Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

daß solch ein Mensch in seiner Persönlichkeit gefährdet ist. Am ausführlichsten
spricht er sich darüber in einem der Braut abschriftlich mitgeteilten Schreiben
aus, das einer Cousine auseinandersetzt, warum er den Dienst in Aachen auf¬
giebt und Landwirt wird. In einem Briefe aus dem März 1848 schreibt er,
er habe in der Kammer eine Rede gehalten ohne weitern Zweck, nnr um sich
von den "feilen Vureaukrateu, die ihren Mantel mit verächtlicher Schamlosigkeit
nach dem Winde drehn," zu unterscheiden.

Der oben mitgeteilte Brief vom 7. Mai 1847, durch den er sich der Braut
als Abgeordneter vorführt, berichtet auch schon über seine Thätigkeit in der
neuen Stellung. Es ging überall gleich an scharfes Arbeiten, wo Bismarck
dabei war:

Am Donnerstag kam ich hierher und habe gestern und vorgestern sehr an¬
greifende fast achtstündige Konferenzen mit Rathmann (wegen der Patrimonial-
gerichte) gehabt, bei deren zweiter uns Bülow ohnmächtig wurde und ich selbst
vor Aufregung und Hunger Kopfschmerz bekam, dem ich bald durch ein gutes
Diner mit Deinem Vater und Thadden ein Ende machte.

Zu einer hohen Meinung vom Parlament brachte er es auch als Neu
ling nicht. Seine ersten Eindrücke enthält der Brief von 15. Mai 1847:

Die heutige Sitzung war recht langweilig, unendliches Schwatzen, Wiederholen,
Breittreten, Zeit totschlagen; auch Solms war schwach im Vergleich mit früher.
Es ist merkwürdig, wie viel Dreistigkeit im Auftreten die Redner im Verhältnis
zu ihren Fähigkeiten zeigen, und mit welcher schamlosen Selbstgefälligkeit sie ihre
nichtssagenden Redensarten einer so großen Versammlung aufzudrängen wagen.

Am 13. Juni schreibt er:

Übrigens wird doch in neunundneunzig Hundertteilen der Verhandlung, so
pomphaft man sich anstellen mag, leeres Stroh gedroschen, und die Fälle, wo ich
irgend ein Bedürfnis fühle zu sprechen, werden seltner.

Am 4. November:

Ich begreife nicht, daß sich immer noch Leute finden, die ganz artig von An¬
fang bis zu Ende auf den Tribünen sitzen und zuhören, wie erwachsene Menschen
sich kindisch über Lappalien streiten, die im nächsten Sommer vergessen sein
werden.

Der Landtag imponierte ihm so wenig als später der Bundestag, schon
nach acht Wochen hatte er sich angewöhnt, in den Sitzungen seine Briefe zu
besorgen: "Es schreibt sich hier recht hübsch, ich sitze in einer Säulenhalle des
Weißen Schlosses, das Geschwätz der Versammlung hinter mir, vor mir den
Blick über den Lustgarten, das Museum, Zeughaus usw." -- heißes Mitte Juni.
Die Geringschätzung erstreckt sich über Gegner und Parteigenossen gleichmäßig,
aber ganz natürlich beurteilt er die Gegner besonders streng:

Ich bin von Morgen bis zum Abend -- schreibt er am 26. Mai 1847 -
gallsüchtig über die lügnerische, verleumderische Unredlichkeit der Opposition und über
die eigenwillige, böswillige Absichtlichkeit, mit der sie sich jeden Gründen verschließt,
und über die gedankenlose Oberflächlichkeit der Menge, bei der die gediegensten
Argumente nicht wiegen gegen die banalen aufgeputzten Phrasen der rheinischen
Weinreisendenpolitik.


Ans der Zeit des werdenden Bismarcks

daß solch ein Mensch in seiner Persönlichkeit gefährdet ist. Am ausführlichsten
spricht er sich darüber in einem der Braut abschriftlich mitgeteilten Schreiben
aus, das einer Cousine auseinandersetzt, warum er den Dienst in Aachen auf¬
giebt und Landwirt wird. In einem Briefe aus dem März 1848 schreibt er,
er habe in der Kammer eine Rede gehalten ohne weitern Zweck, nnr um sich
von den „feilen Vureaukrateu, die ihren Mantel mit verächtlicher Schamlosigkeit
nach dem Winde drehn," zu unterscheiden.

Der oben mitgeteilte Brief vom 7. Mai 1847, durch den er sich der Braut
als Abgeordneter vorführt, berichtet auch schon über seine Thätigkeit in der
neuen Stellung. Es ging überall gleich an scharfes Arbeiten, wo Bismarck
dabei war:

Am Donnerstag kam ich hierher und habe gestern und vorgestern sehr an¬
greifende fast achtstündige Konferenzen mit Rathmann (wegen der Patrimonial-
gerichte) gehabt, bei deren zweiter uns Bülow ohnmächtig wurde und ich selbst
vor Aufregung und Hunger Kopfschmerz bekam, dem ich bald durch ein gutes
Diner mit Deinem Vater und Thadden ein Ende machte.

Zu einer hohen Meinung vom Parlament brachte er es auch als Neu
ling nicht. Seine ersten Eindrücke enthält der Brief von 15. Mai 1847:

Die heutige Sitzung war recht langweilig, unendliches Schwatzen, Wiederholen,
Breittreten, Zeit totschlagen; auch Solms war schwach im Vergleich mit früher.
Es ist merkwürdig, wie viel Dreistigkeit im Auftreten die Redner im Verhältnis
zu ihren Fähigkeiten zeigen, und mit welcher schamlosen Selbstgefälligkeit sie ihre
nichtssagenden Redensarten einer so großen Versammlung aufzudrängen wagen.

Am 13. Juni schreibt er:

Übrigens wird doch in neunundneunzig Hundertteilen der Verhandlung, so
pomphaft man sich anstellen mag, leeres Stroh gedroschen, und die Fälle, wo ich
irgend ein Bedürfnis fühle zu sprechen, werden seltner.

Am 4. November:

Ich begreife nicht, daß sich immer noch Leute finden, die ganz artig von An¬
fang bis zu Ende auf den Tribünen sitzen und zuhören, wie erwachsene Menschen
sich kindisch über Lappalien streiten, die im nächsten Sommer vergessen sein
werden.

Der Landtag imponierte ihm so wenig als später der Bundestag, schon
nach acht Wochen hatte er sich angewöhnt, in den Sitzungen seine Briefe zu
besorgen: „Es schreibt sich hier recht hübsch, ich sitze in einer Säulenhalle des
Weißen Schlosses, das Geschwätz der Versammlung hinter mir, vor mir den
Blick über den Lustgarten, das Museum, Zeughaus usw." — heißes Mitte Juni.
Die Geringschätzung erstreckt sich über Gegner und Parteigenossen gleichmäßig,
aber ganz natürlich beurteilt er die Gegner besonders streng:

Ich bin von Morgen bis zum Abend — schreibt er am 26. Mai 1847 -
gallsüchtig über die lügnerische, verleumderische Unredlichkeit der Opposition und über
die eigenwillige, böswillige Absichtlichkeit, mit der sie sich jeden Gründen verschließt,
und über die gedankenlose Oberflächlichkeit der Menge, bei der die gediegensten
Argumente nicht wiegen gegen die banalen aufgeputzten Phrasen der rheinischen
Weinreisendenpolitik.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234141"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans der Zeit des werdenden Bismarcks</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> daß solch ein Mensch in seiner Persönlichkeit gefährdet ist. Am ausführlichsten<lb/>
spricht er sich darüber in einem der Braut abschriftlich mitgeteilten Schreiben<lb/>
aus, das einer Cousine auseinandersetzt, warum er den Dienst in Aachen auf¬<lb/>
giebt und Landwirt wird. In einem Briefe aus dem März 1848 schreibt er,<lb/>
er habe in der Kammer eine Rede gehalten ohne weitern Zweck, nnr um sich<lb/>
von den &#x201E;feilen Vureaukrateu, die ihren Mantel mit verächtlicher Schamlosigkeit<lb/>
nach dem Winde drehn," zu unterscheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Der oben mitgeteilte Brief vom 7. Mai 1847, durch den er sich der Braut<lb/>
als Abgeordneter vorführt, berichtet auch schon über seine Thätigkeit in der<lb/>
neuen Stellung. Es ging überall gleich an scharfes Arbeiten, wo Bismarck<lb/>
dabei war:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869"> Am Donnerstag kam ich hierher und habe gestern und vorgestern sehr an¬<lb/>
greifende fast achtstündige Konferenzen mit Rathmann (wegen der Patrimonial-<lb/>
gerichte) gehabt, bei deren zweiter uns Bülow ohnmächtig wurde und ich selbst<lb/>
vor Aufregung und Hunger Kopfschmerz bekam, dem ich bald durch ein gutes<lb/>
Diner mit Deinem Vater und Thadden ein Ende machte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870"> Zu einer hohen Meinung vom Parlament brachte er es auch als Neu<lb/>
ling nicht.  Seine ersten Eindrücke enthält der Brief von 15. Mai 1847:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_871"> Die heutige Sitzung war recht langweilig, unendliches Schwatzen, Wiederholen,<lb/>
Breittreten, Zeit totschlagen; auch Solms war schwach im Vergleich mit früher.<lb/>
Es ist merkwürdig, wie viel Dreistigkeit im Auftreten die Redner im Verhältnis<lb/>
zu ihren Fähigkeiten zeigen, und mit welcher schamlosen Selbstgefälligkeit sie ihre<lb/>
nichtssagenden Redensarten einer so großen Versammlung aufzudrängen wagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_872"> Am 13. Juni schreibt er:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_873"> Übrigens wird doch in neunundneunzig Hundertteilen der Verhandlung, so<lb/>
pomphaft man sich anstellen mag, leeres Stroh gedroschen, und die Fälle, wo ich<lb/>
irgend ein Bedürfnis fühle zu sprechen, werden seltner.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874"> Am 4. November:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_875"> Ich begreife nicht, daß sich immer noch Leute finden, die ganz artig von An¬<lb/>
fang bis zu Ende auf den Tribünen sitzen und zuhören, wie erwachsene Menschen<lb/>
sich kindisch über Lappalien streiten, die im nächsten Sommer vergessen sein<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_876"> Der Landtag imponierte ihm so wenig als später der Bundestag, schon<lb/>
nach acht Wochen hatte er sich angewöhnt, in den Sitzungen seine Briefe zu<lb/>
besorgen: &#x201E;Es schreibt sich hier recht hübsch, ich sitze in einer Säulenhalle des<lb/>
Weißen Schlosses, das Geschwätz der Versammlung hinter mir, vor mir den<lb/>
Blick über den Lustgarten, das Museum, Zeughaus usw." &#x2014; heißes Mitte Juni.<lb/>
Die Geringschätzung erstreckt sich über Gegner und Parteigenossen gleichmäßig,<lb/>
aber ganz natürlich beurteilt er die Gegner besonders streng:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_877"> Ich bin von Morgen bis zum Abend &#x2014; schreibt er am 26. Mai 1847 -<lb/>
gallsüchtig über die lügnerische, verleumderische Unredlichkeit der Opposition und über<lb/>
die eigenwillige, böswillige Absichtlichkeit, mit der sie sich jeden Gründen verschließt,<lb/>
und über die gedankenlose Oberflächlichkeit der Menge, bei der die gediegensten<lb/>
Argumente nicht wiegen gegen die banalen aufgeputzten Phrasen der rheinischen<lb/>
Weinreisendenpolitik.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] Ans der Zeit des werdenden Bismarcks daß solch ein Mensch in seiner Persönlichkeit gefährdet ist. Am ausführlichsten spricht er sich darüber in einem der Braut abschriftlich mitgeteilten Schreiben aus, das einer Cousine auseinandersetzt, warum er den Dienst in Aachen auf¬ giebt und Landwirt wird. In einem Briefe aus dem März 1848 schreibt er, er habe in der Kammer eine Rede gehalten ohne weitern Zweck, nnr um sich von den „feilen Vureaukrateu, die ihren Mantel mit verächtlicher Schamlosigkeit nach dem Winde drehn," zu unterscheiden. Der oben mitgeteilte Brief vom 7. Mai 1847, durch den er sich der Braut als Abgeordneter vorführt, berichtet auch schon über seine Thätigkeit in der neuen Stellung. Es ging überall gleich an scharfes Arbeiten, wo Bismarck dabei war: Am Donnerstag kam ich hierher und habe gestern und vorgestern sehr an¬ greifende fast achtstündige Konferenzen mit Rathmann (wegen der Patrimonial- gerichte) gehabt, bei deren zweiter uns Bülow ohnmächtig wurde und ich selbst vor Aufregung und Hunger Kopfschmerz bekam, dem ich bald durch ein gutes Diner mit Deinem Vater und Thadden ein Ende machte. Zu einer hohen Meinung vom Parlament brachte er es auch als Neu ling nicht. Seine ersten Eindrücke enthält der Brief von 15. Mai 1847: Die heutige Sitzung war recht langweilig, unendliches Schwatzen, Wiederholen, Breittreten, Zeit totschlagen; auch Solms war schwach im Vergleich mit früher. Es ist merkwürdig, wie viel Dreistigkeit im Auftreten die Redner im Verhältnis zu ihren Fähigkeiten zeigen, und mit welcher schamlosen Selbstgefälligkeit sie ihre nichtssagenden Redensarten einer so großen Versammlung aufzudrängen wagen. Am 13. Juni schreibt er: Übrigens wird doch in neunundneunzig Hundertteilen der Verhandlung, so pomphaft man sich anstellen mag, leeres Stroh gedroschen, und die Fälle, wo ich irgend ein Bedürfnis fühle zu sprechen, werden seltner. Am 4. November: Ich begreife nicht, daß sich immer noch Leute finden, die ganz artig von An¬ fang bis zu Ende auf den Tribünen sitzen und zuhören, wie erwachsene Menschen sich kindisch über Lappalien streiten, die im nächsten Sommer vergessen sein werden. Der Landtag imponierte ihm so wenig als später der Bundestag, schon nach acht Wochen hatte er sich angewöhnt, in den Sitzungen seine Briefe zu besorgen: „Es schreibt sich hier recht hübsch, ich sitze in einer Säulenhalle des Weißen Schlosses, das Geschwätz der Versammlung hinter mir, vor mir den Blick über den Lustgarten, das Museum, Zeughaus usw." — heißes Mitte Juni. Die Geringschätzung erstreckt sich über Gegner und Parteigenossen gleichmäßig, aber ganz natürlich beurteilt er die Gegner besonders streng: Ich bin von Morgen bis zum Abend — schreibt er am 26. Mai 1847 - gallsüchtig über die lügnerische, verleumderische Unredlichkeit der Opposition und über die eigenwillige, böswillige Absichtlichkeit, mit der sie sich jeden Gründen verschließt, und über die gedankenlose Oberflächlichkeit der Menge, bei der die gediegensten Argumente nicht wiegen gegen die banalen aufgeputzten Phrasen der rheinischen Weinreisendenpolitik.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/261>, abgerufen am 27.06.2024.