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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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wieder in seine alte wirtschaftliche Zentralstellung ein, und künftig werden für
Nord- und Westeuropa die kürzesten Verbindungslinien uach Ostasien und
Indien durch Deutschland führen. Es war eine welthistorische Fügung, daß
die Erneuerung unsers Reichs mit dieser entscheidenden Wendung ungefähr zu¬
sammentraf. Denn aller Unternehmungsgeist unsrer Kaufleute wäre vergeblich
gewesen ohne den starken Schutz des Reichs, Schon haben wir Fuß gefaßt
in Afrika, in Australien, in der Südsee, in China, deutsche Eisenbahnen er¬
schließen die verödeten alte" Kulturländer von Kleinasien und Mesopotamien,
auf denselben Wegen, die einst die Kreuzheere zogen, brausen deutsche Loko¬
motiven, Ein deutscher Kaiser ist wieder in Jerusalem und Damaskus ein¬
gezogen, diesesmals als Freund der Mohammedaner und ihres Khalifen, und
zum erstenmal ist Deutschland in China ebenbürtig neben die ältern Weltnnichte
getreten, ein glänzendes Zeugnis zugleich für die Leistungsfähigkeit unsrer
Wehrmacht, die es zum erstenmal gewagt hat, ein Pnnzergeschwader und ein
ganzes Armeekorps bis in den fernsten Osten zu senden nud sich dort unter
den Angen der ganzen Welt ruhmvoll bewährt. Noch stehn wir am Anfange;
erst wenn unsre Flotte die ihr gebührende Stärke erhalten hat, wird sich unsre
Weltpolitik frei entfalten können.

Hat die Weltpolitik des Kaisertums beidemal der Nation ihre Welt¬
stellung gegeben, so wirkt sie beidemal ans die Nation auch einigend, zusammen¬
schmiedend. Als sich das karolingische Reich auflöste, gab es auf dem Boden
des heutigen Deutschlands nur vier oder fünf durch Mundart, Sitte und Recht
scharf getrennte Stämme unter erblichen Herzögen, Auch das wegen seiner
weisen Mäßigung viel gerühmte Königtum Heinrichs l, war doch nur ein Not¬
behelf, mehr ein Shmbol der Einheit als eine nationale Staatsgewalt, Der
damaligen Entwicklungsstufe und Gesinnung des Volks entsprach dieser Zustand
unzweifelhaft, aber seine Fortdauer hätte die Entstehung einer deutschen Nation
verhindert. Zu einer solchen wuchsen sie erst zusammen durch das Kaisertum,
denn dieses zerschlug in kaum anderthalb Jahrhunderten diese erblichen Herzog¬
tümer, die stärksten Hindernisse der nationalen Einheit, und stellte zugleich den
deutschen Stämmen große gemeinsame Ziele, die nur durch gemeinsame Thätig¬
keit erreicht werden konnten, schärfte ihr Gcsamtbewnßtsein durch gemeinsame
Kämpfe gegenüber den Nachbarvölkern, Daß die Nation, d, h, die damals
führenden Stunde, Geistlichkeit und Adel, hinter der Kaiserpolitik gestanden
hat, ist gar keine Frage; wie wäre sie sonst möglich gewesen! Die Opposition
gegen das Kaisertum entsprang nicht aus der Opposition gegen die Kaiser¬
politik, sondern ans persönlichen, dhnastischen und Partikularistischen Gründen,
Als die Kaiserpolitik aufhörte, gewannen diese Motive das Übergewicht, und
die Nation zerfiel in zahllose kleine Gruppen, die in kleinlichen Handeln um
kleinliche Ziele miteinander rangen und das Gefühl der nationalen Zusammen
geHörigkeit fast verloren. Dieser kleinliche Geist hat uns im sechzehnten Jahr¬
hundert die so großartig beginnende Kirchenreformation verdorben, die Nation
auch noch konfessionell gespalten und sie im Dreißigjährigen Kriege fast den.


wieder in seine alte wirtschaftliche Zentralstellung ein, und künftig werden für
Nord- und Westeuropa die kürzesten Verbindungslinien uach Ostasien und
Indien durch Deutschland führen. Es war eine welthistorische Fügung, daß
die Erneuerung unsers Reichs mit dieser entscheidenden Wendung ungefähr zu¬
sammentraf. Denn aller Unternehmungsgeist unsrer Kaufleute wäre vergeblich
gewesen ohne den starken Schutz des Reichs, Schon haben wir Fuß gefaßt
in Afrika, in Australien, in der Südsee, in China, deutsche Eisenbahnen er¬
schließen die verödeten alte» Kulturländer von Kleinasien und Mesopotamien,
auf denselben Wegen, die einst die Kreuzheere zogen, brausen deutsche Loko¬
motiven, Ein deutscher Kaiser ist wieder in Jerusalem und Damaskus ein¬
gezogen, diesesmals als Freund der Mohammedaner und ihres Khalifen, und
zum erstenmal ist Deutschland in China ebenbürtig neben die ältern Weltnnichte
getreten, ein glänzendes Zeugnis zugleich für die Leistungsfähigkeit unsrer
Wehrmacht, die es zum erstenmal gewagt hat, ein Pnnzergeschwader und ein
ganzes Armeekorps bis in den fernsten Osten zu senden nud sich dort unter
den Angen der ganzen Welt ruhmvoll bewährt. Noch stehn wir am Anfange;
erst wenn unsre Flotte die ihr gebührende Stärke erhalten hat, wird sich unsre
Weltpolitik frei entfalten können.

Hat die Weltpolitik des Kaisertums beidemal der Nation ihre Welt¬
stellung gegeben, so wirkt sie beidemal ans die Nation auch einigend, zusammen¬
schmiedend. Als sich das karolingische Reich auflöste, gab es auf dem Boden
des heutigen Deutschlands nur vier oder fünf durch Mundart, Sitte und Recht
scharf getrennte Stämme unter erblichen Herzögen, Auch das wegen seiner
weisen Mäßigung viel gerühmte Königtum Heinrichs l, war doch nur ein Not¬
behelf, mehr ein Shmbol der Einheit als eine nationale Staatsgewalt, Der
damaligen Entwicklungsstufe und Gesinnung des Volks entsprach dieser Zustand
unzweifelhaft, aber seine Fortdauer hätte die Entstehung einer deutschen Nation
verhindert. Zu einer solchen wuchsen sie erst zusammen durch das Kaisertum,
denn dieses zerschlug in kaum anderthalb Jahrhunderten diese erblichen Herzog¬
tümer, die stärksten Hindernisse der nationalen Einheit, und stellte zugleich den
deutschen Stämmen große gemeinsame Ziele, die nur durch gemeinsame Thätig¬
keit erreicht werden konnten, schärfte ihr Gcsamtbewnßtsein durch gemeinsame
Kämpfe gegenüber den Nachbarvölkern, Daß die Nation, d, h, die damals
führenden Stunde, Geistlichkeit und Adel, hinter der Kaiserpolitik gestanden
hat, ist gar keine Frage; wie wäre sie sonst möglich gewesen! Die Opposition
gegen das Kaisertum entsprang nicht aus der Opposition gegen die Kaiser¬
politik, sondern ans persönlichen, dhnastischen und Partikularistischen Gründen,
Als die Kaiserpolitik aufhörte, gewannen diese Motive das Übergewicht, und
die Nation zerfiel in zahllose kleine Gruppen, die in kleinlichen Handeln um
kleinliche Ziele miteinander rangen und das Gefühl der nationalen Zusammen
geHörigkeit fast verloren. Dieser kleinliche Geist hat uns im sechzehnten Jahr¬
hundert die so großartig beginnende Kirchenreformation verdorben, die Nation
auch noch konfessionell gespalten und sie im Dreißigjährigen Kriege fast den.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/314>, abgerufen am 01.07.2024.