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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Verwirrung im deutschen Rnderkomnmndo

und führt das altüberlieferte Kommando, obwohl es sinnwidrig ist, nach wie
vor im Gebrauch weiter.

Wenn bisher aus diesem allgemeinen Wirrwarr keine schweren Katastrophen
entstanden sind, so ist das geradezu ein Wunder zu nennen. Man denke sich
nur, daß sich der angehende Seemann zunächst die Ausdrücke "Steuerbord"
und "Backbord" aneignen muß, und danach die sinnwidrigen Kommandos in
der Handelsmarine. Nun kommt er zur Kriegsmarine, hier heißt es Umlernen;
er muß das Sinnwidrige, das in Fleisch und Blut übergegangen ist, wieder
über Bord werfen, muß das Gegenteil von dem thun, was er bisher zu thun
gewohnt war. Aber die Dienstzeit auf unsrer Wehrflotte währt nicht ewig,
bald kommt er zur Handelsfahrt zurück, und nun muß der junge Seemann
wieder umlernen. Im nächsten Jahre kommt alsdann vielleicht eine Übung
auf der Mauöverflotte, dann geht das Umlernen von vorn an; oder aber er
kommt auf ein Schiff mit dem "Links-" und " Rechts "kommando, und da heißt
es sich mit Beseitigung alles bisher Erlernten und Eingeübten in ganz neue
ungewöhnliche Verhältnisse finden. Wie gesagt, die Zustände scheinen dazu
angethan, auch den gesündesten Kopf in Verwirrung zu bringen.

In der That sind wegen dieser Verhältnisse auch schon ein paar Fülle
aus unsrer Kriegsmarine bekannt geworden, wo drohendes schweres Unglück
nur mit knapper Not vermieden wurde. notorisch sind im Kaiser Wilhelm-
Kanal eine große Zahl von Unfällen, die ein Festtvmmen des Schiffs zur
Folge hatten, lediglich durch diesen Wirrwarr im Nnderkommando verursacht
worden. Ein Versehen bei der Abgabe und bei der Ausführung eines Kom¬
mandos ist unter diesen Verhältnissen häufig gar nicht zu vermeiden, und eine
Gegenordre kann in einem engen Kanal die Sache nicht wieder gut machen.
Unsrer Meinung nach sind auch schon weit größere Unfälle die Folge dieses
heillosen Übelstandes gewesen, man hat sie nur nicht nachweisen können;
denn das hält später sehr schwer, ist gewiß in den meisten Fällen geradezu
unmöglich.

Fragt man nun nach den Gründen, weshalb die Handelsmarine die Ein¬
führung des sinngemäßer Marinekommandos, das unstreitige Vorteile bietet,
abgelehnt hat und weiter ablehnt, so ist folgendes anzuführen. Die Schiff¬
fahrt ist international, und die Engländer besitzen mit ihren Kolonien nahezu
dreiviertel des ganzen Schiffsbestandes der Welt. Aber die britische Gesamt¬
marine will von der Einführung eines neuen Ruderkommandos nichts wissen;
sie hält unverrückbar am alten, das ihr in Fleisch und Blut übergegangen ist,
fest. Und ebenso geht es den übrigen seefahrenden Nationen. Nun könnte
man einwenden, was kümmern uns die übrigen, führen wir doch das Bessere
ein. Aber darin würde ein Verkennen der thatsächlichen Verhältnisse, unter
denen die Handelsfahrt arbeitet, liegen. Man muß nämlich bedenken, daß die
deutsche Handelsfahrt auf den Verkehr in ausländischen Häfen angewiesen ist,
und daß überall im Auslande, wohin das deutsche Schiff auch seine vater¬
ländischen Farben tragen mag, die Lotsen, die Hafenangestellten und die


Die Verwirrung im deutschen Rnderkomnmndo

und führt das altüberlieferte Kommando, obwohl es sinnwidrig ist, nach wie
vor im Gebrauch weiter.

Wenn bisher aus diesem allgemeinen Wirrwarr keine schweren Katastrophen
entstanden sind, so ist das geradezu ein Wunder zu nennen. Man denke sich
nur, daß sich der angehende Seemann zunächst die Ausdrücke „Steuerbord"
und „Backbord" aneignen muß, und danach die sinnwidrigen Kommandos in
der Handelsmarine. Nun kommt er zur Kriegsmarine, hier heißt es Umlernen;
er muß das Sinnwidrige, das in Fleisch und Blut übergegangen ist, wieder
über Bord werfen, muß das Gegenteil von dem thun, was er bisher zu thun
gewohnt war. Aber die Dienstzeit auf unsrer Wehrflotte währt nicht ewig,
bald kommt er zur Handelsfahrt zurück, und nun muß der junge Seemann
wieder umlernen. Im nächsten Jahre kommt alsdann vielleicht eine Übung
auf der Mauöverflotte, dann geht das Umlernen von vorn an; oder aber er
kommt auf ein Schiff mit dem „Links-" und „ Rechts "kommando, und da heißt
es sich mit Beseitigung alles bisher Erlernten und Eingeübten in ganz neue
ungewöhnliche Verhältnisse finden. Wie gesagt, die Zustände scheinen dazu
angethan, auch den gesündesten Kopf in Verwirrung zu bringen.

In der That sind wegen dieser Verhältnisse auch schon ein paar Fülle
aus unsrer Kriegsmarine bekannt geworden, wo drohendes schweres Unglück
nur mit knapper Not vermieden wurde. notorisch sind im Kaiser Wilhelm-
Kanal eine große Zahl von Unfällen, die ein Festtvmmen des Schiffs zur
Folge hatten, lediglich durch diesen Wirrwarr im Nnderkommando verursacht
worden. Ein Versehen bei der Abgabe und bei der Ausführung eines Kom¬
mandos ist unter diesen Verhältnissen häufig gar nicht zu vermeiden, und eine
Gegenordre kann in einem engen Kanal die Sache nicht wieder gut machen.
Unsrer Meinung nach sind auch schon weit größere Unfälle die Folge dieses
heillosen Übelstandes gewesen, man hat sie nur nicht nachweisen können;
denn das hält später sehr schwer, ist gewiß in den meisten Fällen geradezu
unmöglich.

Fragt man nun nach den Gründen, weshalb die Handelsmarine die Ein¬
führung des sinngemäßer Marinekommandos, das unstreitige Vorteile bietet,
abgelehnt hat und weiter ablehnt, so ist folgendes anzuführen. Die Schiff¬
fahrt ist international, und die Engländer besitzen mit ihren Kolonien nahezu
dreiviertel des ganzen Schiffsbestandes der Welt. Aber die britische Gesamt¬
marine will von der Einführung eines neuen Ruderkommandos nichts wissen;
sie hält unverrückbar am alten, das ihr in Fleisch und Blut übergegangen ist,
fest. Und ebenso geht es den übrigen seefahrenden Nationen. Nun könnte
man einwenden, was kümmern uns die übrigen, führen wir doch das Bessere
ein. Aber darin würde ein Verkennen der thatsächlichen Verhältnisse, unter
denen die Handelsfahrt arbeitet, liegen. Man muß nämlich bedenken, daß die
deutsche Handelsfahrt auf den Verkehr in ausländischen Häfen angewiesen ist,
und daß überall im Auslande, wohin das deutsche Schiff auch seine vater¬
ländischen Farben tragen mag, die Lotsen, die Hafenangestellten und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/282>, abgerufen am 20.09.2024.