Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Aus der Zeit des werdenden Bismarcks eun im Jahre 1866 jemand gesagt hätte, es würde eine Zeit Wenn nun heute Bismarck fast die Stellung eines Nationalheiligen ein¬ Grenzboten I 1901 33
Aus der Zeit des werdenden Bismarcks eun im Jahre 1866 jemand gesagt hätte, es würde eine Zeit Wenn nun heute Bismarck fast die Stellung eines Nationalheiligen ein¬ Grenzboten I 1901 33
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234137"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341873_233879/figures/grenzboten_341873_233879_234137_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Aus der Zeit des werdenden Bismarcks</head><lb/> <p xml:id="ID_854"> eun im Jahre 1866 jemand gesagt hätte, es würde eine Zeit<lb/> kommen, wo Bismarcks Familienkorrespondcnz ein begehrter Ver-<lb/> lagsartikel sein würde, hatte man ihn für toll erklärt. Auch<lb/> unter seinen preußischen Freunden hielt niemand eine solche<lb/> Wendung für möglich; wer aber in Sachsen oder in Süddeutsch¬<lb/> land für den verhaßten Berliner Ministerpräsidenten ein gutes Wort äußerte,<lb/> der lief damit moralisch und körperlich Gefahr. Das Beispiel Heinrich von<lb/> Treitschkes ist bekannt genug; andern ists noch schlimmer gegangen. Bismarck<lb/> und der Gottseibeiuns waren ein und dasselbe. Junge Menschen, die das<lb/> bezweifelten, wurden von sonst liebevollen Onkeln und Hausfreunden mit dem<lb/> Stock bedroht, lind sogar Pastorenfrauen, die die Milde nud die Menschen¬<lb/> liebe selbst waren, kündigten alte Gönnerverhältnisse. Es war doch eine merk¬<lb/> würdige Zeit, in der vernünftige Graubärte den ganzen Goethe, Schiller, Bach,<lb/> Beethoven, lind was sonst zur deutschen Kultur gehört, ruhig aufgeben wollten,<lb/> wenn um diesen Preis Schkeuditz wieder an Sachsen gebracht und das „räube¬<lb/> rische Preußen" gedemütigt werden konnte!</p><lb/> <p xml:id="ID_855" next="#ID_856"> Wenn nun heute Bismarck fast die Stellung eines Nationalheiligen ein¬<lb/> nimmt, so hat das seine große Politik nicht allein gethan. Lieben lernte das<lb/> Volk den Kanzler von dem Augenblick an, wo es dem Menschen in ihm näher<lb/> trat, wo Hesekiel in seiner Biographie die ersten Bismarckbricfe brachte, wo<lb/> Busch das^Buch über „Graf Bismarck und seine Leute während des Kriegs<lb/> mit Frankreich" veröffentlichte. Seitdem sind die Reden, die Tischgespräche<lb/> des großen Staatsmanns gesammelt worden, er selbst hat das Stück Geschichte,<lb/> dus er erlebt und beherrscht hat, regelrecht zu beschreibe» versucht, zahlreiche<lb/> Eckermauns mehren noch tagtäglich die schon sehr stattliche Bismarcklitteratur.<lb/> Von ihr werden die Briefe Bismarcks noch in Jahrtausenden Hauptstücke<lb/> der Weltlitteratur bleiben, wie sie bis jetzt die Hauptträger seiner Popularität</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1901 33</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0257]
[Abbildung]
Aus der Zeit des werdenden Bismarcks
eun im Jahre 1866 jemand gesagt hätte, es würde eine Zeit
kommen, wo Bismarcks Familienkorrespondcnz ein begehrter Ver-
lagsartikel sein würde, hatte man ihn für toll erklärt. Auch
unter seinen preußischen Freunden hielt niemand eine solche
Wendung für möglich; wer aber in Sachsen oder in Süddeutsch¬
land für den verhaßten Berliner Ministerpräsidenten ein gutes Wort äußerte,
der lief damit moralisch und körperlich Gefahr. Das Beispiel Heinrich von
Treitschkes ist bekannt genug; andern ists noch schlimmer gegangen. Bismarck
und der Gottseibeiuns waren ein und dasselbe. Junge Menschen, die das
bezweifelten, wurden von sonst liebevollen Onkeln und Hausfreunden mit dem
Stock bedroht, lind sogar Pastorenfrauen, die die Milde nud die Menschen¬
liebe selbst waren, kündigten alte Gönnerverhältnisse. Es war doch eine merk¬
würdige Zeit, in der vernünftige Graubärte den ganzen Goethe, Schiller, Bach,
Beethoven, lind was sonst zur deutschen Kultur gehört, ruhig aufgeben wollten,
wenn um diesen Preis Schkeuditz wieder an Sachsen gebracht und das „räube¬
rische Preußen" gedemütigt werden konnte!
Wenn nun heute Bismarck fast die Stellung eines Nationalheiligen ein¬
nimmt, so hat das seine große Politik nicht allein gethan. Lieben lernte das
Volk den Kanzler von dem Augenblick an, wo es dem Menschen in ihm näher
trat, wo Hesekiel in seiner Biographie die ersten Bismarckbricfe brachte, wo
Busch das^Buch über „Graf Bismarck und seine Leute während des Kriegs
mit Frankreich" veröffentlichte. Seitdem sind die Reden, die Tischgespräche
des großen Staatsmanns gesammelt worden, er selbst hat das Stück Geschichte,
dus er erlebt und beherrscht hat, regelrecht zu beschreibe» versucht, zahlreiche
Eckermauns mehren noch tagtäglich die schon sehr stattliche Bismarcklitteratur.
Von ihr werden die Briefe Bismarcks noch in Jahrtausenden Hauptstücke
der Weltlitteratur bleiben, wie sie bis jetzt die Hauptträger seiner Popularität
Grenzboten I 1901 33
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |