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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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die Hensel nach dem Plane seines Buches kurz abthun konnte. Er findet sie
unerquicklich, was sie ja auch zum Teil sind, und nennt es elendes Geschwätz,
wenn jemand hier nach Schuld und Glück fragen wollte; es gehe überhaupt
uicht an, ein irgendwie bedeutendes Leben von dein Standpunkt aus zu
betrachten, ob mehr oder weniger Glück darin vorhanden war. "Diese Frage
war für Jane Welsh Carlyle wie für ihren Gatten im wesenlosen Scheine ge¬
blieben. Sie hatte etwas andres denn Glück vom Lebe" erwartet, als sie
ihren Bund mit Carlyle schloß, und dieses andre, zu fühlen, daß sie Carlyle
zur Ausbildung alles dessen verhelfen durfte, waS die Natur in ihm angelegt
hatte, das hatte ihr das Schicksal im Überschwang zu teil werden lassen. Sie
hatte ein tapferes, heldenmütiges Leben geführt, die Menschen, die mit ihr
zusammenkamen, besser und nicht schlechter gemacht, nud ihr Lohn war ein
Hinscheiden nach lange zweifelhaftem und endlich errungnem Siege." Das ist
nicht mir sehr schön ausgedrückt, sondern auch hoch nud edel gedacht, nur paßt
es eher auf ihn als auf seine Gattin. Nicht als ob wir ihn für den bessern
Teil erklären wollten, aber er hat diesen Verzicht auf das Glücklichsein so oft
und so nachdrücklich ausgesprochen, daß er ihn für seine Person ohne Zweifel
natürlich fand und mit diesem Rechnungsabschluß einverstanden sein müßte
auch ohne den Anspruch auf einen Platz unter den Klassikern der Philosophie.
Von Frau Carlyle ist dies nicht so gewiß; hier geben wir für sie unsre Stimme
ab, das heißt zunächst Hensel, denn die meisten von uns werden wohl eher
geneigt sein, das zu thun, was er für "nicht thunlich" erklärt. Viele haben
auch in Deutschland die Publikationen Froudes bedauert. Hensel stellt sich
nicht zu diesen; er weiß, was sie wert find, nicht nur für das Andenken einer
Frau von seltner Begabung, sondern auch für die Erkenntnis Carlyles. Dieser
tritt nun tiefer zu uns herunter, ein Mensch wie wir; er gewinnt dabei und
verliert, aber die Abrechnung muß erst noch gemacht werden. Hensel hat eine
Stelle, die wir im Auszug hierher setzen. Er habe Carlyles Lehre enger mit
seinem Leben verbunden, weil er zu sehen glaubte, daß alle äußern Verände¬
rungen in seinem Lebe" ihren Grund in einer innern Notwendigkeit gehabt
hätten. Von einem merkwürdig feinen Instinkt geleitet, wußte Carlyle, welche
Umgebung für seine Gedanken am förderlichsten sein würde, und so stellt sich
sein Leben für mich umgekehrt dar, als wie es bei Fronde erscheint. Bei ihm
ist Carlyles Leben ein direktes Widerspiel seiner Philosophie: jede äußere Ver¬
änderung ist durch äußere, namentlich pekuniäre Umstände veranlaßt, Carlyle
wird von den Dingen bestimmt. Alsdann würden seine Lehre, als deren
Zentralpunkt wir die Spontaneität des moralischen Bewußtseins erkannt haben,
und sein Leben in einem unauflöslichen Widerspruch stehn, Carlyle würde in
dem elementarsten Zwiespalt, der die Einheit eines Alltagsmenschen stören
kann, stecken geblieben sein usw. Mir scheint dagegen eine solche Einheit
zwischen Leben und Lehre, wie wir sie gerade bei ihm finden, selten in dem
Leben eines Mannes erreicht zu sein. Seine Schriften sind gar nichts andres
als der objektiv gewordne Ausdruck seines Charakters.


Larlyle

die Hensel nach dem Plane seines Buches kurz abthun konnte. Er findet sie
unerquicklich, was sie ja auch zum Teil sind, und nennt es elendes Geschwätz,
wenn jemand hier nach Schuld und Glück fragen wollte; es gehe überhaupt
uicht an, ein irgendwie bedeutendes Leben von dein Standpunkt aus zu
betrachten, ob mehr oder weniger Glück darin vorhanden war. „Diese Frage
war für Jane Welsh Carlyle wie für ihren Gatten im wesenlosen Scheine ge¬
blieben. Sie hatte etwas andres denn Glück vom Lebe» erwartet, als sie
ihren Bund mit Carlyle schloß, und dieses andre, zu fühlen, daß sie Carlyle
zur Ausbildung alles dessen verhelfen durfte, waS die Natur in ihm angelegt
hatte, das hatte ihr das Schicksal im Überschwang zu teil werden lassen. Sie
hatte ein tapferes, heldenmütiges Leben geführt, die Menschen, die mit ihr
zusammenkamen, besser und nicht schlechter gemacht, nud ihr Lohn war ein
Hinscheiden nach lange zweifelhaftem und endlich errungnem Siege." Das ist
nicht mir sehr schön ausgedrückt, sondern auch hoch nud edel gedacht, nur paßt
es eher auf ihn als auf seine Gattin. Nicht als ob wir ihn für den bessern
Teil erklären wollten, aber er hat diesen Verzicht auf das Glücklichsein so oft
und so nachdrücklich ausgesprochen, daß er ihn für seine Person ohne Zweifel
natürlich fand und mit diesem Rechnungsabschluß einverstanden sein müßte
auch ohne den Anspruch auf einen Platz unter den Klassikern der Philosophie.
Von Frau Carlyle ist dies nicht so gewiß; hier geben wir für sie unsre Stimme
ab, das heißt zunächst Hensel, denn die meisten von uns werden wohl eher
geneigt sein, das zu thun, was er für „nicht thunlich" erklärt. Viele haben
auch in Deutschland die Publikationen Froudes bedauert. Hensel stellt sich
nicht zu diesen; er weiß, was sie wert find, nicht nur für das Andenken einer
Frau von seltner Begabung, sondern auch für die Erkenntnis Carlyles. Dieser
tritt nun tiefer zu uns herunter, ein Mensch wie wir; er gewinnt dabei und
verliert, aber die Abrechnung muß erst noch gemacht werden. Hensel hat eine
Stelle, die wir im Auszug hierher setzen. Er habe Carlyles Lehre enger mit
seinem Leben verbunden, weil er zu sehen glaubte, daß alle äußern Verände¬
rungen in seinem Lebe» ihren Grund in einer innern Notwendigkeit gehabt
hätten. Von einem merkwürdig feinen Instinkt geleitet, wußte Carlyle, welche
Umgebung für seine Gedanken am förderlichsten sein würde, und so stellt sich
sein Leben für mich umgekehrt dar, als wie es bei Fronde erscheint. Bei ihm
ist Carlyles Leben ein direktes Widerspiel seiner Philosophie: jede äußere Ver¬
änderung ist durch äußere, namentlich pekuniäre Umstände veranlaßt, Carlyle
wird von den Dingen bestimmt. Alsdann würden seine Lehre, als deren
Zentralpunkt wir die Spontaneität des moralischen Bewußtseins erkannt haben,
und sein Leben in einem unauflöslichen Widerspruch stehn, Carlyle würde in
dem elementarsten Zwiespalt, der die Einheit eines Alltagsmenschen stören
kann, stecken geblieben sein usw. Mir scheint dagegen eine solche Einheit
zwischen Leben und Lehre, wie wir sie gerade bei ihm finden, selten in dem
Leben eines Mannes erreicht zu sein. Seine Schriften sind gar nichts andres
als der objektiv gewordne Ausdruck seines Charakters.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/294>, abgerufen am 27.06.2024.