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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Larlyte

und seine Arbeit finden möge, dann treiben sie ihn mit wohlgemeinten
Streichen an, was immer wieder nötig ist, zu neuer Verzweiflung, und sind
ini stillen längst entschlossen, ihn nach und nach mit erlösenden Tode, aber
durchaus nicht mit äußern Gittern zu bezahlen. Wenden wir diese echt
Carlylische Betrachtung auf sein eignes Leben an, so blieb dieses zwar von
schweren Schicksalsschlägen verschont, desto mehr aber war es erfüllt von
Irrungen und Kümmernissen, die man aus seinen Werken nicht ahnt; man
begreift es nicht, wie ein Schriftsteller, der auf den Höhen der Erkenntnis
steht, entschlossen und sonnenklar, ein Wegweiser für viele, sich als Mensch
unter die kleinen Dinge des Lebens beugt und mehr unter ihnen seufzt und
ächzt, als vielleicht irgend jemand, bis sich ein Druck auf sein und seiner
Gattin Leben legt wie eine weite dunkle Wolke, darunter sie wirkliches Un¬
gemach von eingebildetein nicht mehr unterscheiden können. Das große
Publikum hat hiervon erst nach Carlhles Tode (1881) erfahren durch das
Tagebuch der längst (1866) verstorbne!, Frau und deu Briefwechsel beider
Ehegatten, was alles dann von seinem Freunde, dem Historiker Fronde,
herausgegeben wurde und auch deutsch im Auszüge schon vor etwa fünfzehn
Jahren bei Perthes erschienen ist.

Äußerlich war Carlhles Leben feit seiner Übersiedlung nach London ohne
große Bewegung, Das kleine Haus in Chelsea, das er 1834 mit seiner Frau,
einem aus der Heimat mitgebrachten Dienstboten und einem Vogel bezog, ver¬
ließ er nicht wieder. Abschnitte bildeten, außer zwei kurzen Studienreisen nach
Deutschland für das Leben Friedrichs des Großen, die regelmäßig wieder¬
kehrenden Landaufenthalte, teils bei den Angehörigen in Schottland, teils bei
reichen englischen Freunden und hochgestellten Gönnern. Die Ehe war kinderlos.
Desto mehr kam auf die Naturen der beiden Gatten an. Wir bekommen den
Eindruck, und Freunde des Hauses haben es geradezu ausgesprochen, daß wenn
man sie auf ihre Begabung hin vergleichen wollte, man wohl in Zweifel sein
konnte, wer von beiden der geistig bedeutendere Teil war. Trotzdem war sie
nicht feine Mitarbeiterin, Sie klagt im Gegenteil, daß sie ihn außer bei deu
Mahlzeiten nicht sieht, daß er für sie nie da ist. Seine Werke, die ihn zum
berühmten Manne macheu, könnte sie auch schreiben; ihre Werke, die doch
ihm erst die Ruhe und Stimmung zu seiner Arbeit geben müßten, erkenne
keiner an, Sie war eine musterhafte Hausfrau mit einem bewundernswerter
Talent "für die Details," wie einer ihrer.Hausfreunde, der General Cavaignac,
zu sagen pflegte, mit eigner Hand arbeitend bis zur Erschöpfung, sparsam alles
überlegend, wie es die knapp zugeschnittnen Verhältnisse im Anfang der Ehe
Erlangten, Aber auch später, als es nicht mehr so nötig war, tritt dies
Okonomisieren in allen Einzelheiten des Hauswesens so sehr in den Vorder¬
grund, daß man es Wohl als eine Eigenschaft ihres Wesens, nicht bloß als
Angewöhnung durch die Not ansehen darf, so sehr nimmt es ihre Gedanken
M Anspruch, Aber sie übt auch einen großen Einfluß auf den Gatten. Keine
Zeile wird gedruckt, die sie nicht gelesen Hütte. Sie frohlockt über seine Er-


Grenzbnw/l 1901 86
Larlyte

und seine Arbeit finden möge, dann treiben sie ihn mit wohlgemeinten
Streichen an, was immer wieder nötig ist, zu neuer Verzweiflung, und sind
ini stillen längst entschlossen, ihn nach und nach mit erlösenden Tode, aber
durchaus nicht mit äußern Gittern zu bezahlen. Wenden wir diese echt
Carlylische Betrachtung auf sein eignes Leben an, so blieb dieses zwar von
schweren Schicksalsschlägen verschont, desto mehr aber war es erfüllt von
Irrungen und Kümmernissen, die man aus seinen Werken nicht ahnt; man
begreift es nicht, wie ein Schriftsteller, der auf den Höhen der Erkenntnis
steht, entschlossen und sonnenklar, ein Wegweiser für viele, sich als Mensch
unter die kleinen Dinge des Lebens beugt und mehr unter ihnen seufzt und
ächzt, als vielleicht irgend jemand, bis sich ein Druck auf sein und seiner
Gattin Leben legt wie eine weite dunkle Wolke, darunter sie wirkliches Un¬
gemach von eingebildetein nicht mehr unterscheiden können. Das große
Publikum hat hiervon erst nach Carlhles Tode (1881) erfahren durch das
Tagebuch der längst (1866) verstorbne!, Frau und deu Briefwechsel beider
Ehegatten, was alles dann von seinem Freunde, dem Historiker Fronde,
herausgegeben wurde und auch deutsch im Auszüge schon vor etwa fünfzehn
Jahren bei Perthes erschienen ist.

Äußerlich war Carlhles Leben feit seiner Übersiedlung nach London ohne
große Bewegung, Das kleine Haus in Chelsea, das er 1834 mit seiner Frau,
einem aus der Heimat mitgebrachten Dienstboten und einem Vogel bezog, ver¬
ließ er nicht wieder. Abschnitte bildeten, außer zwei kurzen Studienreisen nach
Deutschland für das Leben Friedrichs des Großen, die regelmäßig wieder¬
kehrenden Landaufenthalte, teils bei den Angehörigen in Schottland, teils bei
reichen englischen Freunden und hochgestellten Gönnern. Die Ehe war kinderlos.
Desto mehr kam auf die Naturen der beiden Gatten an. Wir bekommen den
Eindruck, und Freunde des Hauses haben es geradezu ausgesprochen, daß wenn
man sie auf ihre Begabung hin vergleichen wollte, man wohl in Zweifel sein
konnte, wer von beiden der geistig bedeutendere Teil war. Trotzdem war sie
nicht feine Mitarbeiterin, Sie klagt im Gegenteil, daß sie ihn außer bei deu
Mahlzeiten nicht sieht, daß er für sie nie da ist. Seine Werke, die ihn zum
berühmten Manne macheu, könnte sie auch schreiben; ihre Werke, die doch
ihm erst die Ruhe und Stimmung zu seiner Arbeit geben müßten, erkenne
keiner an, Sie war eine musterhafte Hausfrau mit einem bewundernswerter
Talent „für die Details," wie einer ihrer.Hausfreunde, der General Cavaignac,
zu sagen pflegte, mit eigner Hand arbeitend bis zur Erschöpfung, sparsam alles
überlegend, wie es die knapp zugeschnittnen Verhältnisse im Anfang der Ehe
Erlangten, Aber auch später, als es nicht mehr so nötig war, tritt dies
Okonomisieren in allen Einzelheiten des Hauswesens so sehr in den Vorder¬
grund, daß man es Wohl als eine Eigenschaft ihres Wesens, nicht bloß als
Angewöhnung durch die Not ansehen darf, so sehr nimmt es ihre Gedanken
M Anspruch, Aber sie übt auch einen großen Einfluß auf den Gatten. Keine
Zeile wird gedruckt, die sie nicht gelesen Hütte. Sie frohlockt über seine Er-


Grenzbnw/l 1901 86
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/289>, abgerufen am 27.06.2024.