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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Carlyle

Seekriege, der alle wehrfähigen Kräfte des Landes zum Dienst hermiziehl,
werden alle größern Handelsdampfer als Hilfskreuzer und zu Transportzwecken
verwandt werden müssen. Wie soll es dann möglich sein, in einem der
wichtigsten Zweige des Dienstes an Bord in kürzester Frist die absolut not¬
wendige Einheit und Übereinstimmung zu erreichen, wenn die Köpfe infolge
unglücklicher Verhältnisse durch drei verschiedne und sich widersprechende Ruder-
kommandvs in Verwirrung gesetzt worden sind!




(Larlyle

u Carlyle haben wir Deutschen ein ganz besondres Verhältnis,
ein Verhältnis von persönlicher Zuneigung und Dankbarkeit, Er
hat den alt gewordnen Goethe zuerst erkannt, verstanden und
geliebt, als wir ihn noch nicht verstanden; er hat seine Lands-
leute schon früh in den zwanziger Jahren mit unserm Idealismus
in Philosophie und Litteratur, mit Schiller, Jean Paul und den Romantikern
nicht nur bekannt gemacht, sondern auch lange, ehe wir ein geeintes Reich
bekamen, öffentlich verkündet, daß das Volk, dem der Faust gehöre, eine poli¬
tische Zukunft habe und eines vordersten Platzes im Unke der Völker und in
der Reihe der Staaten sicher sei. Wie Fichte einst, als Preußen von Napoleon
niedergeworfen wurde, voraussah, daß nur der wissenschaftliche Gedanke und ein
durch Erkenntnis geläuterter und gerichteter Wille den Staat wieder aufrichten
könnten, so hatte Carlyle das feste Vertrauen zu den Deutschen, daß ihr Denken
und Dichten sich in absehbarer Zeit in politisches Handeln umsetzen würde, in
Thaten, die zum Siege führen müßten, denn wenn dieser teutonische Geist,
die in den Dichtern latente, noch chemisch gcbuudue Kraft -- er liebte ja diese
naturwissenschaftliche Bildersprache -- einmal "frei" würde, müßte er unwider¬
stehlich sein. Wie man weiß, war auch die Erfüllung seiner Prophezeiung
zu erleben unserm Freunde noch beschieden, und als am Ende des deutsch¬
französischen Kriegs seine Landsleute nicht übel Lust zeigten, uns nach oft
geübter Methode den Siegespreis zu zerdrücken, da schrieb er seinen berühmten
Brief an die ^lass (im November 1870), worin er sie belehrte, wie einst
Elsaß-Lothringen dem Deutschen Reiche verloren gegangen, und daß es nun
Mit Recht zurückerworben worden sei. Vier Jahre später aber nahm er den
preußischen Orden pour 1s msrits an, den einzigen, der für wirkliche Verdienste
vergeben wurde, wie er sagte, während er den von Disraeli ihm angebotnen
Hosenbandorden ablehnte, und zu seinem achtzigsten Geburtstage 1875 konnte ihn
nur noch ein Brief Bismarcks erfreuen, des Mannes, durch den erfüllt worden
war, was er selbst so lange und so sehnlich den Deutschen gewünscht hatte.


Carlyle

Seekriege, der alle wehrfähigen Kräfte des Landes zum Dienst hermiziehl,
werden alle größern Handelsdampfer als Hilfskreuzer und zu Transportzwecken
verwandt werden müssen. Wie soll es dann möglich sein, in einem der
wichtigsten Zweige des Dienstes an Bord in kürzester Frist die absolut not¬
wendige Einheit und Übereinstimmung zu erreichen, wenn die Köpfe infolge
unglücklicher Verhältnisse durch drei verschiedne und sich widersprechende Ruder-
kommandvs in Verwirrung gesetzt worden sind!




(Larlyle

u Carlyle haben wir Deutschen ein ganz besondres Verhältnis,
ein Verhältnis von persönlicher Zuneigung und Dankbarkeit, Er
hat den alt gewordnen Goethe zuerst erkannt, verstanden und
geliebt, als wir ihn noch nicht verstanden; er hat seine Lands-
leute schon früh in den zwanziger Jahren mit unserm Idealismus
in Philosophie und Litteratur, mit Schiller, Jean Paul und den Romantikern
nicht nur bekannt gemacht, sondern auch lange, ehe wir ein geeintes Reich
bekamen, öffentlich verkündet, daß das Volk, dem der Faust gehöre, eine poli¬
tische Zukunft habe und eines vordersten Platzes im Unke der Völker und in
der Reihe der Staaten sicher sei. Wie Fichte einst, als Preußen von Napoleon
niedergeworfen wurde, voraussah, daß nur der wissenschaftliche Gedanke und ein
durch Erkenntnis geläuterter und gerichteter Wille den Staat wieder aufrichten
könnten, so hatte Carlyle das feste Vertrauen zu den Deutschen, daß ihr Denken
und Dichten sich in absehbarer Zeit in politisches Handeln umsetzen würde, in
Thaten, die zum Siege führen müßten, denn wenn dieser teutonische Geist,
die in den Dichtern latente, noch chemisch gcbuudue Kraft — er liebte ja diese
naturwissenschaftliche Bildersprache — einmal „frei" würde, müßte er unwider¬
stehlich sein. Wie man weiß, war auch die Erfüllung seiner Prophezeiung
zu erleben unserm Freunde noch beschieden, und als am Ende des deutsch¬
französischen Kriegs seine Landsleute nicht übel Lust zeigten, uns nach oft
geübter Methode den Siegespreis zu zerdrücken, da schrieb er seinen berühmten
Brief an die ^lass (im November 1870), worin er sie belehrte, wie einst
Elsaß-Lothringen dem Deutschen Reiche verloren gegangen, und daß es nun
Mit Recht zurückerworben worden sei. Vier Jahre später aber nahm er den
preußischen Orden pour 1s msrits an, den einzigen, der für wirkliche Verdienste
vergeben wurde, wie er sagte, während er den von Disraeli ihm angebotnen
Hosenbandorden ablehnte, und zu seinem achtzigsten Geburtstage 1875 konnte ihn
nur noch ein Brief Bismarcks erfreuen, des Mannes, durch den erfüllt worden
war, was er selbst so lange und so sehnlich den Deutschen gewünscht hatte.


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[0285] Carlyle Seekriege, der alle wehrfähigen Kräfte des Landes zum Dienst hermiziehl, werden alle größern Handelsdampfer als Hilfskreuzer und zu Transportzwecken verwandt werden müssen. Wie soll es dann möglich sein, in einem der wichtigsten Zweige des Dienstes an Bord in kürzester Frist die absolut not¬ wendige Einheit und Übereinstimmung zu erreichen, wenn die Köpfe infolge unglücklicher Verhältnisse durch drei verschiedne und sich widersprechende Ruder- kommandvs in Verwirrung gesetzt worden sind! (Larlyle u Carlyle haben wir Deutschen ein ganz besondres Verhältnis, ein Verhältnis von persönlicher Zuneigung und Dankbarkeit, Er hat den alt gewordnen Goethe zuerst erkannt, verstanden und geliebt, als wir ihn noch nicht verstanden; er hat seine Lands- leute schon früh in den zwanziger Jahren mit unserm Idealismus in Philosophie und Litteratur, mit Schiller, Jean Paul und den Romantikern nicht nur bekannt gemacht, sondern auch lange, ehe wir ein geeintes Reich bekamen, öffentlich verkündet, daß das Volk, dem der Faust gehöre, eine poli¬ tische Zukunft habe und eines vordersten Platzes im Unke der Völker und in der Reihe der Staaten sicher sei. Wie Fichte einst, als Preußen von Napoleon niedergeworfen wurde, voraussah, daß nur der wissenschaftliche Gedanke und ein durch Erkenntnis geläuterter und gerichteter Wille den Staat wieder aufrichten könnten, so hatte Carlyle das feste Vertrauen zu den Deutschen, daß ihr Denken und Dichten sich in absehbarer Zeit in politisches Handeln umsetzen würde, in Thaten, die zum Siege führen müßten, denn wenn dieser teutonische Geist, die in den Dichtern latente, noch chemisch gcbuudue Kraft — er liebte ja diese naturwissenschaftliche Bildersprache — einmal „frei" würde, müßte er unwider¬ stehlich sein. Wie man weiß, war auch die Erfüllung seiner Prophezeiung zu erleben unserm Freunde noch beschieden, und als am Ende des deutsch¬ französischen Kriegs seine Landsleute nicht übel Lust zeigten, uns nach oft geübter Methode den Siegespreis zu zerdrücken, da schrieb er seinen berühmten Brief an die ^lass (im November 1870), worin er sie belehrte, wie einst Elsaß-Lothringen dem Deutschen Reiche verloren gegangen, und daß es nun Mit Recht zurückerworben worden sei. Vier Jahre später aber nahm er den preußischen Orden pour 1s msrits an, den einzigen, der für wirkliche Verdienste vergeben wurde, wie er sagte, während er den von Disraeli ihm angebotnen Hosenbandorden ablehnte, und zu seinem achtzigsten Geburtstage 1875 konnte ihn nur noch ein Brief Bismarcks erfreuen, des Mannes, durch den erfüllt worden war, was er selbst so lange und so sehnlich den Deutschen gewünscht hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/285>, abgerufen am 27.06.2024.