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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre

ständigung mit ihnen vorläufig wichtiger als die Zollvertragssysteme Mittel¬
europas, Möchte die Zukunft für den Dreibund und in ihm für Deutschland
die Lage günstiger gestalten, die Häfen der Adria wieder zu dem machen, was
sie gewesen sind und sein könnten im Handel zwischen Europa und dem
Orient.

Und besonders ist das handelspolitische Einvernehmen mit Großbritannien
und Rußland in Ostasien für uns wichtig. Bis jetzt haben die russischen Er¬
oberungen unsern Handel noch fo gut wie nicht berührt, ihm jedenfalls nicht
geschadet. Was die chinesischen "Wirren" bringen werden, liegt noch im
Dunkel, Aber das ist klar, daß bei allen Abenteuern, die wir im fernen Osten
noch zu bestehn haben werden, eine Verständigung mit Großbritannien für ab¬
sehbare Zeit von der allergrößten Bedeutung für uns sein wird. Trotz allem
Neid, trotz aller "wenig freundlichen Strömungen" werden die Engländer im
Kampf für die offne Thür der noch zu erschließenden Absatzgebiete noch lange
unsre zuverlässigsten, vielleicht unsre einzigen Bundesgenossen sein -- im eignen
Interesse, wie sich von selbst versteht.

Und uun das Verhältnis zu Amerika, Die Vereinigten Staaten fangen
an, der Hauptstörenfried der Welt, der Hauptfeind der europäischen Jndustrie-
und Handelsstaaten und damit vor allem auch Deutschlands zu werden. Die
"amerikanische Gefahr" wird nachgerade zum Zeichen, "in" dem sich unsre neue
Handelspolitik gestaltet, sie ist das Hauptgespenst, mit dem unsre national-
ökonomischen Magier und Propheten im Dienst ihres Ideals vom geschlossenen
Handelsstaat arbeiten. Aber das Gespenst hat immerhin einen ganz handgreif¬
lichen, wirklich gefährlichen Kern. Man wird es nicht beschwören, indem man ihn
einfach bestreitet, wie die freihändlerischen Doktrinäre das thun. Damit steigern
sie nur die suggestive Wirkung, die die Magier wollen. Erstens stehn den Ber¬
einigten Staaten unstreitig in besondern: Maße natürliche Hilfsmittel und
Vorteile zu Gebote, die sie -- von aller Handels-, Zoll- und Expansions¬
politik abgesehen -- zu gefährlichen Konkurrenten machen. Erinnert sei hier
"ur um den noch immer vorwiegend auf Urproduktion, auch der landwirtschaft¬
lichen, beruhenden gewaltigen und rasch anschwellenden Reichtum an Kapital,
das Beschäftigung sucht und zu den weitaussehendeu, kühnen Versuchen und
Unternehmungen zur Verfügung steht. Die schnelle Entwicklung der Industrie
ist schon deshalb nicht zu verwundern. Sie macht natürlich große Fortschritte auf
dem herrischen Markt, versucht schon den Export nach den europäischen In¬
dustrieländern zu forcieren und macht ihnen in zunehmendem Maße auf den
exotischen Märkten Konkurrenz. In einem solchen neuen Konkurrenten wird
jeder Geschäftsmann eine Gefahr sehen, aber nur ein Dummkopf oder Schwäch¬
ling wirft deshalb sofort die Büchse ius Korn und zieht sich auf die Hungerrente
im Altenteil oder Spital zurück. Vorläufig haben wir, hat Europa dazu noch
nicht den geringsten Grund, wie gerade die letzten Jahre beweisen. Trotz der
,'formidabeln" natürlichen Hilfsquellen und der "Weltmeisterschaft" in arbeit¬
sparenden Maschinen, deren sich die Amerikaner rühmen, und trotz aller zoll-


Grenzboten > 1901 84
Die Handelspolitik im Jahre

ständigung mit ihnen vorläufig wichtiger als die Zollvertragssysteme Mittel¬
europas, Möchte die Zukunft für den Dreibund und in ihm für Deutschland
die Lage günstiger gestalten, die Häfen der Adria wieder zu dem machen, was
sie gewesen sind und sein könnten im Handel zwischen Europa und dem
Orient.

Und besonders ist das handelspolitische Einvernehmen mit Großbritannien
und Rußland in Ostasien für uns wichtig. Bis jetzt haben die russischen Er¬
oberungen unsern Handel noch fo gut wie nicht berührt, ihm jedenfalls nicht
geschadet. Was die chinesischen „Wirren" bringen werden, liegt noch im
Dunkel, Aber das ist klar, daß bei allen Abenteuern, die wir im fernen Osten
noch zu bestehn haben werden, eine Verständigung mit Großbritannien für ab¬
sehbare Zeit von der allergrößten Bedeutung für uns sein wird. Trotz allem
Neid, trotz aller „wenig freundlichen Strömungen" werden die Engländer im
Kampf für die offne Thür der noch zu erschließenden Absatzgebiete noch lange
unsre zuverlässigsten, vielleicht unsre einzigen Bundesgenossen sein — im eignen
Interesse, wie sich von selbst versteht.

Und uun das Verhältnis zu Amerika, Die Vereinigten Staaten fangen
an, der Hauptstörenfried der Welt, der Hauptfeind der europäischen Jndustrie-
und Handelsstaaten und damit vor allem auch Deutschlands zu werden. Die
„amerikanische Gefahr" wird nachgerade zum Zeichen, „in" dem sich unsre neue
Handelspolitik gestaltet, sie ist das Hauptgespenst, mit dem unsre national-
ökonomischen Magier und Propheten im Dienst ihres Ideals vom geschlossenen
Handelsstaat arbeiten. Aber das Gespenst hat immerhin einen ganz handgreif¬
lichen, wirklich gefährlichen Kern. Man wird es nicht beschwören, indem man ihn
einfach bestreitet, wie die freihändlerischen Doktrinäre das thun. Damit steigern
sie nur die suggestive Wirkung, die die Magier wollen. Erstens stehn den Ber¬
einigten Staaten unstreitig in besondern: Maße natürliche Hilfsmittel und
Vorteile zu Gebote, die sie — von aller Handels-, Zoll- und Expansions¬
politik abgesehen — zu gefährlichen Konkurrenten machen. Erinnert sei hier
»ur um den noch immer vorwiegend auf Urproduktion, auch der landwirtschaft¬
lichen, beruhenden gewaltigen und rasch anschwellenden Reichtum an Kapital,
das Beschäftigung sucht und zu den weitaussehendeu, kühnen Versuchen und
Unternehmungen zur Verfügung steht. Die schnelle Entwicklung der Industrie
ist schon deshalb nicht zu verwundern. Sie macht natürlich große Fortschritte auf
dem herrischen Markt, versucht schon den Export nach den europäischen In¬
dustrieländern zu forcieren und macht ihnen in zunehmendem Maße auf den
exotischen Märkten Konkurrenz. In einem solchen neuen Konkurrenten wird
jeder Geschäftsmann eine Gefahr sehen, aber nur ein Dummkopf oder Schwäch¬
ling wirft deshalb sofort die Büchse ius Korn und zieht sich auf die Hungerrente
im Altenteil oder Spital zurück. Vorläufig haben wir, hat Europa dazu noch
nicht den geringsten Grund, wie gerade die letzten Jahre beweisen. Trotz der
,'formidabeln" natürlichen Hilfsquellen und der „Weltmeisterschaft" in arbeit¬
sparenden Maschinen, deren sich die Amerikaner rühmen, und trotz aller zoll-


Grenzboten > 1901 84
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[0273] Die Handelspolitik im Jahre ständigung mit ihnen vorläufig wichtiger als die Zollvertragssysteme Mittel¬ europas, Möchte die Zukunft für den Dreibund und in ihm für Deutschland die Lage günstiger gestalten, die Häfen der Adria wieder zu dem machen, was sie gewesen sind und sein könnten im Handel zwischen Europa und dem Orient. Und besonders ist das handelspolitische Einvernehmen mit Großbritannien und Rußland in Ostasien für uns wichtig. Bis jetzt haben die russischen Er¬ oberungen unsern Handel noch fo gut wie nicht berührt, ihm jedenfalls nicht geschadet. Was die chinesischen „Wirren" bringen werden, liegt noch im Dunkel, Aber das ist klar, daß bei allen Abenteuern, die wir im fernen Osten noch zu bestehn haben werden, eine Verständigung mit Großbritannien für ab¬ sehbare Zeit von der allergrößten Bedeutung für uns sein wird. Trotz allem Neid, trotz aller „wenig freundlichen Strömungen" werden die Engländer im Kampf für die offne Thür der noch zu erschließenden Absatzgebiete noch lange unsre zuverlässigsten, vielleicht unsre einzigen Bundesgenossen sein — im eignen Interesse, wie sich von selbst versteht. Und uun das Verhältnis zu Amerika, Die Vereinigten Staaten fangen an, der Hauptstörenfried der Welt, der Hauptfeind der europäischen Jndustrie- und Handelsstaaten und damit vor allem auch Deutschlands zu werden. Die „amerikanische Gefahr" wird nachgerade zum Zeichen, „in" dem sich unsre neue Handelspolitik gestaltet, sie ist das Hauptgespenst, mit dem unsre national- ökonomischen Magier und Propheten im Dienst ihres Ideals vom geschlossenen Handelsstaat arbeiten. Aber das Gespenst hat immerhin einen ganz handgreif¬ lichen, wirklich gefährlichen Kern. Man wird es nicht beschwören, indem man ihn einfach bestreitet, wie die freihändlerischen Doktrinäre das thun. Damit steigern sie nur die suggestive Wirkung, die die Magier wollen. Erstens stehn den Ber¬ einigten Staaten unstreitig in besondern: Maße natürliche Hilfsmittel und Vorteile zu Gebote, die sie — von aller Handels-, Zoll- und Expansions¬ politik abgesehen — zu gefährlichen Konkurrenten machen. Erinnert sei hier »ur um den noch immer vorwiegend auf Urproduktion, auch der landwirtschaft¬ lichen, beruhenden gewaltigen und rasch anschwellenden Reichtum an Kapital, das Beschäftigung sucht und zu den weitaussehendeu, kühnen Versuchen und Unternehmungen zur Verfügung steht. Die schnelle Entwicklung der Industrie ist schon deshalb nicht zu verwundern. Sie macht natürlich große Fortschritte auf dem herrischen Markt, versucht schon den Export nach den europäischen In¬ dustrieländern zu forcieren und macht ihnen in zunehmendem Maße auf den exotischen Märkten Konkurrenz. In einem solchen neuen Konkurrenten wird jeder Geschäftsmann eine Gefahr sehen, aber nur ein Dummkopf oder Schwäch¬ ling wirft deshalb sofort die Büchse ius Korn und zieht sich auf die Hungerrente im Altenteil oder Spital zurück. Vorläufig haben wir, hat Europa dazu noch nicht den geringsten Grund, wie gerade die letzten Jahre beweisen. Trotz der ,'formidabeln" natürlichen Hilfsquellen und der „Weltmeisterschaft" in arbeit¬ sparenden Maschinen, deren sich die Amerikaner rühmen, und trotz aller zoll- Grenzboten > 1901 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/273>, abgerufen am 20.09.2024.