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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Carlyle

köstlich wehmütigen Humor, ein einziges mal, als Frnu Carlyles Mutter zum
Besuch bei ihnen war, veranstalteten Mutter und Tochter eine stilvolle Soiree,
die mit kleinen Familienszeneu begann und dann eine größere Verstimmung
als dauerndes Andenken zurückließ. Der kleine Verkehr wurde fortgesetzt, bis
des Hausherrn Tagesordnung ihn zu sehr erschwerte, Carlyle selbst ging
einzeln auch später noch in ganz große Gesellschaften vornehmer Hänser, die
keine Erwiderung voraussetzten; selten begleitete thu seine Fran, deren zarte
Gesundheit diese Art Anstrengung neben den häuslichen Pflichten nicht erlaubte.
Menschenverkehr, wenn er gelingt und wechselseitigen Ertrag giebt, ist gewiß
das Schönste am Leben. Daß auch die höchstbcgnbten Naturen diese Anregung
zu.ihrem Schaden entbehren, zeigt die Art, wie beide Carlyles sich zu dieser
Lebensfrage stellen. In ihren Briefen und Tagebnchnotize" sprechen sie sich
mit Geringschätzung über die üblichen Arten des gesellschaftlichen Verkehrs ans.
Aber das ist theoretisch. Ebensoviel Stellen lassen erkennen, wie wenig zu¬
frieden sich doch im Grunde beide, deren Natur nach Mitteilung verlangte, bei
der zunehmenden Abschließung ihres äußern Lebens fühlten. Er ließ sich immer
mehr gehn in dem, was er fordern zu können glaubte. Sie wurde reizbar,
scharf in ihren Äußerungen. Es kam hin und wieder zu ganz scharfen Zer¬
würfnissen. In solchen Lagen haben Menschen, namentlich Frauen, leider oft
das Bedürfnis niederzuschreiben, was nach Möglichkeit vergessen werden sollte,
und in einem solchen Augenblick warf einmal Frau Carlyle einen tief ergreifenden
Rückblick auf ihr Leben von der Zeit an, wo der glänzend begabte weltförmige
Irving ihrer begehrte und lange auf ihr Jawort wartete, bis sie sich endlich
entschloß ihm zu entsagen und Carlyle die Hand reichte, "und ich war namenlos
unglücklich," heißt es ganz zuletzt.

Durch die Veröffentlichung solcher Stellen mußten seine Verwandten tief
verstimmt werden, denn nun schien es, als sei er, der tyrannische Mann, an
ihrem vorzeitigen Tode mit schuld gewesen. Und doch hatte er selbst, als er
ihren Briefwechsel ordnete und die ihm völlig neuen Tagebuchblätter durchsah,
alle diese beredten Zeugnisse so vieler Kümmernis (vielleicht für eine spätere
Herausgabe) mit kurzen Bemerkungen versehen und auch mit einem immer
wiederkehrenden "Ach, ach!", Äußerungen der Liebe, die nun zu spät kamen.
Wie seine Sonderbarkeiten auf sie gewirkt hatten, das wurde ihm erst da klar.
Und viele davon hatte sie wiederum auch nicht getragen, wie sie sollte, und
ganz gewiß war sie in der schnellen Schürfe ihres Ausdrucks nicht immer die
richtige und wohlthuend wirkende Beurteilerin seiner Handlungen gewesen.
"Die Sprache des Bösen" nennt er ihren Snrkasmus. Wie ant ist das zu
verstehn!

Man möchte fast, man Hütte es beinahe lieber, wenn es tiefergreifende
innere Gegensätze gewesen wären, die diese zwei Menschen voneinander getrennt
hätten. Aber es war anders, in allen großen Fragen waren sie eines Sinnes,
und darin vertraute sie ihm als ihrem Führer, diese Einigkeit jedoch wirkte
nicht weiter und schuf ihnen nicht den innern Frieden des Lebens, der an


Carlyle

köstlich wehmütigen Humor, ein einziges mal, als Frnu Carlyles Mutter zum
Besuch bei ihnen war, veranstalteten Mutter und Tochter eine stilvolle Soiree,
die mit kleinen Familienszeneu begann und dann eine größere Verstimmung
als dauerndes Andenken zurückließ. Der kleine Verkehr wurde fortgesetzt, bis
des Hausherrn Tagesordnung ihn zu sehr erschwerte, Carlyle selbst ging
einzeln auch später noch in ganz große Gesellschaften vornehmer Hänser, die
keine Erwiderung voraussetzten; selten begleitete thu seine Fran, deren zarte
Gesundheit diese Art Anstrengung neben den häuslichen Pflichten nicht erlaubte.
Menschenverkehr, wenn er gelingt und wechselseitigen Ertrag giebt, ist gewiß
das Schönste am Leben. Daß auch die höchstbcgnbten Naturen diese Anregung
zu.ihrem Schaden entbehren, zeigt die Art, wie beide Carlyles sich zu dieser
Lebensfrage stellen. In ihren Briefen und Tagebnchnotize» sprechen sie sich
mit Geringschätzung über die üblichen Arten des gesellschaftlichen Verkehrs ans.
Aber das ist theoretisch. Ebensoviel Stellen lassen erkennen, wie wenig zu¬
frieden sich doch im Grunde beide, deren Natur nach Mitteilung verlangte, bei
der zunehmenden Abschließung ihres äußern Lebens fühlten. Er ließ sich immer
mehr gehn in dem, was er fordern zu können glaubte. Sie wurde reizbar,
scharf in ihren Äußerungen. Es kam hin und wieder zu ganz scharfen Zer¬
würfnissen. In solchen Lagen haben Menschen, namentlich Frauen, leider oft
das Bedürfnis niederzuschreiben, was nach Möglichkeit vergessen werden sollte,
und in einem solchen Augenblick warf einmal Frau Carlyle einen tief ergreifenden
Rückblick auf ihr Leben von der Zeit an, wo der glänzend begabte weltförmige
Irving ihrer begehrte und lange auf ihr Jawort wartete, bis sie sich endlich
entschloß ihm zu entsagen und Carlyle die Hand reichte, „und ich war namenlos
unglücklich," heißt es ganz zuletzt.

Durch die Veröffentlichung solcher Stellen mußten seine Verwandten tief
verstimmt werden, denn nun schien es, als sei er, der tyrannische Mann, an
ihrem vorzeitigen Tode mit schuld gewesen. Und doch hatte er selbst, als er
ihren Briefwechsel ordnete und die ihm völlig neuen Tagebuchblätter durchsah,
alle diese beredten Zeugnisse so vieler Kümmernis (vielleicht für eine spätere
Herausgabe) mit kurzen Bemerkungen versehen und auch mit einem immer
wiederkehrenden „Ach, ach!", Äußerungen der Liebe, die nun zu spät kamen.
Wie seine Sonderbarkeiten auf sie gewirkt hatten, das wurde ihm erst da klar.
Und viele davon hatte sie wiederum auch nicht getragen, wie sie sollte, und
ganz gewiß war sie in der schnellen Schürfe ihres Ausdrucks nicht immer die
richtige und wohlthuend wirkende Beurteilerin seiner Handlungen gewesen.
„Die Sprache des Bösen" nennt er ihren Snrkasmus. Wie ant ist das zu
verstehn!

Man möchte fast, man Hütte es beinahe lieber, wenn es tiefergreifende
innere Gegensätze gewesen wären, die diese zwei Menschen voneinander getrennt
hätten. Aber es war anders, in allen großen Fragen waren sie eines Sinnes,
und darin vertraute sie ihm als ihrem Führer, diese Einigkeit jedoch wirkte
nicht weiter und schuf ihnen nicht den innern Frieden des Lebens, der an


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[0291] Carlyle köstlich wehmütigen Humor, ein einziges mal, als Frnu Carlyles Mutter zum Besuch bei ihnen war, veranstalteten Mutter und Tochter eine stilvolle Soiree, die mit kleinen Familienszeneu begann und dann eine größere Verstimmung als dauerndes Andenken zurückließ. Der kleine Verkehr wurde fortgesetzt, bis des Hausherrn Tagesordnung ihn zu sehr erschwerte, Carlyle selbst ging einzeln auch später noch in ganz große Gesellschaften vornehmer Hänser, die keine Erwiderung voraussetzten; selten begleitete thu seine Fran, deren zarte Gesundheit diese Art Anstrengung neben den häuslichen Pflichten nicht erlaubte. Menschenverkehr, wenn er gelingt und wechselseitigen Ertrag giebt, ist gewiß das Schönste am Leben. Daß auch die höchstbcgnbten Naturen diese Anregung zu.ihrem Schaden entbehren, zeigt die Art, wie beide Carlyles sich zu dieser Lebensfrage stellen. In ihren Briefen und Tagebnchnotize» sprechen sie sich mit Geringschätzung über die üblichen Arten des gesellschaftlichen Verkehrs ans. Aber das ist theoretisch. Ebensoviel Stellen lassen erkennen, wie wenig zu¬ frieden sich doch im Grunde beide, deren Natur nach Mitteilung verlangte, bei der zunehmenden Abschließung ihres äußern Lebens fühlten. Er ließ sich immer mehr gehn in dem, was er fordern zu können glaubte. Sie wurde reizbar, scharf in ihren Äußerungen. Es kam hin und wieder zu ganz scharfen Zer¬ würfnissen. In solchen Lagen haben Menschen, namentlich Frauen, leider oft das Bedürfnis niederzuschreiben, was nach Möglichkeit vergessen werden sollte, und in einem solchen Augenblick warf einmal Frau Carlyle einen tief ergreifenden Rückblick auf ihr Leben von der Zeit an, wo der glänzend begabte weltförmige Irving ihrer begehrte und lange auf ihr Jawort wartete, bis sie sich endlich entschloß ihm zu entsagen und Carlyle die Hand reichte, „und ich war namenlos unglücklich," heißt es ganz zuletzt. Durch die Veröffentlichung solcher Stellen mußten seine Verwandten tief verstimmt werden, denn nun schien es, als sei er, der tyrannische Mann, an ihrem vorzeitigen Tode mit schuld gewesen. Und doch hatte er selbst, als er ihren Briefwechsel ordnete und die ihm völlig neuen Tagebuchblätter durchsah, alle diese beredten Zeugnisse so vieler Kümmernis (vielleicht für eine spätere Herausgabe) mit kurzen Bemerkungen versehen und auch mit einem immer wiederkehrenden „Ach, ach!", Äußerungen der Liebe, die nun zu spät kamen. Wie seine Sonderbarkeiten auf sie gewirkt hatten, das wurde ihm erst da klar. Und viele davon hatte sie wiederum auch nicht getragen, wie sie sollte, und ganz gewiß war sie in der schnellen Schürfe ihres Ausdrucks nicht immer die richtige und wohlthuend wirkende Beurteilerin seiner Handlungen gewesen. „Die Sprache des Bösen" nennt er ihren Snrkasmus. Wie ant ist das zu verstehn! Man möchte fast, man Hütte es beinahe lieber, wenn es tiefergreifende innere Gegensätze gewesen wären, die diese zwei Menschen voneinander getrennt hätten. Aber es war anders, in allen großen Fragen waren sie eines Sinnes, und darin vertraute sie ihm als ihrem Führer, diese Einigkeit jedoch wirkte nicht weiter und schuf ihnen nicht den innern Frieden des Lebens, der an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/291>, abgerufen am 27.06.2024.