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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Verwirrung im deutschen Ruderkominando

Schleppdampfer, auf deren Thätigkeit der Seefahrer angewiesen ist, das alte
Kommando führen. Es ist ja richtig, daß auch unsre Kriegsschiffe auf die
Mitwirkung dieser Leute angewiesen sind, und daß daraus keine ernstlichen
Gefahren trotz des verschiednen Kommandos entstanden sind. Aber wie himmel¬
weit verschieden ist der Betrieb an Bord eines Handelsfahrers und eines Schiffs
unsrer Wehrflotte, Hier die scharfe Disziplin und die nach Hunderten zählende
Besatzung, die ein Überwachen des Manövers durch Vorgesetzte nach allen
Richtungen hin ermöglicht; dort häufig eine Handvoll bunt zusammengewürfelter
Leute, dürftig ausgebildet und knapp ausreichend, die schwierigen Manöver des
Schiffs auszuführen. Dn muß sich der Kapitän häufig auf den Einzelnen
absolut verlassen könne", weil alle Mann in Anspruch genommen sind, und
an ein Überwachen der Ausführung eines Kommandos nicht zu denken ist.
Dann denke man sich ferner, wie die Kauffahrer in zahllosen Fällen bei Nacht
und Nebel und schwerem Wetter, sodaß die Wogen über die Mauern der Hafen-
eingänge hinwegbrechen, in die gefüllten Handelsdocks namentlich Englands und
Frankreichs einlaufen müssen. Der Sturm heult im Takelwerk, die Wellen
brausen, donnern lind zischen mit ihren Kämmen, das Schiff rollt und schwankt
von der einen Seite zur andern, Finsternis umhüllt das Schiff, nur nach vorn
zu sieht man das verwirrende Lichtermeer der Dockanlagen, der Leitfeuer und
der Signalmasten, Und dazu die gellenden Kvmmandvwortc des Lotsen, die
lauten Gegenrufe von mittschiffs nach vorn und hinten. Welch ein Getöse,
welche Summe von sinnverwirrenden Eindrücken! Aber den Mann am Ruder
sieht man nicht, man kann ihn nicht bewachen. Und wehe dem Schiff und
der Besatzung, wenn er nur eine Speiche des Steuerrades nach der verkehrten
Seite dreht! Wehe dem Fahrzeug, wenn der Lotse sich im Ruderkommando
verspricht! Es wird unfehlbar an den Molen zerschellen, und Mann und Maus
werden in der Brandung begraben.

Aber noch ein andres giebt es, was den Schiffen der deutschen Nährflotte
verwehrt, ein andres Ruderkominando in Gebrauch zu nehmen als das, das
im internationalen Schiffnhrtsbetriebe giltig ist. Wie häufig muß nämlich der
Mannschaftsbestand in fremden Häfen durch ausländische Matrosen ergänzt
werden. Es gäbe zu den ernstesten Bedenken Anlaß, wenn diese Leute sofort
nach der Einschiffung, die meistens kurz vor dem Auslaufen des Schiffs statt¬
findet, nach einem Ruderkommando steuern sollten, das dem gerade entgegen¬
gesetzt wäre, das sie bisher in ihrer ganzen seemännischen Laufbahn gehört
und befolgt Hütten. Und nicht allein um Ergänzung des Besatzungsstandes
handelt es sich hierbei immer; nein, häufig besteht sogar die ganze Mannschaft
außer den Offizieren aus Angehörigen fremder Nationen, und nicht selten,
namentlich in der chinesischen Küstenfahrt, wird an Bord von deutschen Schiffen
sogar englisch kommandiert.

Also es sind keine oberflächlichen Gründe, die die Handelsmarine für ihre
Ablehnung des Marinekommandos ins Feld führt.

Es bleibt aber die Frage noch zu streifen: Aus welchem Grunde behält


Die Verwirrung im deutschen Ruderkominando

Schleppdampfer, auf deren Thätigkeit der Seefahrer angewiesen ist, das alte
Kommando führen. Es ist ja richtig, daß auch unsre Kriegsschiffe auf die
Mitwirkung dieser Leute angewiesen sind, und daß daraus keine ernstlichen
Gefahren trotz des verschiednen Kommandos entstanden sind. Aber wie himmel¬
weit verschieden ist der Betrieb an Bord eines Handelsfahrers und eines Schiffs
unsrer Wehrflotte, Hier die scharfe Disziplin und die nach Hunderten zählende
Besatzung, die ein Überwachen des Manövers durch Vorgesetzte nach allen
Richtungen hin ermöglicht; dort häufig eine Handvoll bunt zusammengewürfelter
Leute, dürftig ausgebildet und knapp ausreichend, die schwierigen Manöver des
Schiffs auszuführen. Dn muß sich der Kapitän häufig auf den Einzelnen
absolut verlassen könne», weil alle Mann in Anspruch genommen sind, und
an ein Überwachen der Ausführung eines Kommandos nicht zu denken ist.
Dann denke man sich ferner, wie die Kauffahrer in zahllosen Fällen bei Nacht
und Nebel und schwerem Wetter, sodaß die Wogen über die Mauern der Hafen-
eingänge hinwegbrechen, in die gefüllten Handelsdocks namentlich Englands und
Frankreichs einlaufen müssen. Der Sturm heult im Takelwerk, die Wellen
brausen, donnern lind zischen mit ihren Kämmen, das Schiff rollt und schwankt
von der einen Seite zur andern, Finsternis umhüllt das Schiff, nur nach vorn
zu sieht man das verwirrende Lichtermeer der Dockanlagen, der Leitfeuer und
der Signalmasten, Und dazu die gellenden Kvmmandvwortc des Lotsen, die
lauten Gegenrufe von mittschiffs nach vorn und hinten. Welch ein Getöse,
welche Summe von sinnverwirrenden Eindrücken! Aber den Mann am Ruder
sieht man nicht, man kann ihn nicht bewachen. Und wehe dem Schiff und
der Besatzung, wenn er nur eine Speiche des Steuerrades nach der verkehrten
Seite dreht! Wehe dem Fahrzeug, wenn der Lotse sich im Ruderkommando
verspricht! Es wird unfehlbar an den Molen zerschellen, und Mann und Maus
werden in der Brandung begraben.

Aber noch ein andres giebt es, was den Schiffen der deutschen Nährflotte
verwehrt, ein andres Ruderkominando in Gebrauch zu nehmen als das, das
im internationalen Schiffnhrtsbetriebe giltig ist. Wie häufig muß nämlich der
Mannschaftsbestand in fremden Häfen durch ausländische Matrosen ergänzt
werden. Es gäbe zu den ernstesten Bedenken Anlaß, wenn diese Leute sofort
nach der Einschiffung, die meistens kurz vor dem Auslaufen des Schiffs statt¬
findet, nach einem Ruderkommando steuern sollten, das dem gerade entgegen¬
gesetzt wäre, das sie bisher in ihrer ganzen seemännischen Laufbahn gehört
und befolgt Hütten. Und nicht allein um Ergänzung des Besatzungsstandes
handelt es sich hierbei immer; nein, häufig besteht sogar die ganze Mannschaft
außer den Offizieren aus Angehörigen fremder Nationen, und nicht selten,
namentlich in der chinesischen Küstenfahrt, wird an Bord von deutschen Schiffen
sogar englisch kommandiert.

Also es sind keine oberflächlichen Gründe, die die Handelsmarine für ihre
Ablehnung des Marinekommandos ins Feld führt.

Es bleibt aber die Frage noch zu streifen: Aus welchem Grunde behält


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[0283] Die Verwirrung im deutschen Ruderkominando Schleppdampfer, auf deren Thätigkeit der Seefahrer angewiesen ist, das alte Kommando führen. Es ist ja richtig, daß auch unsre Kriegsschiffe auf die Mitwirkung dieser Leute angewiesen sind, und daß daraus keine ernstlichen Gefahren trotz des verschiednen Kommandos entstanden sind. Aber wie himmel¬ weit verschieden ist der Betrieb an Bord eines Handelsfahrers und eines Schiffs unsrer Wehrflotte, Hier die scharfe Disziplin und die nach Hunderten zählende Besatzung, die ein Überwachen des Manövers durch Vorgesetzte nach allen Richtungen hin ermöglicht; dort häufig eine Handvoll bunt zusammengewürfelter Leute, dürftig ausgebildet und knapp ausreichend, die schwierigen Manöver des Schiffs auszuführen. Dn muß sich der Kapitän häufig auf den Einzelnen absolut verlassen könne», weil alle Mann in Anspruch genommen sind, und an ein Überwachen der Ausführung eines Kommandos nicht zu denken ist. Dann denke man sich ferner, wie die Kauffahrer in zahllosen Fällen bei Nacht und Nebel und schwerem Wetter, sodaß die Wogen über die Mauern der Hafen- eingänge hinwegbrechen, in die gefüllten Handelsdocks namentlich Englands und Frankreichs einlaufen müssen. Der Sturm heult im Takelwerk, die Wellen brausen, donnern lind zischen mit ihren Kämmen, das Schiff rollt und schwankt von der einen Seite zur andern, Finsternis umhüllt das Schiff, nur nach vorn zu sieht man das verwirrende Lichtermeer der Dockanlagen, der Leitfeuer und der Signalmasten, Und dazu die gellenden Kvmmandvwortc des Lotsen, die lauten Gegenrufe von mittschiffs nach vorn und hinten. Welch ein Getöse, welche Summe von sinnverwirrenden Eindrücken! Aber den Mann am Ruder sieht man nicht, man kann ihn nicht bewachen. Und wehe dem Schiff und der Besatzung, wenn er nur eine Speiche des Steuerrades nach der verkehrten Seite dreht! Wehe dem Fahrzeug, wenn der Lotse sich im Ruderkommando verspricht! Es wird unfehlbar an den Molen zerschellen, und Mann und Maus werden in der Brandung begraben. Aber noch ein andres giebt es, was den Schiffen der deutschen Nährflotte verwehrt, ein andres Ruderkominando in Gebrauch zu nehmen als das, das im internationalen Schiffnhrtsbetriebe giltig ist. Wie häufig muß nämlich der Mannschaftsbestand in fremden Häfen durch ausländische Matrosen ergänzt werden. Es gäbe zu den ernstesten Bedenken Anlaß, wenn diese Leute sofort nach der Einschiffung, die meistens kurz vor dem Auslaufen des Schiffs statt¬ findet, nach einem Ruderkommando steuern sollten, das dem gerade entgegen¬ gesetzt wäre, das sie bisher in ihrer ganzen seemännischen Laufbahn gehört und befolgt Hütten. Und nicht allein um Ergänzung des Besatzungsstandes handelt es sich hierbei immer; nein, häufig besteht sogar die ganze Mannschaft außer den Offizieren aus Angehörigen fremder Nationen, und nicht selten, namentlich in der chinesischen Küstenfahrt, wird an Bord von deutschen Schiffen sogar englisch kommandiert. Also es sind keine oberflächlichen Gründe, die die Handelsmarine für ihre Ablehnung des Marinekommandos ins Feld führt. Es bleibt aber die Frage noch zu streifen: Aus welchem Grunde behält

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/283>, abgerufen am 20.09.2024.