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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

ärgert er sich besonders darüber, daß er seine Freiheit wie ein Fcstungsarre-
stant versitzen soll, um "über diebische Bnndjudm" richten zu helfen. Den
Präsidenten des Gerichts notiert er als einen getauften Juden. Das Ge-
schworneniustitut selbst dient ihm dazu, die Wertlosigkeit der "neuerrungnen
Freiheit" zu beleuchten, und er bemüht sich eifrig, von "dem Geschwornen¬
unwesen" loszukommen.

Was wir über die Revolution von 1848, über die Frankfurter, über
Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone, über die Dreikonigsnnion und das
Erfurter Parlament erfahren, steht in den Hauptzügen schon lange fest. Jedoch
bereichern die Briefe das bekannte Bild mit vielen lebendigen Zügen und be¬
weisen, daß Vismarck an dem Gang der Dinge, insbesondre an der Entwicklung
der deutschen Frage einen starken Anteil gehabt hat. In den kritischen Mürz-
tagen war Bismarck zu Hause, hatte also keine Veranlassung, sich brieflich
über die Ereignisse zu äußern. Der letzte Brief vorher ist ans denn Januar
und ganz sorglos, der nächste nach den Barrikadenkämpfer vom 2. April meldet:
"Berlin ist ruhig, Schlesien dagegen totaler Auflösung nahe." Die Gattin
mag aber doch in großer Sorge gewesen sein, denn er schreibt ihr an einem
Tage zwei Beruhignngsbriefe wegen der Sicherheit der landtäglichen, von
10000 Mann Bürgergarde geschützten Personen. Schon bei der Eröffnung
deS Landtags nahm Bismarck den Kampf gegen den aufständischen Geist ans
und setzte es durch, daß in die Adresse an den König kein Wort von Mitleid
und Sympathie für die gefallnen Volksmänner kam. Die Konservativen ver¬
zichteten dafür auf ihre Demonstration für die Truppen. Der Kompromiß
scheint kein leichtes Werk gewesen zu sein. "Gerlach war zwei Tage hier
-- schreibt Bismarck am 3. April -- und übte mit Thadden das Exelntoren-
amt an nur; ich habe mich aber nicht aus dem Geleise bringen lassen." An
den Volksversammlungen, die er in diesen Tagen besuchte, fand er mehr Ge¬
fallen als an den Landtagsverhandlnngen; er sprach darin über die polnische
Frage in demselben Sinne, wie er sie bis an sein Ende behandelt hat. Im
Laufe des Sommers tritt der Politiker hinter dem Familienvater zurück, sein
erstes Kind wurde im August geboren. Der Schwiegermutter schreibt er aus
Schönhausen: "Ich wechsle den ganzen Tag wie Schillers Johnnniterritter
zwischen Kämpfen und politischen Plänen am Schreibtisch und der Wärter¬
schürze am Krankenbett." Als er dann im September wieder in Berlin ein¬
trifft, überfällt ihn zunächst wieder einmal Ekel an aller Politik. "Das Herz
eines Ehemanns und Vaters, wenigstens das meinige in diesen Verhältnissen,
Paßt nicht in das Treiben der Politik und Intrigue," sagt er am 23. Sep¬
tember 1848. Aber bald ergreift ihn die Spannung, ob sich das Ministerium,
dessen Rückgrat er unermüdlich zu steifen sticht, halten, und ob es noch einmal
zum Blutvergießen kommen wird. "Ich hätte nicht gedacht, daß die Demo¬
kraten dreist genug sein würden, die Schlacht anzunehmen! aber ihr ganzes
Auftreten deutet an, daß sie es wollen. Polen, Frankfurter Bummler, Frei-
schärler, alles mögliche Gesindel ist wieder vorhanden. Sie rechnen auf deu


Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

ärgert er sich besonders darüber, daß er seine Freiheit wie ein Fcstungsarre-
stant versitzen soll, um „über diebische Bnndjudm" richten zu helfen. Den
Präsidenten des Gerichts notiert er als einen getauften Juden. Das Ge-
schworneniustitut selbst dient ihm dazu, die Wertlosigkeit der „neuerrungnen
Freiheit" zu beleuchten, und er bemüht sich eifrig, von „dem Geschwornen¬
unwesen" loszukommen.

Was wir über die Revolution von 1848, über die Frankfurter, über
Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone, über die Dreikonigsnnion und das
Erfurter Parlament erfahren, steht in den Hauptzügen schon lange fest. Jedoch
bereichern die Briefe das bekannte Bild mit vielen lebendigen Zügen und be¬
weisen, daß Vismarck an dem Gang der Dinge, insbesondre an der Entwicklung
der deutschen Frage einen starken Anteil gehabt hat. In den kritischen Mürz-
tagen war Bismarck zu Hause, hatte also keine Veranlassung, sich brieflich
über die Ereignisse zu äußern. Der letzte Brief vorher ist ans denn Januar
und ganz sorglos, der nächste nach den Barrikadenkämpfer vom 2. April meldet:
„Berlin ist ruhig, Schlesien dagegen totaler Auflösung nahe." Die Gattin
mag aber doch in großer Sorge gewesen sein, denn er schreibt ihr an einem
Tage zwei Beruhignngsbriefe wegen der Sicherheit der landtäglichen, von
10000 Mann Bürgergarde geschützten Personen. Schon bei der Eröffnung
deS Landtags nahm Bismarck den Kampf gegen den aufständischen Geist ans
und setzte es durch, daß in die Adresse an den König kein Wort von Mitleid
und Sympathie für die gefallnen Volksmänner kam. Die Konservativen ver¬
zichteten dafür auf ihre Demonstration für die Truppen. Der Kompromiß
scheint kein leichtes Werk gewesen zu sein. „Gerlach war zwei Tage hier
— schreibt Bismarck am 3. April — und übte mit Thadden das Exelntoren-
amt an nur; ich habe mich aber nicht aus dem Geleise bringen lassen." An
den Volksversammlungen, die er in diesen Tagen besuchte, fand er mehr Ge¬
fallen als an den Landtagsverhandlnngen; er sprach darin über die polnische
Frage in demselben Sinne, wie er sie bis an sein Ende behandelt hat. Im
Laufe des Sommers tritt der Politiker hinter dem Familienvater zurück, sein
erstes Kind wurde im August geboren. Der Schwiegermutter schreibt er aus
Schönhausen: „Ich wechsle den ganzen Tag wie Schillers Johnnniterritter
zwischen Kämpfen und politischen Plänen am Schreibtisch und der Wärter¬
schürze am Krankenbett." Als er dann im September wieder in Berlin ein¬
trifft, überfällt ihn zunächst wieder einmal Ekel an aller Politik. „Das Herz
eines Ehemanns und Vaters, wenigstens das meinige in diesen Verhältnissen,
Paßt nicht in das Treiben der Politik und Intrigue," sagt er am 23. Sep¬
tember 1848. Aber bald ergreift ihn die Spannung, ob sich das Ministerium,
dessen Rückgrat er unermüdlich zu steifen sticht, halten, und ob es noch einmal
zum Blutvergießen kommen wird. „Ich hätte nicht gedacht, daß die Demo¬
kraten dreist genug sein würden, die Schlacht anzunehmen! aber ihr ganzes
Auftreten deutet an, daß sie es wollen. Polen, Frankfurter Bummler, Frei-
schärler, alles mögliche Gesindel ist wieder vorhanden. Sie rechnen auf deu


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[0263] Ans der Zeit des werdenden Bismarcks ärgert er sich besonders darüber, daß er seine Freiheit wie ein Fcstungsarre- stant versitzen soll, um „über diebische Bnndjudm" richten zu helfen. Den Präsidenten des Gerichts notiert er als einen getauften Juden. Das Ge- schworneniustitut selbst dient ihm dazu, die Wertlosigkeit der „neuerrungnen Freiheit" zu beleuchten, und er bemüht sich eifrig, von „dem Geschwornen¬ unwesen" loszukommen. Was wir über die Revolution von 1848, über die Frankfurter, über Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone, über die Dreikonigsnnion und das Erfurter Parlament erfahren, steht in den Hauptzügen schon lange fest. Jedoch bereichern die Briefe das bekannte Bild mit vielen lebendigen Zügen und be¬ weisen, daß Vismarck an dem Gang der Dinge, insbesondre an der Entwicklung der deutschen Frage einen starken Anteil gehabt hat. In den kritischen Mürz- tagen war Bismarck zu Hause, hatte also keine Veranlassung, sich brieflich über die Ereignisse zu äußern. Der letzte Brief vorher ist ans denn Januar und ganz sorglos, der nächste nach den Barrikadenkämpfer vom 2. April meldet: „Berlin ist ruhig, Schlesien dagegen totaler Auflösung nahe." Die Gattin mag aber doch in großer Sorge gewesen sein, denn er schreibt ihr an einem Tage zwei Beruhignngsbriefe wegen der Sicherheit der landtäglichen, von 10000 Mann Bürgergarde geschützten Personen. Schon bei der Eröffnung deS Landtags nahm Bismarck den Kampf gegen den aufständischen Geist ans und setzte es durch, daß in die Adresse an den König kein Wort von Mitleid und Sympathie für die gefallnen Volksmänner kam. Die Konservativen ver¬ zichteten dafür auf ihre Demonstration für die Truppen. Der Kompromiß scheint kein leichtes Werk gewesen zu sein. „Gerlach war zwei Tage hier — schreibt Bismarck am 3. April — und übte mit Thadden das Exelntoren- amt an nur; ich habe mich aber nicht aus dem Geleise bringen lassen." An den Volksversammlungen, die er in diesen Tagen besuchte, fand er mehr Ge¬ fallen als an den Landtagsverhandlnngen; er sprach darin über die polnische Frage in demselben Sinne, wie er sie bis an sein Ende behandelt hat. Im Laufe des Sommers tritt der Politiker hinter dem Familienvater zurück, sein erstes Kind wurde im August geboren. Der Schwiegermutter schreibt er aus Schönhausen: „Ich wechsle den ganzen Tag wie Schillers Johnnniterritter zwischen Kämpfen und politischen Plänen am Schreibtisch und der Wärter¬ schürze am Krankenbett." Als er dann im September wieder in Berlin ein¬ trifft, überfällt ihn zunächst wieder einmal Ekel an aller Politik. „Das Herz eines Ehemanns und Vaters, wenigstens das meinige in diesen Verhältnissen, Paßt nicht in das Treiben der Politik und Intrigue," sagt er am 23. Sep¬ tember 1848. Aber bald ergreift ihn die Spannung, ob sich das Ministerium, dessen Rückgrat er unermüdlich zu steifen sticht, halten, und ob es noch einmal zum Blutvergießen kommen wird. „Ich hätte nicht gedacht, daß die Demo¬ kraten dreist genug sein würden, die Schlacht anzunehmen! aber ihr ganzes Auftreten deutet an, daß sie es wollen. Polen, Frankfurter Bummler, Frei- schärler, alles mögliche Gesindel ist wieder vorhanden. Sie rechnen auf deu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/263>, abgerufen am 27.06.2024.