Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Larlylc

seinem knappen Verdienste gleich anfangs mancherlei seinen Angehörigen zu;
so ließ er z. B. seinen jüngern Bruder ganz auf seine Kosten studieren, Sie
mußte das geschehn lassen, aber es geschah unter Sorgen und Seufzen, denn
CnrlyleS eigentümlicher Familiensinn hatte seine feste Richtung, Er liebte alle
die Seinen nicht nur mit einer an Blindheit grenzenden Verehrung, er war
sogar stolz auf seine Herkunft aus diesem äußerlich niedrigen, von körperlicher
Arbeit, die er so hoch schätzte, erfüllte" Lebenskreise, und er stellte dann wohl
die, mit denen er früher dieses Leben geteilt hatte, seiner Fran als Muster
hin. Und diese begegneten ihr, der feingebildeten und verwöhnten Frau, keines¬
wegs immer mit der liebreichen Rücksicht, die der alte Vater ihr erwiesen hatte,
einst als die junge Braut zuerst sein Haus betrat. Er ging damals in seine
Kammer, vertauschte sein Arbeitskleid mit seinein Sonntagsstaat, und nun erst
bewillkommte er das vornehme Mädchen mit einem Kuß. Fran Carlyle hat
ihm das nie vergessen. Carlyles kluge, edle und fromme Mutter blieb der
Familie bis in ihr hohes Alter erhalten, und der Sohn bewahrte ihr nicht
nur die volle kindliche Liebe früherer Tage, er sah sie auch in allen Dingen
als seine Beraterin an, der er schriftlich und mündlich vortrug, was ihn be¬
wegte. Für den Leser des Carlylischen Briefwechsels hat dieses inhaltreiche
Verhältnis etwas ungemein Rührendes, aber er wird doch die Empfindung
haben, daß hier an der Stelle der Mutter manchmal die Frau hätte stehn
sollen. Noch mehr! Carlyle verhehlte weder andern noch seiner Ehegattin
selbst, daß das Ideal eines Weibes, wenn es auf Erden möglich gewesen
wäre, sich für ihn nicht in der Genossin seines Lebenswegs, sondern in der
einfachen Manrersfrau von Maiuhill verkörpert haben würde. Fran Carlyle
sah das alles mit voller Überlegung; sie trug es um seinetwillen und suchte
seine Angehörigen zu lieben wie er, und wie es nur von einer außerordent¬
lichen Frau verstanden werden kann. Und als ob das trennende Etwas in
dieser Lebensgemeinschaft noch über das Leben hinaus seinen sichtbaren Aus¬
druck verlangte: er bestattete sie neben der alten Dorfkirche, in der sie und
soviele ihrer Vorfahren getauft waren, zur Seite ihres Vaters, den sie so hoch
verehrte, unter einem Stein, auf den er eine rührend einfache Grabschrift setzte;
er selbst aber ruht seiner eignen Bestimmung gemäß nicht an ihrer Seite,
sonder" auf seinem Heimatskirchhof neben seinem Vater, mit dessen Tagewerk
er das seine so oft verglich. Das Beste sei arbeiten, mit der Hand arbeiten,
denn solches arbeiten sei Gottesdienst; weil er das aber nicht gekonnt habe
und überhaupt keine Ader von einem praktischen Manne an sich habe, so müsse
er, um doch auch nützlich zu sein, schriftstellern, und das wolle er nun so gut
machen, wie er könne, besser wenigstens als die meisten andern. Dieses Ar¬
beiten war ihm eine Last, die er nach seiner Auffassung für andre Menschen
auf sich z,, nehmen hatte, weil sie noch nicht gethan war, und die er trug
unter Seufzen und Ächzen, denn jedes erscheinende Buch schloß eigentlich eine
Periode des Leidens ab, die ihm hatte vorangehn müssen.

Wir sind etwas tief hineingeraten in die Intimitäten seines Privatdaseins,


Larlylc

seinem knappen Verdienste gleich anfangs mancherlei seinen Angehörigen zu;
so ließ er z. B. seinen jüngern Bruder ganz auf seine Kosten studieren, Sie
mußte das geschehn lassen, aber es geschah unter Sorgen und Seufzen, denn
CnrlyleS eigentümlicher Familiensinn hatte seine feste Richtung, Er liebte alle
die Seinen nicht nur mit einer an Blindheit grenzenden Verehrung, er war
sogar stolz auf seine Herkunft aus diesem äußerlich niedrigen, von körperlicher
Arbeit, die er so hoch schätzte, erfüllte» Lebenskreise, und er stellte dann wohl
die, mit denen er früher dieses Leben geteilt hatte, seiner Fran als Muster
hin. Und diese begegneten ihr, der feingebildeten und verwöhnten Frau, keines¬
wegs immer mit der liebreichen Rücksicht, die der alte Vater ihr erwiesen hatte,
einst als die junge Braut zuerst sein Haus betrat. Er ging damals in seine
Kammer, vertauschte sein Arbeitskleid mit seinein Sonntagsstaat, und nun erst
bewillkommte er das vornehme Mädchen mit einem Kuß. Fran Carlyle hat
ihm das nie vergessen. Carlyles kluge, edle und fromme Mutter blieb der
Familie bis in ihr hohes Alter erhalten, und der Sohn bewahrte ihr nicht
nur die volle kindliche Liebe früherer Tage, er sah sie auch in allen Dingen
als seine Beraterin an, der er schriftlich und mündlich vortrug, was ihn be¬
wegte. Für den Leser des Carlylischen Briefwechsels hat dieses inhaltreiche
Verhältnis etwas ungemein Rührendes, aber er wird doch die Empfindung
haben, daß hier an der Stelle der Mutter manchmal die Frau hätte stehn
sollen. Noch mehr! Carlyle verhehlte weder andern noch seiner Ehegattin
selbst, daß das Ideal eines Weibes, wenn es auf Erden möglich gewesen
wäre, sich für ihn nicht in der Genossin seines Lebenswegs, sondern in der
einfachen Manrersfrau von Maiuhill verkörpert haben würde. Fran Carlyle
sah das alles mit voller Überlegung; sie trug es um seinetwillen und suchte
seine Angehörigen zu lieben wie er, und wie es nur von einer außerordent¬
lichen Frau verstanden werden kann. Und als ob das trennende Etwas in
dieser Lebensgemeinschaft noch über das Leben hinaus seinen sichtbaren Aus¬
druck verlangte: er bestattete sie neben der alten Dorfkirche, in der sie und
soviele ihrer Vorfahren getauft waren, zur Seite ihres Vaters, den sie so hoch
verehrte, unter einem Stein, auf den er eine rührend einfache Grabschrift setzte;
er selbst aber ruht seiner eignen Bestimmung gemäß nicht an ihrer Seite,
sonder» auf seinem Heimatskirchhof neben seinem Vater, mit dessen Tagewerk
er das seine so oft verglich. Das Beste sei arbeiten, mit der Hand arbeiten,
denn solches arbeiten sei Gottesdienst; weil er das aber nicht gekonnt habe
und überhaupt keine Ader von einem praktischen Manne an sich habe, so müsse
er, um doch auch nützlich zu sein, schriftstellern, und das wolle er nun so gut
machen, wie er könne, besser wenigstens als die meisten andern. Dieses Ar¬
beiten war ihm eine Last, die er nach seiner Auffassung für andre Menschen
auf sich z,, nehmen hatte, weil sie noch nicht gethan war, und die er trug
unter Seufzen und Ächzen, denn jedes erscheinende Buch schloß eigentlich eine
Periode des Leidens ab, die ihm hatte vorangehn müssen.

Wir sind etwas tief hineingeraten in die Intimitäten seines Privatdaseins,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234173"/>
          <fw type="header" place="top"> Larlylc</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_966" prev="#ID_965"> seinem knappen Verdienste gleich anfangs mancherlei seinen Angehörigen zu;<lb/>
so ließ er z. B. seinen jüngern Bruder ganz auf seine Kosten studieren, Sie<lb/>
mußte das geschehn lassen, aber es geschah unter Sorgen und Seufzen, denn<lb/>
CnrlyleS eigentümlicher Familiensinn hatte seine feste Richtung, Er liebte alle<lb/>
die Seinen nicht nur mit einer an Blindheit grenzenden Verehrung, er war<lb/>
sogar stolz auf seine Herkunft aus diesem äußerlich niedrigen, von körperlicher<lb/>
Arbeit, die er so hoch schätzte, erfüllte» Lebenskreise, und er stellte dann wohl<lb/>
die, mit denen er früher dieses Leben geteilt hatte, seiner Fran als Muster<lb/>
hin. Und diese begegneten ihr, der feingebildeten und verwöhnten Frau, keines¬<lb/>
wegs immer mit der liebreichen Rücksicht, die der alte Vater ihr erwiesen hatte,<lb/>
einst als die junge Braut zuerst sein Haus betrat. Er ging damals in seine<lb/>
Kammer, vertauschte sein Arbeitskleid mit seinein Sonntagsstaat, und nun erst<lb/>
bewillkommte er das vornehme Mädchen mit einem Kuß. Fran Carlyle hat<lb/>
ihm das nie vergessen. Carlyles kluge, edle und fromme Mutter blieb der<lb/>
Familie bis in ihr hohes Alter erhalten, und der Sohn bewahrte ihr nicht<lb/>
nur die volle kindliche Liebe früherer Tage, er sah sie auch in allen Dingen<lb/>
als seine Beraterin an, der er schriftlich und mündlich vortrug, was ihn be¬<lb/>
wegte. Für den Leser des Carlylischen Briefwechsels hat dieses inhaltreiche<lb/>
Verhältnis etwas ungemein Rührendes, aber er wird doch die Empfindung<lb/>
haben, daß hier an der Stelle der Mutter manchmal die Frau hätte stehn<lb/>
sollen. Noch mehr! Carlyle verhehlte weder andern noch seiner Ehegattin<lb/>
selbst, daß das Ideal eines Weibes, wenn es auf Erden möglich gewesen<lb/>
wäre, sich für ihn nicht in der Genossin seines Lebenswegs, sondern in der<lb/>
einfachen Manrersfrau von Maiuhill verkörpert haben würde. Fran Carlyle<lb/>
sah das alles mit voller Überlegung; sie trug es um seinetwillen und suchte<lb/>
seine Angehörigen zu lieben wie er, und wie es nur von einer außerordent¬<lb/>
lichen Frau verstanden werden kann. Und als ob das trennende Etwas in<lb/>
dieser Lebensgemeinschaft noch über das Leben hinaus seinen sichtbaren Aus¬<lb/>
druck verlangte: er bestattete sie neben der alten Dorfkirche, in der sie und<lb/>
soviele ihrer Vorfahren getauft waren, zur Seite ihres Vaters, den sie so hoch<lb/>
verehrte, unter einem Stein, auf den er eine rührend einfache Grabschrift setzte;<lb/>
er selbst aber ruht seiner eignen Bestimmung gemäß nicht an ihrer Seite,<lb/>
sonder» auf seinem Heimatskirchhof neben seinem Vater, mit dessen Tagewerk<lb/>
er das seine so oft verglich. Das Beste sei arbeiten, mit der Hand arbeiten,<lb/>
denn solches arbeiten sei Gottesdienst; weil er das aber nicht gekonnt habe<lb/>
und überhaupt keine Ader von einem praktischen Manne an sich habe, so müsse<lb/>
er, um doch auch nützlich zu sein, schriftstellern, und das wolle er nun so gut<lb/>
machen, wie er könne, besser wenigstens als die meisten andern. Dieses Ar¬<lb/>
beiten war ihm eine Last, die er nach seiner Auffassung für andre Menschen<lb/>
auf sich z,, nehmen hatte, weil sie noch nicht gethan war, und die er trug<lb/>
unter Seufzen und Ächzen, denn jedes erscheinende Buch schloß eigentlich eine<lb/>
Periode des Leidens ab, die ihm hatte vorangehn müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_967" next="#ID_968"> Wir sind etwas tief hineingeraten in die Intimitäten seines Privatdaseins,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Larlylc seinem knappen Verdienste gleich anfangs mancherlei seinen Angehörigen zu; so ließ er z. B. seinen jüngern Bruder ganz auf seine Kosten studieren, Sie mußte das geschehn lassen, aber es geschah unter Sorgen und Seufzen, denn CnrlyleS eigentümlicher Familiensinn hatte seine feste Richtung, Er liebte alle die Seinen nicht nur mit einer an Blindheit grenzenden Verehrung, er war sogar stolz auf seine Herkunft aus diesem äußerlich niedrigen, von körperlicher Arbeit, die er so hoch schätzte, erfüllte» Lebenskreise, und er stellte dann wohl die, mit denen er früher dieses Leben geteilt hatte, seiner Fran als Muster hin. Und diese begegneten ihr, der feingebildeten und verwöhnten Frau, keines¬ wegs immer mit der liebreichen Rücksicht, die der alte Vater ihr erwiesen hatte, einst als die junge Braut zuerst sein Haus betrat. Er ging damals in seine Kammer, vertauschte sein Arbeitskleid mit seinein Sonntagsstaat, und nun erst bewillkommte er das vornehme Mädchen mit einem Kuß. Fran Carlyle hat ihm das nie vergessen. Carlyles kluge, edle und fromme Mutter blieb der Familie bis in ihr hohes Alter erhalten, und der Sohn bewahrte ihr nicht nur die volle kindliche Liebe früherer Tage, er sah sie auch in allen Dingen als seine Beraterin an, der er schriftlich und mündlich vortrug, was ihn be¬ wegte. Für den Leser des Carlylischen Briefwechsels hat dieses inhaltreiche Verhältnis etwas ungemein Rührendes, aber er wird doch die Empfindung haben, daß hier an der Stelle der Mutter manchmal die Frau hätte stehn sollen. Noch mehr! Carlyle verhehlte weder andern noch seiner Ehegattin selbst, daß das Ideal eines Weibes, wenn es auf Erden möglich gewesen wäre, sich für ihn nicht in der Genossin seines Lebenswegs, sondern in der einfachen Manrersfrau von Maiuhill verkörpert haben würde. Fran Carlyle sah das alles mit voller Überlegung; sie trug es um seinetwillen und suchte seine Angehörigen zu lieben wie er, und wie es nur von einer außerordent¬ lichen Frau verstanden werden kann. Und als ob das trennende Etwas in dieser Lebensgemeinschaft noch über das Leben hinaus seinen sichtbaren Aus¬ druck verlangte: er bestattete sie neben der alten Dorfkirche, in der sie und soviele ihrer Vorfahren getauft waren, zur Seite ihres Vaters, den sie so hoch verehrte, unter einem Stein, auf den er eine rührend einfache Grabschrift setzte; er selbst aber ruht seiner eignen Bestimmung gemäß nicht an ihrer Seite, sonder» auf seinem Heimatskirchhof neben seinem Vater, mit dessen Tagewerk er das seine so oft verglich. Das Beste sei arbeiten, mit der Hand arbeiten, denn solches arbeiten sei Gottesdienst; weil er das aber nicht gekonnt habe und überhaupt keine Ader von einem praktischen Manne an sich habe, so müsse er, um doch auch nützlich zu sein, schriftstellern, und das wolle er nun so gut machen, wie er könne, besser wenigstens als die meisten andern. Dieses Ar¬ beiten war ihm eine Last, die er nach seiner Auffassung für andre Menschen auf sich z,, nehmen hatte, weil sie noch nicht gethan war, und die er trug unter Seufzen und Ächzen, denn jedes erscheinende Buch schloß eigentlich eine Periode des Leidens ab, die ihm hatte vorangehn müssen. Wir sind etwas tief hineingeraten in die Intimitäten seines Privatdaseins,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/293>, abgerufen am 27.06.2024.