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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Ethischen ihren Schwerpunkt hat. Den praktischen und idealen Bildungen des
Menschengeschlechts, namentlich den Sprachen nachgehend, erkannte er die "geistig
sinnliche Natur" desselben und die im Geben und Empfangen weiter zeugende
Kraft ihres Ausdrucks -- die beiden Momente, in denen die sittliche Welt, in
immer neuen Polarisationen immer neue elektrische Strömungen erzeugend, gestaltend
sich bewegt und bewegend gestaltet." Ohne Frage hat der geistvolle Droysen Recht,
wenn er die Abhandlung Wilhelm von Humboldts, der, wie Ang, Boeckh sagt, ein
Staatsmann von Perikleischer Hoheit war, in treffenden Worten preist.

Schon manche Gelehrte", wie Georg Weber in den Grenzboten 1886 Ur. 6,
haben ihre Gedanken über Geschichte und Geschichtschreibung mitgeteilt, auch Ger-
vinus in seiner Historik. Wegele, der Würzburger Geschichtsprofcssor, soge in seinem
tüchtigen Werke "Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des
Humanismus" auf Seite 1071: "Die Abhandlung Humboldts ist vielleicht das
genialste und treffendste, was seit Lucian*) über diese Frage vorgetragen worden
ist." Damit sind wir völlig einverstanden! Nun ist es aber von großem Interesse
zu hören, daß die Hnnptgednukeu des geistvollen Aussatzes den Unterhaltungen
Wilhelm von Humboldts mit Schiller ihren Ursprung verdanke", denn Humboldt
schreibt in einem Briefe vom 18. März 1822 ein Goethe: "Ich hätte Ihnen schon
längst danken wollen, verehrtester Freund, für Ihre gütigen und freundschaftlichen
Zeilen vom 24. Dezember vorigen Jahres, allein es war immer unterblieben. Jetzt
thue ich es, indem ich Ihnen eine neue Arbeit (liber die Aufgabe des Geschicht¬
schreibers) schicke, die Ihnen sonst nicht zu Gesichte kommen möchte. Es wird Ihnen
vielleicht als eine sonderbare Grille scheinen, die Geschichte gerade mit der Kunst
zu vergleichen. Allein in mir liegt diese Idee schon lange, und sollte nicht müh
wirklich etwas sehr ähnliches in der Darstellung menschlicher Gestalt und mensch-
licher Handlungen liegen? In dem, was ich über die Kunst selbst sage, darf ich
noch eher ans Ihre Übereinstimmung rechnen. Nur wenn die Gestalt von innen
heraus aufgefaßt wird, turn sie wieder in ihrem Ganzen dargestellt werden. Man
vergißt das bei Theorien und Kritiken der Kunst zu oft und will von anßen zu¬
sammensetzen und so, daß die Idee des Ganzen erst nachher hervorgehe, was mir
gerade als der verkehrte Weg erscheint. Was ich über die Historische Wahrheit**)




Wir haben eine andre Meinung über Lucians Abhandlung: Wie soll man Geschichte
schreiben? Diese früher viel bewunderte Schrift des witzigen Samosnten (geb. 125 v. Chr.)
wurde veranlasst durch den im Jahre 16S v. Chr. beendeten Krieg der Römer mit den Parthern
und richtet sich gegen die unberufner Geschichtschreiber, die diesen Krieg nach Art des Herodot
oder Thuichdides zu schreibe" unternahmen, sie enthält nichts, was sich über die alltäglichsten
Gemei"plur,c erhebe, und findet deshalb heute eine kühlere Beurteilung als ehedem. Vergl.
Christs Geschichte der griechischen Litteratur, erste Ausgabe 1889, Seile 546 s. Außerdem sehe
man H. Ulricis Charakteristik der antiken .Historiographie, Berlin, 1838, Seite 30V. DionnsiuS
ssp. ack 1'vini>nulli.in 111 21 hat. Lrüßvr) nennt die Werke des Herodot und Thukydides Poesien
und meint überhaupt, die Geschichte müsse etwas Poetisches haben. Nach seiner Ansicht
hat nur Herodot diesen Gesehen (die für die historische Kunst die Poetik gab) genügt, während
Thukydides dagegen gesündigt hat. H. Ulrici hatte Wilhelm von Humboldt ein Exemplar dieses
Buchs geschickt, darauf bezieht sich ein von M. Carriere in der Allgemeine" Zeitung Ur. 87
den 16. Oktober 1891 ungelenker Brief.
--
) Für die Leser, die sich noch weiter über die Aufgabe der Geschichtschreibung orientieren
wolle", führe ich an: Studien über die Cmtwukluug der Geschichtswissettschaft von M. Ritter,
Historische Zeitschrift von H. von Sybel, 1. Heft, 1885, über Thukydides, Aristoteles Politik,
über Polybius, über römische Geschichtschreibung, über antike Geschichtsforschung. H. Ulmann
über wissenschaftliche Geschichtsdarstellung in SybelS Zeitschrift, I.Heft, 188S.'Seite 42.
R. Bode: Mnx Duncker, el" Gedenkblatt, Berlin, 1887. Trefflich sind die gcschichtSphilosophischen
Gedanke" in den Gvcnzboten Ur. 26, 1891. Drei Bonner Historiker: Niebuhr, Dcchlmmm,
Loebell, Rektoratsrede, Sybels Historische Zeitschrift, 18. Band, 1867, Seite 283. Th. Mommsen,
Rektoratsrede. Neues Reich Ur. 46, 1874. Pflug-Hartung, Über Geschichtschreibung und Forschung,
Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Ethischen ihren Schwerpunkt hat. Den praktischen und idealen Bildungen des
Menschengeschlechts, namentlich den Sprachen nachgehend, erkannte er die »geistig
sinnliche Natur« desselben und die im Geben und Empfangen weiter zeugende
Kraft ihres Ausdrucks — die beiden Momente, in denen die sittliche Welt, in
immer neuen Polarisationen immer neue elektrische Strömungen erzeugend, gestaltend
sich bewegt und bewegend gestaltet." Ohne Frage hat der geistvolle Droysen Recht,
wenn er die Abhandlung Wilhelm von Humboldts, der, wie Ang, Boeckh sagt, ein
Staatsmann von Perikleischer Hoheit war, in treffenden Worten preist.

Schon manche Gelehrte», wie Georg Weber in den Grenzboten 1886 Ur. 6,
haben ihre Gedanken über Geschichte und Geschichtschreibung mitgeteilt, auch Ger-
vinus in seiner Historik. Wegele, der Würzburger Geschichtsprofcssor, soge in seinem
tüchtigen Werke „Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des
Humanismus" auf Seite 1071: „Die Abhandlung Humboldts ist vielleicht das
genialste und treffendste, was seit Lucian*) über diese Frage vorgetragen worden
ist." Damit sind wir völlig einverstanden! Nun ist es aber von großem Interesse
zu hören, daß die Hnnptgednukeu des geistvollen Aussatzes den Unterhaltungen
Wilhelm von Humboldts mit Schiller ihren Ursprung verdanke», denn Humboldt
schreibt in einem Briefe vom 18. März 1822 ein Goethe: „Ich hätte Ihnen schon
längst danken wollen, verehrtester Freund, für Ihre gütigen und freundschaftlichen
Zeilen vom 24. Dezember vorigen Jahres, allein es war immer unterblieben. Jetzt
thue ich es, indem ich Ihnen eine neue Arbeit (liber die Aufgabe des Geschicht¬
schreibers) schicke, die Ihnen sonst nicht zu Gesichte kommen möchte. Es wird Ihnen
vielleicht als eine sonderbare Grille scheinen, die Geschichte gerade mit der Kunst
zu vergleichen. Allein in mir liegt diese Idee schon lange, und sollte nicht müh
wirklich etwas sehr ähnliches in der Darstellung menschlicher Gestalt und mensch-
licher Handlungen liegen? In dem, was ich über die Kunst selbst sage, darf ich
noch eher ans Ihre Übereinstimmung rechnen. Nur wenn die Gestalt von innen
heraus aufgefaßt wird, turn sie wieder in ihrem Ganzen dargestellt werden. Man
vergißt das bei Theorien und Kritiken der Kunst zu oft und will von anßen zu¬
sammensetzen und so, daß die Idee des Ganzen erst nachher hervorgehe, was mir
gerade als der verkehrte Weg erscheint. Was ich über die Historische Wahrheit**)




Wir haben eine andre Meinung über Lucians Abhandlung: Wie soll man Geschichte
schreiben? Diese früher viel bewunderte Schrift des witzigen Samosnten (geb. 125 v. Chr.)
wurde veranlasst durch den im Jahre 16S v. Chr. beendeten Krieg der Römer mit den Parthern
und richtet sich gegen die unberufner Geschichtschreiber, die diesen Krieg nach Art des Herodot
oder Thuichdides zu schreibe» unternahmen, sie enthält nichts, was sich über die alltäglichsten
Gemei»plur,c erhebe, und findet deshalb heute eine kühlere Beurteilung als ehedem. Vergl.
Christs Geschichte der griechischen Litteratur, erste Ausgabe 1889, Seile 546 s. Außerdem sehe
man H. Ulricis Charakteristik der antiken .Historiographie, Berlin, 1838, Seite 30V. DionnsiuS
ssp. ack 1'vini>nulli.in 111 21 hat. Lrüßvr) nennt die Werke des Herodot und Thukydides Poesien
und meint überhaupt, die Geschichte müsse etwas Poetisches haben. Nach seiner Ansicht
hat nur Herodot diesen Gesehen (die für die historische Kunst die Poetik gab) genügt, während
Thukydides dagegen gesündigt hat. H. Ulrici hatte Wilhelm von Humboldt ein Exemplar dieses
Buchs geschickt, darauf bezieht sich ein von M. Carriere in der Allgemeine» Zeitung Ur. 87
den 16. Oktober 1891 ungelenker Brief.
) Für die Leser, die sich noch weiter über die Aufgabe der Geschichtschreibung orientieren
wolle», führe ich an: Studien über die Cmtwukluug der Geschichtswissettschaft von M. Ritter,
Historische Zeitschrift von H. von Sybel, 1. Heft, 1885, über Thukydides, Aristoteles Politik,
über Polybius, über römische Geschichtschreibung, über antike Geschichtsforschung. H. Ulmann
über wissenschaftliche Geschichtsdarstellung in SybelS Zeitschrift, I.Heft, 188S.'Seite 42.
R. Bode: Mnx Duncker, el» Gedenkblatt, Berlin, 1887. Trefflich sind die gcschichtSphilosophischen
Gedanke» in den Gvcnzboten Ur. 26, 1891. Drei Bonner Historiker: Niebuhr, Dcchlmmm,
Loebell, Rektoratsrede, Sybels Historische Zeitschrift, 18. Band, 1867, Seite 283. Th. Mommsen,
Rektoratsrede. Neues Reich Ur. 46, 1874. Pflug-Hartung, Über Geschichtschreibung und Forschung,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/254>, abgerufen am 27.06.2024.