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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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gewesen sind, Deal diesen Briefen läßt sich nur wenig an die Seite setzen.
Außer daß sie einen intimen Einblick in die Zeitgeschichte und in die Natur
eines der gewaltigsten Männer des neunzehnten Jahrhunderts gewähren, sind
sie auch Kunstwerke köstlichster Art, Augeublicksbilder von höchster Ursprüng¬
lichkeit und Frische,

Freuen Nur uns deshalb, daß uns Weihnachten eine neue Folge von
Bismarckbriefen beschert hat! Es sind Fürst Bismarcks Briefe an seine
Braut und Gattin/') von seinem Sohne Herbert in einem stattlichen Baude
von sechshundert Seiten herausgegeben. Wir haben über diese neue Sammlung
gehört und gelesen, sie enthalte nichts Neues, Das ist allerdings für einen
großen Teil der Zeit, über die sich die Briefe erstrecken, richtig: vom Antritt
in Frankfurt bis zum Ende in Friedrichsruh. Da ist ein Sechstel der Briefe
-- achtzig und etliche von 506 Nummern -- schon durch Hesetiel und Kohl
mehr oder weniger vollständig veröffentlicht worden; die andern sind Doubletten,
freilich durch ihren besondern Schliff sehr wertvolle. Auch wird mancher Leser
enttäuscht sein, daß der neue Band so wenig ans den Zeiten mitteilt, die in
Bismarcks Leben als die bedeutendsten erscheinen, 1860 ist mit sechs Briefen
vertreten, die ganze Korrespondenz aus dem französischen Kriege ist bis auf
zwei Stück verschwunden. Die Periode des Exils im Sachsenwalde weist gar
nur ein kurzes Telegramm aus dem Jahre 1892 auf. Aber trotzdem ist das
oben angeführte Urteil irrig. Für die Jahre von 1846 bis 1851 geben die
180 Briefe, die Bismarck damals an seine Braut und Gattin gerichtet hat,
ganz neue Aufschlüsse über politische Vorgänge und Verhältnisse, insbesondre
über Bismarcks Wesen, Entwicklung und seine Bedeutung für das öffentliche
Leben Preußens,

Die politische Ausbeute gipfelt in dem Nachweis, daß Bismarcks Be¬
rufung auf den Frankfurter Gesandtenposten auf Grund hervorragender staats-
mänuischer Leistungen erfolgte. Auch die Biographen des Fürsten haben bei
diesem Ereignisse immer noch mit einem genialen und geglückten Einfall
Friedrich Wilhelms IV. gerechnet. Nach den neuen Briefen ist diese Rechnung
falsch, sie hundelt genau, was Bismarck in seiner Stellung als Abgeordneter
rind Deichhauptmann für sein Vaterland gethan und geleistet hat. Das ist
weit mehr, als wir bisher auf Grund der veröffentlichten Reden, Parlaments¬
berichte und der Denkwürdigkeiten Mitbeteiligter annahmen. In der Blütezeit
der unverantwortlichen Natgeberei war Bismarck der wichtigste Geheimminister,
noch einflußreicher als Leopold von Gerlach, weil geschickter und nüchterner.
In den großen Krisen der äußern Politik war er das antiromantische Gegen¬
gewicht zu Radowitz und seiner Partei; in den innern Fragen stand er an
der konservativen Wage, hielt die Königstrenen bald von Gewaltstreichen und
Ausschreitungen, bald von Trägheit zurück, bald schürte, bald dämpfte er ihren
Eifer.



Stuttgart, I. <->!, Cottascho Buchhandlung, 1900,

gewesen sind, Deal diesen Briefen läßt sich nur wenig an die Seite setzen.
Außer daß sie einen intimen Einblick in die Zeitgeschichte und in die Natur
eines der gewaltigsten Männer des neunzehnten Jahrhunderts gewähren, sind
sie auch Kunstwerke köstlichster Art, Augeublicksbilder von höchster Ursprüng¬
lichkeit und Frische,

Freuen Nur uns deshalb, daß uns Weihnachten eine neue Folge von
Bismarckbriefen beschert hat! Es sind Fürst Bismarcks Briefe an seine
Braut und Gattin/') von seinem Sohne Herbert in einem stattlichen Baude
von sechshundert Seiten herausgegeben. Wir haben über diese neue Sammlung
gehört und gelesen, sie enthalte nichts Neues, Das ist allerdings für einen
großen Teil der Zeit, über die sich die Briefe erstrecken, richtig: vom Antritt
in Frankfurt bis zum Ende in Friedrichsruh. Da ist ein Sechstel der Briefe
— achtzig und etliche von 506 Nummern — schon durch Hesetiel und Kohl
mehr oder weniger vollständig veröffentlicht worden; die andern sind Doubletten,
freilich durch ihren besondern Schliff sehr wertvolle. Auch wird mancher Leser
enttäuscht sein, daß der neue Band so wenig ans den Zeiten mitteilt, die in
Bismarcks Leben als die bedeutendsten erscheinen, 1860 ist mit sechs Briefen
vertreten, die ganze Korrespondenz aus dem französischen Kriege ist bis auf
zwei Stück verschwunden. Die Periode des Exils im Sachsenwalde weist gar
nur ein kurzes Telegramm aus dem Jahre 1892 auf. Aber trotzdem ist das
oben angeführte Urteil irrig. Für die Jahre von 1846 bis 1851 geben die
180 Briefe, die Bismarck damals an seine Braut und Gattin gerichtet hat,
ganz neue Aufschlüsse über politische Vorgänge und Verhältnisse, insbesondre
über Bismarcks Wesen, Entwicklung und seine Bedeutung für das öffentliche
Leben Preußens,

Die politische Ausbeute gipfelt in dem Nachweis, daß Bismarcks Be¬
rufung auf den Frankfurter Gesandtenposten auf Grund hervorragender staats-
mänuischer Leistungen erfolgte. Auch die Biographen des Fürsten haben bei
diesem Ereignisse immer noch mit einem genialen und geglückten Einfall
Friedrich Wilhelms IV. gerechnet. Nach den neuen Briefen ist diese Rechnung
falsch, sie hundelt genau, was Bismarck in seiner Stellung als Abgeordneter
rind Deichhauptmann für sein Vaterland gethan und geleistet hat. Das ist
weit mehr, als wir bisher auf Grund der veröffentlichten Reden, Parlaments¬
berichte und der Denkwürdigkeiten Mitbeteiligter annahmen. In der Blütezeit
der unverantwortlichen Natgeberei war Bismarck der wichtigste Geheimminister,
noch einflußreicher als Leopold von Gerlach, weil geschickter und nüchterner.
In den großen Krisen der äußern Politik war er das antiromantische Gegen¬
gewicht zu Radowitz und seiner Partei; in den innern Fragen stand er an
der konservativen Wage, hielt die Königstrenen bald von Gewaltstreichen und
Ausschreitungen, bald von Trägheit zurück, bald schürte, bald dämpfte er ihren
Eifer.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/258>, abgerufen am 27.06.2024.