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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Erlebnisse eines achtjährigen Jungen

Diesem lichten Bilde haben tiefe Schatten nicht gefehlt, wie man aus andern
Reden des Libanius gelegentlich erfährt, und daß den Bürgern der alten Welt das
Leben gar so schön und leicht geworden ist, war ja wohl eine der Ursachen des
Untergangs dieser Welt. Aber leben "vollen auch wir, wenn anch nicht in einen,
beständigen Feste, und zum Leben gehört Brot. Eine wachsende Mäulerzahl aber
bedarf einer wachsenden Brvtmeugc, und darum interessiert uns die üppige Fülle,
die noch vor 1690 Jahren diese heute wüste Gegend beglückt hat; diese Gegend
liegt uns bei dem heutigen Zustande der Verkehrsmittel vor der Thür. Daß die
frühere Fruchtbarkeit in einem verheerten und lauge verwahrlosten Lande nicht
wieder hergestellt werden könne, glauben wir nicht. Nur das gute Klima ist ein
an deu Ort gebunducs Naturgescheuk, das dort, wo es nicht Vorhäute" ist, nicht
erzeugt werden kann; Klimaverschlechteruugeu durch Waldverwüstung und Ver¬
besserungen durch Anbau kommen vor, aber warmes und kaltes, Festlands- und
Seeklima kaun Menschenkunst nicht mit einander vertauschen. Der Acker- und Gartcn-
boden dagegen ist ein Erzeugnis des menschlichen Fleißes. Den Sumpf, wie die
babylonische Enphratniederuug ursprünglich einer gewesen ist, verwandelt Entwässe¬
rung in deu nllerfruchtbarstcn Acker, und was sich aus Saud macheu läßt, das
zeigen die Fruchtgärten in der Umgebung märkischer Städte.




(Erlebnisse eines achtjährigen Jungen
^. Der selige Dr. Eckhardt

rei- bis vierundfünfzig Jahre muß es ja uun her sein. Mein Vater
war damals noch Major. Der Stab und zwei Schwadronen des
Regiments, dem er angehörte, lagen in einem freundlichen Proviuz-
städtcheu, auf dessen Marktplatze, gerade dem hochgiebligen alten
Rathause gegenüber, wir mietweise das Hans eines verstorbnen
l)r. mock. Eckhardt bewohnten. Ein sonderbar angelegtes uraltes
Gebäude, das nur erst später mit einem eignen Hause auf der Schulstraße ver¬
tauschen sollte". Von dem Hause am Markte sind mir nur das Erdgeschoß und
der erste Stock erinnerlich; wenn es ein zweites Stockwerk gab, so stand es leer,
denn ich weiß, daß außer uns niemand in dem alte", mir sehr unheimlichen ^ause
wohnte.

Vor meine" Eltern hatte es der bisherige, nnn pensionierte Regimentskom¬
mandeur, ein Junggeselle, allein innegehabt. Um wieviel es für ihn zu groß ge¬
wesen war, bewies der Umstand, daß ihm ein geräumiges saalartiges Gemach auf
dem äußersten linken Flügel des ersten Stocks zu nichts anderen als zur Aufbewah¬
rung seiner auf türlcnkopfartige" Gestelle" prangende" Helme gedient hatte. Es
hieß die Helmstube, und die Tnpeteufarbe war, als ich es zuerst sah, tiefes ge¬
sättigtes Ultramarin, von dem sich in Abstände" vo" vierzig zu vierzig Centimeter"
handtellergroße goldne Sterne abhöbe". Ich bin seitdem weder in der Natur noch
um Kunstprodukten einem gleich opaken und intensiven Blau begegnet. Als ich alt
genng war, mir von Wallenstein und seinem Sterncnzimmer erzählen zu lassen,
wurde mir klar, daß die der Helmstnbcntapetc zu Grunde liegende Idee auf ihn


Erlebnisse eines achtjährigen Jungen

Diesem lichten Bilde haben tiefe Schatten nicht gefehlt, wie man aus andern
Reden des Libanius gelegentlich erfährt, und daß den Bürgern der alten Welt das
Leben gar so schön und leicht geworden ist, war ja wohl eine der Ursachen des
Untergangs dieser Welt. Aber leben »vollen auch wir, wenn anch nicht in einen,
beständigen Feste, und zum Leben gehört Brot. Eine wachsende Mäulerzahl aber
bedarf einer wachsenden Brvtmeugc, und darum interessiert uns die üppige Fülle,
die noch vor 1690 Jahren diese heute wüste Gegend beglückt hat; diese Gegend
liegt uns bei dem heutigen Zustande der Verkehrsmittel vor der Thür. Daß die
frühere Fruchtbarkeit in einem verheerten und lauge verwahrlosten Lande nicht
wieder hergestellt werden könne, glauben wir nicht. Nur das gute Klima ist ein
an deu Ort gebunducs Naturgescheuk, das dort, wo es nicht Vorhäute» ist, nicht
erzeugt werden kann; Klimaverschlechteruugeu durch Waldverwüstung und Ver¬
besserungen durch Anbau kommen vor, aber warmes und kaltes, Festlands- und
Seeklima kaun Menschenkunst nicht mit einander vertauschen. Der Acker- und Gartcn-
boden dagegen ist ein Erzeugnis des menschlichen Fleißes. Den Sumpf, wie die
babylonische Enphratniederuug ursprünglich einer gewesen ist, verwandelt Entwässe¬
rung in deu nllerfruchtbarstcn Acker, und was sich aus Saud macheu läßt, das
zeigen die Fruchtgärten in der Umgebung märkischer Städte.




(Erlebnisse eines achtjährigen Jungen
^. Der selige Dr. Eckhardt

rei- bis vierundfünfzig Jahre muß es ja uun her sein. Mein Vater
war damals noch Major. Der Stab und zwei Schwadronen des
Regiments, dem er angehörte, lagen in einem freundlichen Proviuz-
städtcheu, auf dessen Marktplatze, gerade dem hochgiebligen alten
Rathause gegenüber, wir mietweise das Hans eines verstorbnen
l)r. mock. Eckhardt bewohnten. Ein sonderbar angelegtes uraltes
Gebäude, das nur erst später mit einem eignen Hause auf der Schulstraße ver¬
tauschen sollte». Von dem Hause am Markte sind mir nur das Erdgeschoß und
der erste Stock erinnerlich; wenn es ein zweites Stockwerk gab, so stand es leer,
denn ich weiß, daß außer uns niemand in dem alte», mir sehr unheimlichen ^ause
wohnte.

Vor meine» Eltern hatte es der bisherige, nnn pensionierte Regimentskom¬
mandeur, ein Junggeselle, allein innegehabt. Um wieviel es für ihn zu groß ge¬
wesen war, bewies der Umstand, daß ihm ein geräumiges saalartiges Gemach auf
dem äußersten linken Flügel des ersten Stocks zu nichts anderen als zur Aufbewah¬
rung seiner auf türlcnkopfartige» Gestelle» prangende» Helme gedient hatte. Es
hieß die Helmstube, und die Tnpeteufarbe war, als ich es zuerst sah, tiefes ge¬
sättigtes Ultramarin, von dem sich in Abstände» vo» vierzig zu vierzig Centimeter»
handtellergroße goldne Sterne abhöbe». Ich bin seitdem weder in der Natur noch
um Kunstprodukten einem gleich opaken und intensiven Blau begegnet. Als ich alt
genng war, mir von Wallenstein und seinem Sterncnzimmer erzählen zu lassen,
wurde mir klar, daß die der Helmstnbcntapetc zu Grunde liegende Idee auf ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/240>, abgerufen am 01.07.2024.