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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aus der Zeit des werdenden Bismarcks

Am 8, Juni fährt er fort:

Die Verhandlungen sind jetzt sehr ernst, indem durch die Opposition alles zur
Pnrtcifr<M gemacht wird, auch die jetzige vorliegende Eisenbnhufrage,

Einen besondern Groll wirft er von Anfang an auf G, von Vincke,
Einmal bricht er einen Brief schnell ab, weil er Vincke wegen seines "pöbel¬
hafter Auftretens" gegen einen Regiernngskominissar "beißen" müsse. Ihn, mit
dein er fortwährend in Deputationen zusammentraf, nahm er aber doch ernster
und würdigte ihn schließlich eines Duells, Den Präsidenten Unruh nennt er
(November 1848) kurzweg einen Lügner, Gleichwohl war er persönlich auch
bei seineu Gegnern beliebt. Wir wissen das aus Zeugnissen damaliger libe¬
raler Abgeordneter, Seiner Frau schreibt er, daß er sich durch seiue Reden
viele Freunde und Feinde erworben habe, "die letztern außerhalb des Land¬
tags," Unter den Konservativen steht er am intimsten mit Hans von Kleist
(Netzow), Sie wohnen zusammen. Es muß ihm nach fünfundzwanzig Jahren
weh gethan haben, diesen Mann ans der Deklarantenliste zu sehen. Politisch
sind diese Landtagsbriefe deshalb wichtig, weil nur ans ihnen Bismarcks
Ansichten über solche Tagcsfrngeu erfahren, zu denen er sich nicht vom Redner¬
pulte her geäußert hat, und weil sie seine Reden oft ergänzen und berichtigen.
Er selbst scheint in den Parlamentsberichten zuweilen seine Worte gemildert
zu haben. Ein Beispiel hierfür bietet die bekannte Rede vom 1.7, Mai
1847, in der er die Erhebung Preußens im Jahre 1813 kritisierte. Nach
Kreutzers Bisniarckbiographie und andern gedruckten Quellen hat er da gesagt:
Es hieße der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man an¬
nimmt, daß die Mißhandlung des Volkes durch einen fremden Gewalthaber
nicht hinreichend gewesen sei, sein Blut in Wallung zu bringen. Nach dem
Brief an die Braut handelte es sich aber um einen sehr kecken und rücksichts¬
losen Angriff gegen eine mit Stolz gehegte Tradition, Ihr schreibt er von
einem Vorstoß gegen "die Eitelkeit" auch vieler eigner Parteigenossen, Ins¬
besondre habe der Satz erbittert, daß jemand (das preußische Volk), der von
einem andern (den Franzosen) so lange geprügelt wird, bis er sich wehrt, sich
daraus kein Verdienst gegen einen dritten (den König) machen kann. Das
klingt allerdings weit mehr bismarckisch als die offizielle Fassung der Rede,
Im Innersten stand er nach den Briefen an die Braut und Fran namentlich
in der Judeufrcige und in der Geschwornenfrage zu den Liberalen und zur
öffentlichen Meinung in einem viel schärfern Gegensatz, als er ihn öffentlich
geäußert hat. Sein Antisemitismus war damals ein echter Rassenhaß. Aus
der Verhandlung der "Judenheiratsfrage" läuft er weg auf den Wollmarkt,
weil sie ihn persönlich nichts anging; er witzelt über die "sentimentalen Sal¬
badereien," die für die Emanzipation der Juden vorgebracht werden, über den
jüdischen Präsidenten, neben dem er in Erfurt als Schriftführer sitzen muß,
über das Pech, das ihn im Postwagen immer mit "naß-pelzigriechenden Juden"
zusammenhinge, im Hotel sogar einmal zu einer Kofferverwechslung mit einem
Angehörigen dieses liebenswürdigen Stammes führt. Als er Geschworner wird,


Aus der Zeit des werdenden Bismarcks

Am 8, Juni fährt er fort:

Die Verhandlungen sind jetzt sehr ernst, indem durch die Opposition alles zur
Pnrtcifr<M gemacht wird, auch die jetzige vorliegende Eisenbnhufrage,

Einen besondern Groll wirft er von Anfang an auf G, von Vincke,
Einmal bricht er einen Brief schnell ab, weil er Vincke wegen seines „pöbel¬
hafter Auftretens" gegen einen Regiernngskominissar „beißen" müsse. Ihn, mit
dein er fortwährend in Deputationen zusammentraf, nahm er aber doch ernster
und würdigte ihn schließlich eines Duells, Den Präsidenten Unruh nennt er
(November 1848) kurzweg einen Lügner, Gleichwohl war er persönlich auch
bei seineu Gegnern beliebt. Wir wissen das aus Zeugnissen damaliger libe¬
raler Abgeordneter, Seiner Frau schreibt er, daß er sich durch seiue Reden
viele Freunde und Feinde erworben habe, „die letztern außerhalb des Land¬
tags," Unter den Konservativen steht er am intimsten mit Hans von Kleist
(Netzow), Sie wohnen zusammen. Es muß ihm nach fünfundzwanzig Jahren
weh gethan haben, diesen Mann ans der Deklarantenliste zu sehen. Politisch
sind diese Landtagsbriefe deshalb wichtig, weil nur ans ihnen Bismarcks
Ansichten über solche Tagcsfrngeu erfahren, zu denen er sich nicht vom Redner¬
pulte her geäußert hat, und weil sie seine Reden oft ergänzen und berichtigen.
Er selbst scheint in den Parlamentsberichten zuweilen seine Worte gemildert
zu haben. Ein Beispiel hierfür bietet die bekannte Rede vom 1.7, Mai
1847, in der er die Erhebung Preußens im Jahre 1813 kritisierte. Nach
Kreutzers Bisniarckbiographie und andern gedruckten Quellen hat er da gesagt:
Es hieße der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man an¬
nimmt, daß die Mißhandlung des Volkes durch einen fremden Gewalthaber
nicht hinreichend gewesen sei, sein Blut in Wallung zu bringen. Nach dem
Brief an die Braut handelte es sich aber um einen sehr kecken und rücksichts¬
losen Angriff gegen eine mit Stolz gehegte Tradition, Ihr schreibt er von
einem Vorstoß gegen „die Eitelkeit" auch vieler eigner Parteigenossen, Ins¬
besondre habe der Satz erbittert, daß jemand (das preußische Volk), der von
einem andern (den Franzosen) so lange geprügelt wird, bis er sich wehrt, sich
daraus kein Verdienst gegen einen dritten (den König) machen kann. Das
klingt allerdings weit mehr bismarckisch als die offizielle Fassung der Rede,
Im Innersten stand er nach den Briefen an die Braut und Fran namentlich
in der Judeufrcige und in der Geschwornenfrage zu den Liberalen und zur
öffentlichen Meinung in einem viel schärfern Gegensatz, als er ihn öffentlich
geäußert hat. Sein Antisemitismus war damals ein echter Rassenhaß. Aus
der Verhandlung der „Judenheiratsfrage" läuft er weg auf den Wollmarkt,
weil sie ihn persönlich nichts anging; er witzelt über die „sentimentalen Sal¬
badereien," die für die Emanzipation der Juden vorgebracht werden, über den
jüdischen Präsidenten, neben dem er in Erfurt als Schriftführer sitzen muß,
über das Pech, das ihn im Postwagen immer mit „naß-pelzigriechenden Juden"
zusammenhinge, im Hotel sogar einmal zu einer Kofferverwechslung mit einem
Angehörigen dieses liebenswürdigen Stammes führt. Als er Geschworner wird,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/262>, abgerufen am 27.06.2024.