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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Larlylo

kennen lernen will, lese deS Verfassers viertes Kapitel und versuche es dann
mit dem englischen Original.

Auch das demnächst in seiner Ausdrucksweise originellste Buch Carlyles,
die Vorlesungen über Heroen und Heroenkult, verliert an Reiz sogar in einer
recht guten Übersetzung, wie die von Neuberg ist (Berlin, Decker, dritte Auf¬
lage, 1898). Anders steht es mit den abhandelnden Werken bei ihren, starken
sachlichen Gehalt; unter den von Hensel herausgegebnen lesen sich namentlich
?äst nul Z?r<Z8"ut und die I^leer-eilt,^ ?g,inplilot8 sehr gut. Eine Ehrenschuld,
die wir Deutschen endlich einmal an Carlhle abzutragen hätten, wäre eine gute
Übersetzung und zugleich Bearbeitung seines Friedrichs des Großen. Nächst
der Französischen Revolution ist kein Buch von ihm so mit dem Herzen ge¬
schrieben. Er sah hier unter vielen genießenden oder bloß repräsentierenden
Fürsten einen König, der ein Diener seines Staats sein wollte, und der ein
kleines Volk durch seine Arbeit groß gemacht hat. Diese Erscheinung wollte er
bis in ihre Anfänge hinauf verfolgen und den nachgebornen anschaulich greifbar
macheu. Was wußten denn die Engländer seiner Zeit von Friedrich dem
Großen? fragt Hensel. Schließen wir lieber gleich die Deutschen mit ein. Wie
matt und farblos langweilig sind die populären Darstellungen, z. B. die Franz
Kuglers, wenn man sie neben Carlhle hält. Die Geschichte und die Institutionen
kannte man; das Persönliche, auf das es Carlhle immer ankommt, war ver¬
blaßt und verschwunden, oder es wäre es doch, wen" Adolf Menzel nicht ge¬
kommen wäre, bis auf eine Anzahl lebendig gebliebner Anekdoten vom alten
Fritz. Der auffallendste Mangel, meint Hensel, ist auch hier (nämlich wie in
der Französischen Revolution) das Fehlen aller archivalischen Studien. Das
ist sehr schulmeisterlich geurteilt. Daß Carlhle un gehobnes Material bearbeiten
konnte, hat er in seinem Oomwöll oder in I'äst -urcl ?rssönt gezeigt, aber
das konnten auch andre, das kann heute jeder examinierte Historiker. Aber
Carlyle kann mehr, und es scheint in der That, als ob dieses Mehr, was in
seinem Friedrich dem Großen steckt, vielleicht allmählich in die allgemeine
Kenntnis übergegangen, aber als sein Eigentum und Verdienst noch nicht hin¬
länglich anerkannt worden ist. Wann begegnet man eigentlich in unsrer wissen¬
schaftlichen Litteratur über Friedrich den Großen dem Namen Carlyles? Ich
habe seit Jahren danach gesucht und in jedem neuerschienenen Buch über
Carlhle oder Friedrich den Großen etwas zu finden gehofft, aber vergeblich.
Das einzige Erwähnenswerte sind einige Bemerkungen bei Reinhold Koser,
die sich hauptsächlich auf die Zeichnung des in der That kostbaren Bildes von
Friedrich Wilhelm I. beziehn. Frau Carlhle pflegte z. B. mit Stolz zu er¬
zählen, daß nach ihres Mannes Büchern in den preußischen Kriegsschulen die
Topographie der Friedericinnischcn Schlachten erläutert würde. Keiner wird
das wörtlich nehmen, aber mau möchte doch die Wissenden fragen, wie weit
in ihren Kreisen in diesen oder in ähnlichen Dingen dem Biographen Friedrichs
des Großen der Anspruch, etwas neues gefunden zu haben, zugestanden wird.

Eins ist sicherlich neu in seiner Schilderung Friedrichs des Großen, wenn


Larlylo

kennen lernen will, lese deS Verfassers viertes Kapitel und versuche es dann
mit dem englischen Original.

Auch das demnächst in seiner Ausdrucksweise originellste Buch Carlyles,
die Vorlesungen über Heroen und Heroenkult, verliert an Reiz sogar in einer
recht guten Übersetzung, wie die von Neuberg ist (Berlin, Decker, dritte Auf¬
lage, 1898). Anders steht es mit den abhandelnden Werken bei ihren, starken
sachlichen Gehalt; unter den von Hensel herausgegebnen lesen sich namentlich
?äst nul Z?r<Z8«ut und die I^leer-eilt,^ ?g,inplilot8 sehr gut. Eine Ehrenschuld,
die wir Deutschen endlich einmal an Carlhle abzutragen hätten, wäre eine gute
Übersetzung und zugleich Bearbeitung seines Friedrichs des Großen. Nächst
der Französischen Revolution ist kein Buch von ihm so mit dem Herzen ge¬
schrieben. Er sah hier unter vielen genießenden oder bloß repräsentierenden
Fürsten einen König, der ein Diener seines Staats sein wollte, und der ein
kleines Volk durch seine Arbeit groß gemacht hat. Diese Erscheinung wollte er
bis in ihre Anfänge hinauf verfolgen und den nachgebornen anschaulich greifbar
macheu. Was wußten denn die Engländer seiner Zeit von Friedrich dem
Großen? fragt Hensel. Schließen wir lieber gleich die Deutschen mit ein. Wie
matt und farblos langweilig sind die populären Darstellungen, z. B. die Franz
Kuglers, wenn man sie neben Carlhle hält. Die Geschichte und die Institutionen
kannte man; das Persönliche, auf das es Carlhle immer ankommt, war ver¬
blaßt und verschwunden, oder es wäre es doch, wen» Adolf Menzel nicht ge¬
kommen wäre, bis auf eine Anzahl lebendig gebliebner Anekdoten vom alten
Fritz. Der auffallendste Mangel, meint Hensel, ist auch hier (nämlich wie in
der Französischen Revolution) das Fehlen aller archivalischen Studien. Das
ist sehr schulmeisterlich geurteilt. Daß Carlhle un gehobnes Material bearbeiten
konnte, hat er in seinem Oomwöll oder in I'äst -urcl ?rssönt gezeigt, aber
das konnten auch andre, das kann heute jeder examinierte Historiker. Aber
Carlyle kann mehr, und es scheint in der That, als ob dieses Mehr, was in
seinem Friedrich dem Großen steckt, vielleicht allmählich in die allgemeine
Kenntnis übergegangen, aber als sein Eigentum und Verdienst noch nicht hin¬
länglich anerkannt worden ist. Wann begegnet man eigentlich in unsrer wissen¬
schaftlichen Litteratur über Friedrich den Großen dem Namen Carlyles? Ich
habe seit Jahren danach gesucht und in jedem neuerschienenen Buch über
Carlhle oder Friedrich den Großen etwas zu finden gehofft, aber vergeblich.
Das einzige Erwähnenswerte sind einige Bemerkungen bei Reinhold Koser,
die sich hauptsächlich auf die Zeichnung des in der That kostbaren Bildes von
Friedrich Wilhelm I. beziehn. Frau Carlhle pflegte z. B. mit Stolz zu er¬
zählen, daß nach ihres Mannes Büchern in den preußischen Kriegsschulen die
Topographie der Friedericinnischcn Schlachten erläutert würde. Keiner wird
das wörtlich nehmen, aber mau möchte doch die Wissenden fragen, wie weit
in ihren Kreisen in diesen oder in ähnlichen Dingen dem Biographen Friedrichs
des Großen der Anspruch, etwas neues gefunden zu haben, zugestanden wird.

Eins ist sicherlich neu in seiner Schilderung Friedrichs des Großen, wenn


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[0287] Larlylo kennen lernen will, lese deS Verfassers viertes Kapitel und versuche es dann mit dem englischen Original. Auch das demnächst in seiner Ausdrucksweise originellste Buch Carlyles, die Vorlesungen über Heroen und Heroenkult, verliert an Reiz sogar in einer recht guten Übersetzung, wie die von Neuberg ist (Berlin, Decker, dritte Auf¬ lage, 1898). Anders steht es mit den abhandelnden Werken bei ihren, starken sachlichen Gehalt; unter den von Hensel herausgegebnen lesen sich namentlich ?äst nul Z?r<Z8«ut und die I^leer-eilt,^ ?g,inplilot8 sehr gut. Eine Ehrenschuld, die wir Deutschen endlich einmal an Carlhle abzutragen hätten, wäre eine gute Übersetzung und zugleich Bearbeitung seines Friedrichs des Großen. Nächst der Französischen Revolution ist kein Buch von ihm so mit dem Herzen ge¬ schrieben. Er sah hier unter vielen genießenden oder bloß repräsentierenden Fürsten einen König, der ein Diener seines Staats sein wollte, und der ein kleines Volk durch seine Arbeit groß gemacht hat. Diese Erscheinung wollte er bis in ihre Anfänge hinauf verfolgen und den nachgebornen anschaulich greifbar macheu. Was wußten denn die Engländer seiner Zeit von Friedrich dem Großen? fragt Hensel. Schließen wir lieber gleich die Deutschen mit ein. Wie matt und farblos langweilig sind die populären Darstellungen, z. B. die Franz Kuglers, wenn man sie neben Carlhle hält. Die Geschichte und die Institutionen kannte man; das Persönliche, auf das es Carlhle immer ankommt, war ver¬ blaßt und verschwunden, oder es wäre es doch, wen» Adolf Menzel nicht ge¬ kommen wäre, bis auf eine Anzahl lebendig gebliebner Anekdoten vom alten Fritz. Der auffallendste Mangel, meint Hensel, ist auch hier (nämlich wie in der Französischen Revolution) das Fehlen aller archivalischen Studien. Das ist sehr schulmeisterlich geurteilt. Daß Carlhle un gehobnes Material bearbeiten konnte, hat er in seinem Oomwöll oder in I'äst -urcl ?rssönt gezeigt, aber das konnten auch andre, das kann heute jeder examinierte Historiker. Aber Carlyle kann mehr, und es scheint in der That, als ob dieses Mehr, was in seinem Friedrich dem Großen steckt, vielleicht allmählich in die allgemeine Kenntnis übergegangen, aber als sein Eigentum und Verdienst noch nicht hin¬ länglich anerkannt worden ist. Wann begegnet man eigentlich in unsrer wissen¬ schaftlichen Litteratur über Friedrich den Großen dem Namen Carlyles? Ich habe seit Jahren danach gesucht und in jedem neuerschienenen Buch über Carlhle oder Friedrich den Großen etwas zu finden gehofft, aber vergeblich. Das einzige Erwähnenswerte sind einige Bemerkungen bei Reinhold Koser, die sich hauptsächlich auf die Zeichnung des in der That kostbaren Bildes von Friedrich Wilhelm I. beziehn. Frau Carlhle pflegte z. B. mit Stolz zu er¬ zählen, daß nach ihres Mannes Büchern in den preußischen Kriegsschulen die Topographie der Friedericinnischcn Schlachten erläutert würde. Keiner wird das wörtlich nehmen, aber mau möchte doch die Wissenden fragen, wie weit in ihren Kreisen in diesen oder in ähnlichen Dingen dem Biographen Friedrichs des Großen der Anspruch, etwas neues gefunden zu haben, zugestanden wird. Eins ist sicherlich neu in seiner Schilderung Friedrichs des Großen, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/287>, abgerufen am 27.06.2024.