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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre

schreiben, Deutschland sei prädestiniert und schicke sich schon an, die Erbschaft
Großbritanniens als erste Seehmidclsmacht anzutreten. Die einzige Thatsache,
die verzeichnet werden kann, wenn man nach Beweisen des Übergangs Eng¬
lands zur Absperrungspolitik sucht, ist und bleibt die Kündigung des Handels¬
vertrags mit Deutschland und Belgien. Sie war die Konsequenz interner
Auseinandersetzungen im britischen Weltreich, eine uotgedrnngne Konzession an
die Kolonien, vorläufig namentlich an Kanada. Und was ist ihr Effekt für
uns bisher gewesen? Mit Großbritannien und zugleich für die große Mehr¬
zahl seiner Kolonien ist der Nertrag auf unbestimmte Zeit verlängert, nach
Kanada aber hat unsre Nnsfnhr zugenommen, die Einfuhr von da ist unver¬
ändert geblieben. Eine "wenig freundliche Strömung" gegen uns ist schließlich
alles, was Francke als gewissenhafter Geschichtschreiber in England festzustellen
vermag. Was sollen da die Engländer über die "Strömung" bei uns sagen,
die alles aufbietet, das Volk zum Bruch mit unserm besten Kunden zu Hetzen,
sogar wenn sie es dabei zugleich gegen den Kaiser aufhetzen müßte. Die
Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik hätte wahrhaftig eher Grund, den
Leichtsinn, mit dem die Agrarier, d. h. die Mehrheitsparteien, unsre handels¬
politischen Beziehungen zum britischen Reich behandeln, mit dem schärfsten
Nachdruck unausgesetzt zu bekämpfen, statt ihm durch die pessimistische Prophe¬
zeiung: ,,auch England treibt dem Ideal vom geschlossenen Handelsstaat zu!"
die fruchtbarste Förderung zu teil werden zu lasse". Francke berichtet -- man
weiß nicht recht, ob zustimmend oder bedauernd --, daß noch Ende Mai 1900
die Wichtigkeit guter Handelsbeziehungen mit Großbritannien vom Staats¬
sekretär des Innern sehr nachdrücklich hervorgehoben worden sei, und daß die
letzten handelspolitischen Aktionen des Reichs ,,denn mich die Verlängerung
des Provisoriums mit Großbritannien "bis auf weiteres" und das Abkommen
mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 10. Juli 1900 waren,
das der Reichsanzeiger als "Grundlage zu weiterer wirtschaftlicher Annäherung"
bezeichnete." Aber die Vertreter der Verbündeten Regierungen Hütten sich wohl
gehütet, Erinnerungen an die Zeiten von 1891/92, "wo die ökonomische Stär¬
kung der politisch Alliierten und die mitteleuropäische Wirtschaftsgenossenschaft
gepriesen worden war," wachzurufen. Wir glauben, daß Nußland und Gro߬
britannien gegenüber die Regierungsvertreter nicht die geringste Veranlassung
zu diesem Weckruf haben, und daß mich die deutsche nationalöckonomische
Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik ihn besser unterlassen Hütte.

Für die Zukunft, zumal für die spätere Zukunft der Expansion unsrer
Erwerbssphüre kommen -- von den deutschen Kolonien zunächst abgesehen --
wesentlich in Betracht Gebiete nicht nur außerhalb Europas, sondern außer¬
halb des politischen Besitzes europäischer Kulturstaaten: die Levante, Ostasien,
Südamerika.

Ohne die Bedeutung eines Znsammengehns mit Österreich-Ungarn und
Italien im Osten des Mittelmeers zu unterschätzen, ist für uns doch auch dort
der Einfluß Rußlands und Großbritanniens und die handelspolitische Ver-


Die Handelspolitik im Jahre

schreiben, Deutschland sei prädestiniert und schicke sich schon an, die Erbschaft
Großbritanniens als erste Seehmidclsmacht anzutreten. Die einzige Thatsache,
die verzeichnet werden kann, wenn man nach Beweisen des Übergangs Eng¬
lands zur Absperrungspolitik sucht, ist und bleibt die Kündigung des Handels¬
vertrags mit Deutschland und Belgien. Sie war die Konsequenz interner
Auseinandersetzungen im britischen Weltreich, eine uotgedrnngne Konzession an
die Kolonien, vorläufig namentlich an Kanada. Und was ist ihr Effekt für
uns bisher gewesen? Mit Großbritannien und zugleich für die große Mehr¬
zahl seiner Kolonien ist der Nertrag auf unbestimmte Zeit verlängert, nach
Kanada aber hat unsre Nnsfnhr zugenommen, die Einfuhr von da ist unver¬
ändert geblieben. Eine „wenig freundliche Strömung" gegen uns ist schließlich
alles, was Francke als gewissenhafter Geschichtschreiber in England festzustellen
vermag. Was sollen da die Engländer über die „Strömung" bei uns sagen,
die alles aufbietet, das Volk zum Bruch mit unserm besten Kunden zu Hetzen,
sogar wenn sie es dabei zugleich gegen den Kaiser aufhetzen müßte. Die
Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik hätte wahrhaftig eher Grund, den
Leichtsinn, mit dem die Agrarier, d. h. die Mehrheitsparteien, unsre handels¬
politischen Beziehungen zum britischen Reich behandeln, mit dem schärfsten
Nachdruck unausgesetzt zu bekämpfen, statt ihm durch die pessimistische Prophe¬
zeiung: ,,auch England treibt dem Ideal vom geschlossenen Handelsstaat zu!"
die fruchtbarste Förderung zu teil werden zu lasse». Francke berichtet — man
weiß nicht recht, ob zustimmend oder bedauernd —, daß noch Ende Mai 1900
die Wichtigkeit guter Handelsbeziehungen mit Großbritannien vom Staats¬
sekretär des Innern sehr nachdrücklich hervorgehoben worden sei, und daß die
letzten handelspolitischen Aktionen des Reichs ,,denn mich die Verlängerung
des Provisoriums mit Großbritannien »bis auf weiteres« und das Abkommen
mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 10. Juli 1900 waren,
das der Reichsanzeiger als »Grundlage zu weiterer wirtschaftlicher Annäherung«
bezeichnete." Aber die Vertreter der Verbündeten Regierungen Hütten sich wohl
gehütet, Erinnerungen an die Zeiten von 1891/92, „wo die ökonomische Stär¬
kung der politisch Alliierten und die mitteleuropäische Wirtschaftsgenossenschaft
gepriesen worden war," wachzurufen. Wir glauben, daß Nußland und Gro߬
britannien gegenüber die Regierungsvertreter nicht die geringste Veranlassung
zu diesem Weckruf haben, und daß mich die deutsche nationalöckonomische
Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik ihn besser unterlassen Hütte.

Für die Zukunft, zumal für die spätere Zukunft der Expansion unsrer
Erwerbssphüre kommen — von den deutschen Kolonien zunächst abgesehen —
wesentlich in Betracht Gebiete nicht nur außerhalb Europas, sondern außer¬
halb des politischen Besitzes europäischer Kulturstaaten: die Levante, Ostasien,
Südamerika.

Ohne die Bedeutung eines Znsammengehns mit Österreich-Ungarn und
Italien im Osten des Mittelmeers zu unterschätzen, ist für uns doch auch dort
der Einfluß Rußlands und Großbritanniens und die handelspolitische Ver-


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[0272] Die Handelspolitik im Jahre schreiben, Deutschland sei prädestiniert und schicke sich schon an, die Erbschaft Großbritanniens als erste Seehmidclsmacht anzutreten. Die einzige Thatsache, die verzeichnet werden kann, wenn man nach Beweisen des Übergangs Eng¬ lands zur Absperrungspolitik sucht, ist und bleibt die Kündigung des Handels¬ vertrags mit Deutschland und Belgien. Sie war die Konsequenz interner Auseinandersetzungen im britischen Weltreich, eine uotgedrnngne Konzession an die Kolonien, vorläufig namentlich an Kanada. Und was ist ihr Effekt für uns bisher gewesen? Mit Großbritannien und zugleich für die große Mehr¬ zahl seiner Kolonien ist der Nertrag auf unbestimmte Zeit verlängert, nach Kanada aber hat unsre Nnsfnhr zugenommen, die Einfuhr von da ist unver¬ ändert geblieben. Eine „wenig freundliche Strömung" gegen uns ist schließlich alles, was Francke als gewissenhafter Geschichtschreiber in England festzustellen vermag. Was sollen da die Engländer über die „Strömung" bei uns sagen, die alles aufbietet, das Volk zum Bruch mit unserm besten Kunden zu Hetzen, sogar wenn sie es dabei zugleich gegen den Kaiser aufhetzen müßte. Die Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik hätte wahrhaftig eher Grund, den Leichtsinn, mit dem die Agrarier, d. h. die Mehrheitsparteien, unsre handels¬ politischen Beziehungen zum britischen Reich behandeln, mit dem schärfsten Nachdruck unausgesetzt zu bekämpfen, statt ihm durch die pessimistische Prophe¬ zeiung: ,,auch England treibt dem Ideal vom geschlossenen Handelsstaat zu!" die fruchtbarste Förderung zu teil werden zu lasse». Francke berichtet — man weiß nicht recht, ob zustimmend oder bedauernd —, daß noch Ende Mai 1900 die Wichtigkeit guter Handelsbeziehungen mit Großbritannien vom Staats¬ sekretär des Innern sehr nachdrücklich hervorgehoben worden sei, und daß die letzten handelspolitischen Aktionen des Reichs ,,denn mich die Verlängerung des Provisoriums mit Großbritannien »bis auf weiteres« und das Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 10. Juli 1900 waren, das der Reichsanzeiger als »Grundlage zu weiterer wirtschaftlicher Annäherung« bezeichnete." Aber die Vertreter der Verbündeten Regierungen Hütten sich wohl gehütet, Erinnerungen an die Zeiten von 1891/92, „wo die ökonomische Stär¬ kung der politisch Alliierten und die mitteleuropäische Wirtschaftsgenossenschaft gepriesen worden war," wachzurufen. Wir glauben, daß Nußland und Gro߬ britannien gegenüber die Regierungsvertreter nicht die geringste Veranlassung zu diesem Weckruf haben, und daß mich die deutsche nationalöckonomische Wissenschaft im Verein für Sozialpolitik ihn besser unterlassen Hütte. Für die Zukunft, zumal für die spätere Zukunft der Expansion unsrer Erwerbssphüre kommen — von den deutschen Kolonien zunächst abgesehen — wesentlich in Betracht Gebiete nicht nur außerhalb Europas, sondern außer¬ halb des politischen Besitzes europäischer Kulturstaaten: die Levante, Ostasien, Südamerika. Ohne die Bedeutung eines Znsammengehns mit Österreich-Ungarn und Italien im Osten des Mittelmeers zu unterschätzen, ist für uns doch auch dort der Einfluß Rußlands und Großbritanniens und die handelspolitische Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/272>, abgerufen am 27.06.2024.