sachlich rechtfertigen könnte. Der Land¬
wirtschaftsminister selbst hat in seiner Rede vom 5. Februar die gleichsam nur
nebenher bei den Vorflutregulicrllugsprojekten abfallenden Arbeiten im Schiff¬
fahrtsinteresse als „Kompensation" bezeichnet, den Vorflutregulierungsarbeiten
an sich aber diesen Charakter abgesprochen. Trotzdem warnt er die Agrarier vor
der Ablehnung der ganzen Vorlage, weil damit auch die Vorflutregulierungen in
Frage gestellt würden. Thatsächlich hat aber die Regierung durch die Zusammen¬
fassung der zweiten Gruppe mit den Wasserstraßen in einen Gesetzentwurf
Dingen, die der agrarischen Mehrheit als begehrenswert erscheinen müssen,
aber nichts mit den Wasserstraßen zu thun habe», wider die Natur der Sache
künstlich den Charakter als Kompensationen beigelegt und sie, obgleich sie gegen
die Berechtigung des Verlangens, wirkliche Kompensationen in den Gesetzent¬
wurf aufzunehmen, scheinbar protestiert, dennoch zum integrierender Bestandteil
der Vorlage zu machen versucht. Damit giebt sie sich eine Blöße, von der sie
wissen muß, daß die Opposition sie ausnutzen wird. Sie giebt nicht nur ein¬
fach dem Unverstand und dem Irrtum nach, sondern sie sucht ihn für sich
taktisch auszubeuten, obwohl sie weiß, daß der Gegner das Spiel durchschallt.
Sie setzt sich damit ihm gegenüber ins Unrecht. Sie versucht mit deu Mehr¬
heitsparteien zu spielen, aber nicht wie der Starke mit dem Schwachen, sondern
bewußt- und eingestandnermaßen aus Schwäche. Das ist das grundfalsche
System, in das unsre innere Politik hineingeraten ist, das System des Fort-
wurstelns mit allerhand taktischen Manövern und Listen, die immer gewagter
und zugleich durchsichtiger und erfolgloser werden, das System, das das Ver¬
trauen zur Krone im Volk zu schädigen droht, und mit dem deshalb gebrochen
werden muß so bald und so gründlich als möglich. Es will einem nicht in
den Kopf, daß man in den Regierungskreisen das Unschöne dieser Lage nicht
empfinden sollte. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß; mau scheint sich
auch in ein solches System einleben zu können, zumal da es schwer wird,
Einzelnen die Schuld darau nachzuweisen, überhaupt nur zuzusprechen. Aber
nur um so schlimmer ist es. Es hieße bei einer Besprechung der neuen Kanal-
Vorlage eine ihrer bedeutsamsten Seiten unterschlagen, wollte man nicht nach¬
drücklich ans diesen ungeheuern Fehler hinweisen, auf dieses sprechendste
Symptom des Gruudübels, an dem unser ganzes innerpolitisches Leben krankt.
Es hat gewiß einen guten Sinn, wenn gesagt wird, man solle die Vorlage
nicht vom politischen Standpunkt aus beurteilen, sondern ihren sachlichen In¬
halt rein sachlich prüfen. Es ist aber eine Lüge, sich so zu stellen, als ob
die Politik in der Kaualfrage keine Rolle mehr spiele. Die Vorlage ist ganz
lind gar unter dem Bann einer in Grund und Boden verfahrnen, unwahrhaften,
unhaltbaren Politik zusammengeflickt worden. Die dreitägigen Verhandlungen
der ersten Lesung legen wieder einmal Zeugnis ab für die Wahrheit: Schwäche,
die Geschenke macht und auf Dank spekuliert, ist der schlimmste politische
Fehler!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234216"/>
          <fw type="header" place="top"> -Zur neuen Aanalvorlage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1098" prev="#ID_1097"> der Schein eines Grundes herzuleiten, der die Verquickung der drei Vorflut-<lb/>
regulienmgen mit der Kanalvorlage sachlich rechtfertigen könnte. Der Land¬<lb/>
wirtschaftsminister selbst hat in seiner Rede vom 5. Februar die gleichsam nur<lb/>
nebenher bei den Vorflutregulicrllugsprojekten abfallenden Arbeiten im Schiff¬<lb/>
fahrtsinteresse als &#x201E;Kompensation" bezeichnet, den Vorflutregulierungsarbeiten<lb/>
an sich aber diesen Charakter abgesprochen. Trotzdem warnt er die Agrarier vor<lb/>
der Ablehnung der ganzen Vorlage, weil damit auch die Vorflutregulierungen in<lb/>
Frage gestellt würden. Thatsächlich hat aber die Regierung durch die Zusammen¬<lb/>
fassung der zweiten Gruppe mit den Wasserstraßen in einen Gesetzentwurf<lb/>
Dingen, die der agrarischen Mehrheit als begehrenswert erscheinen müssen,<lb/>
aber nichts mit den Wasserstraßen zu thun habe», wider die Natur der Sache<lb/>
künstlich den Charakter als Kompensationen beigelegt und sie, obgleich sie gegen<lb/>
die Berechtigung des Verlangens, wirkliche Kompensationen in den Gesetzent¬<lb/>
wurf aufzunehmen, scheinbar protestiert, dennoch zum integrierender Bestandteil<lb/>
der Vorlage zu machen versucht. Damit giebt sie sich eine Blöße, von der sie<lb/>
wissen muß, daß die Opposition sie ausnutzen wird. Sie giebt nicht nur ein¬<lb/>
fach dem Unverstand und dem Irrtum nach, sondern sie sucht ihn für sich<lb/>
taktisch auszubeuten, obwohl sie weiß, daß der Gegner das Spiel durchschallt.<lb/>
Sie setzt sich damit ihm gegenüber ins Unrecht. Sie versucht mit deu Mehr¬<lb/>
heitsparteien zu spielen, aber nicht wie der Starke mit dem Schwachen, sondern<lb/>
bewußt- und eingestandnermaßen aus Schwäche. Das ist das grundfalsche<lb/>
System, in das unsre innere Politik hineingeraten ist, das System des Fort-<lb/>
wurstelns mit allerhand taktischen Manövern und Listen, die immer gewagter<lb/>
und zugleich durchsichtiger und erfolgloser werden, das System, das das Ver¬<lb/>
trauen zur Krone im Volk zu schädigen droht, und mit dem deshalb gebrochen<lb/>
werden muß so bald und so gründlich als möglich. Es will einem nicht in<lb/>
den Kopf, daß man in den Regierungskreisen das Unschöne dieser Lage nicht<lb/>
empfinden sollte. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß; mau scheint sich<lb/>
auch in ein solches System einleben zu können, zumal da es schwer wird,<lb/>
Einzelnen die Schuld darau nachzuweisen, überhaupt nur zuzusprechen. Aber<lb/>
nur um so schlimmer ist es. Es hieße bei einer Besprechung der neuen Kanal-<lb/>
Vorlage eine ihrer bedeutsamsten Seiten unterschlagen, wollte man nicht nach¬<lb/>
drücklich ans diesen ungeheuern Fehler hinweisen, auf dieses sprechendste<lb/>
Symptom des Gruudübels, an dem unser ganzes innerpolitisches Leben krankt.<lb/>
Es hat gewiß einen guten Sinn, wenn gesagt wird, man solle die Vorlage<lb/>
nicht vom politischen Standpunkt aus beurteilen, sondern ihren sachlichen In¬<lb/>
halt rein sachlich prüfen. Es ist aber eine Lüge, sich so zu stellen, als ob<lb/>
die Politik in der Kaualfrage keine Rolle mehr spiele. Die Vorlage ist ganz<lb/>
lind gar unter dem Bann einer in Grund und Boden verfahrnen, unwahrhaften,<lb/>
unhaltbaren Politik zusammengeflickt worden. Die dreitägigen Verhandlungen<lb/>
der ersten Lesung legen wieder einmal Zeugnis ab für die Wahrheit: Schwäche,<lb/>
die Geschenke macht und auf Dank spekuliert, ist der schlimmste politische<lb/>
Fehler!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] -Zur neuen Aanalvorlage der Schein eines Grundes herzuleiten, der die Verquickung der drei Vorflut- regulienmgen mit der Kanalvorlage sachlich rechtfertigen könnte. Der Land¬ wirtschaftsminister selbst hat in seiner Rede vom 5. Februar die gleichsam nur nebenher bei den Vorflutregulicrllugsprojekten abfallenden Arbeiten im Schiff¬ fahrtsinteresse als „Kompensation" bezeichnet, den Vorflutregulierungsarbeiten an sich aber diesen Charakter abgesprochen. Trotzdem warnt er die Agrarier vor der Ablehnung der ganzen Vorlage, weil damit auch die Vorflutregulierungen in Frage gestellt würden. Thatsächlich hat aber die Regierung durch die Zusammen¬ fassung der zweiten Gruppe mit den Wasserstraßen in einen Gesetzentwurf Dingen, die der agrarischen Mehrheit als begehrenswert erscheinen müssen, aber nichts mit den Wasserstraßen zu thun habe», wider die Natur der Sache künstlich den Charakter als Kompensationen beigelegt und sie, obgleich sie gegen die Berechtigung des Verlangens, wirkliche Kompensationen in den Gesetzent¬ wurf aufzunehmen, scheinbar protestiert, dennoch zum integrierender Bestandteil der Vorlage zu machen versucht. Damit giebt sie sich eine Blöße, von der sie wissen muß, daß die Opposition sie ausnutzen wird. Sie giebt nicht nur ein¬ fach dem Unverstand und dem Irrtum nach, sondern sie sucht ihn für sich taktisch auszubeuten, obwohl sie weiß, daß der Gegner das Spiel durchschallt. Sie setzt sich damit ihm gegenüber ins Unrecht. Sie versucht mit deu Mehr¬ heitsparteien zu spielen, aber nicht wie der Starke mit dem Schwachen, sondern bewußt- und eingestandnermaßen aus Schwäche. Das ist das grundfalsche System, in das unsre innere Politik hineingeraten ist, das System des Fort- wurstelns mit allerhand taktischen Manövern und Listen, die immer gewagter und zugleich durchsichtiger und erfolgloser werden, das System, das das Ver¬ trauen zur Krone im Volk zu schädigen droht, und mit dem deshalb gebrochen werden muß so bald und so gründlich als möglich. Es will einem nicht in den Kopf, daß man in den Regierungskreisen das Unschöne dieser Lage nicht empfinden sollte. Aber die Macht der Gewohnheit ist groß; mau scheint sich auch in ein solches System einleben zu können, zumal da es schwer wird, Einzelnen die Schuld darau nachzuweisen, überhaupt nur zuzusprechen. Aber nur um so schlimmer ist es. Es hieße bei einer Besprechung der neuen Kanal- Vorlage eine ihrer bedeutsamsten Seiten unterschlagen, wollte man nicht nach¬ drücklich ans diesen ungeheuern Fehler hinweisen, auf dieses sprechendste Symptom des Gruudübels, an dem unser ganzes innerpolitisches Leben krankt. Es hat gewiß einen guten Sinn, wenn gesagt wird, man solle die Vorlage nicht vom politischen Standpunkt aus beurteilen, sondern ihren sachlichen In¬ halt rein sachlich prüfen. Es ist aber eine Lüge, sich so zu stellen, als ob die Politik in der Kaualfrage keine Rolle mehr spiele. Die Vorlage ist ganz lind gar unter dem Bann einer in Grund und Boden verfahrnen, unwahrhaften, unhaltbaren Politik zusammengeflickt worden. Die dreitägigen Verhandlungen der ersten Lesung legen wieder einmal Zeugnis ab für die Wahrheit: Schwäche, die Geschenke macht und auf Dank spekuliert, ist der schlimmste politische Fehler!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/336>, abgerufen am 03.07.2024.