Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Antiochia die unser Auge umfließende Mannigfaltigkeit macht, daß wir uns den Hals ver¬ Und Mutter Daphne behält es nicht für sich, sondern die ganze Stadt durch¬ Antiochia die unser Auge umfließende Mannigfaltigkeit macht, daß wir uns den Hals ver¬ Und Mutter Daphne behält es nicht für sich, sondern die ganze Stadt durch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234118"/> <fw type="header" place="top"> Antiochia</fw><lb/> <p xml:id="ID_775" prev="#ID_774"> die unser Auge umfließende Mannigfaltigkeit macht, daß wir uns den Hals ver¬<lb/> renken. Da haben nur den Apollotempel, dort den Zeustempel, hier das alle Augen-<lb/> lust darbietende olympische Stadion, dazu einen Wald hoher Cypressen, Schatten¬<lb/> pfade, Chöre mnsizierender Vogel, lieblichen Lufthauch, süße Wohlgerüche, prächtige<lb/> Gesellschaftsplätze, Blütenzweige, die in die Wohnungen hineinkriechen, von Bädern<lb/> die angenehmste Auswahl! Wahrlich, ruft man unwillkürlich, der gedeckte Tisch<lb/> Siziliens, die Garde» des Alkinoos, das Horn der Amnlthen, ein Sybaritenschmans!<lb/> Und so heilkräftig ist dieser Ort, daß du schon nach kurzem Aufenthalt mit ge¬<lb/> sünderen Aussehen zurückkehrst. Wirst du bei der Ankunft gefragt, wo du dich uun<lb/> am liebsten ergötzen möchtest, so gerätst dn in Verlegenheit, denn ein jedes macht<lb/> hier dem andern den Rang streitig. Sollte es wirklich vorkommen, daß die Götter<lb/> den Himmel verlassen, dann weilen sie gewiß hier nnter uns. Und die alles über¬<lb/> ragende Schönheit der Gegenstände gewährt nicht etwa deswegen, weil ihre Zahl<lb/> klein wäre, mir einen kurzen Genuß, wie es sein würde, wenn man etwa fünf<lb/> Villen, drei Bäder, sieben Gärten und dreihundert Cypressen zählte, sondern die<lb/> Menge und Fülle wetteifert mit der Schönheit, sodaß sich die Stadt vor dieser<lb/> Vorstadt schämen muß, und die Römer erklären, so etwas Schönes finde man nicht<lb/> einmal in Galiläa! Das Allerschönste aber in der Daphne, jn in der ganzen<lb/> Welt (lies nicht weiter, verehrter Studiosus Biermörder, wenn du bis hierher ge¬<lb/> lesen haben solltest!) sind nach meiner Ansicht die Quellen der Daphne. So etwas<lb/> von Wasser in Ansehen und Geschmack bringt die Erde sonst nirgends hervor.<lb/> Hier haben die Nymphen ihre Wohnstätte aufgeschlagen, hier quillt ihre reinste und<lb/> lauterste Spende, von hier aus herrschen sie über die Wasser, wie die Könige von<lb/> ihren Akropolen. Nicht um Berge Jda, glnnbe ich, haben sich die drei großen<lb/> Göttinnen um den Preis der Schönheit beworben, sondern hier, nach einem Bade<lb/> in diesem Wasser. Wer, der hier steht, das Wasser aus deu Röhrenmündungen<lb/> hervorbrechen und an beiden Mauern des Tempels (der über die Quelle gebaut<lb/> war) entlang fließen sieht, würde nicht die Fülle bewundern, von der Schönheit<lb/> getroffen werden, die Gottheit ehren! Wie sollte es ihm nicht Süßigkeit sein, dieses<lb/> Wasser anzufühlen, noch süßer, hineinzntnnchen, am süßesten, es zu trinken? So<lb/> frisch, so durchsichtig, so lieblich, so freundlich dem Menschenleibe ist es.</p><lb/> <p xml:id="ID_776" next="#ID_777"> Und Mutter Daphne behält es nicht für sich, sondern die ganze Stadt durch¬<lb/> strömt es von Hans zu Haus. Das hat viel mühselige Arbeit, viel Gefahr, viel<lb/> von der aus Menschenliebe entsvruugnen Fürsorge unsrer Wohlthäter gekostet; indem<lb/> die Antiochener dem Strom einen bedeckten Weg gebant haben dnrch die Berg¬<lb/> abhänge, hier den Hügel mit einem Hohlweg durchschneidend, dort an den Abhang<lb/> eine Unterlage anmauernd, und wo Klüfte im Wege liegen, ihn über Brücken<lb/> führend, machen sie die Stadt der Spende der Vorstädte teilhaftig. Diese Wasser¬<lb/> versorgung ists, wodurch wir im Wettkampf der Städte gewißlich siegen; möchte<lb/> uns eine in irgend etwas anderen übertreffen, darin müssen uns alle weichen.<lb/> Die sich der Fülle rühmt, die besiegen wir durch die Schönheit, und die der<lb/> Schönheit, die schlagen wir durch die Fülle unsers Wassers. Von den Volksbädern<lb/> schüttet jedes das Maß eines Flusses aus, von deu Privntbädern manches nicht viel<lb/> weniger, und wer ein neues bauen will, den hält nicht die Besorgnis ab, es möchte<lb/> ihm das Wasser fehlen. Jedes Stadtquartier ist rin Privntbädern geziert, die um<lb/> so viel schöner sind, je mehr sie an Größe den öffentlichen nnchstehn, und jedes<lb/> Quartier will, eifersüchtig auf die andern, die schönsten haben. Und so viel Häuser,<lb/> so viel giebts Quellen, ja genau gesprochen, mehr Quellen als Häuser, denn außer<lb/> der Leitung für den Haushalt haben die Handwerker noch eine in der Werkstatt.<lb/> Daher entsteht auch kein Zank um die öffentlichen Brunnen. Anderwärts will jedes<lb/> zuerst schöpfe», und es kommt nicht selten zu Schlägereien. Bei uns fließen die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Antiochia
die unser Auge umfließende Mannigfaltigkeit macht, daß wir uns den Hals ver¬
renken. Da haben nur den Apollotempel, dort den Zeustempel, hier das alle Augen-
lust darbietende olympische Stadion, dazu einen Wald hoher Cypressen, Schatten¬
pfade, Chöre mnsizierender Vogel, lieblichen Lufthauch, süße Wohlgerüche, prächtige
Gesellschaftsplätze, Blütenzweige, die in die Wohnungen hineinkriechen, von Bädern
die angenehmste Auswahl! Wahrlich, ruft man unwillkürlich, der gedeckte Tisch
Siziliens, die Garde» des Alkinoos, das Horn der Amnlthen, ein Sybaritenschmans!
Und so heilkräftig ist dieser Ort, daß du schon nach kurzem Aufenthalt mit ge¬
sünderen Aussehen zurückkehrst. Wirst du bei der Ankunft gefragt, wo du dich uun
am liebsten ergötzen möchtest, so gerätst dn in Verlegenheit, denn ein jedes macht
hier dem andern den Rang streitig. Sollte es wirklich vorkommen, daß die Götter
den Himmel verlassen, dann weilen sie gewiß hier nnter uns. Und die alles über¬
ragende Schönheit der Gegenstände gewährt nicht etwa deswegen, weil ihre Zahl
klein wäre, mir einen kurzen Genuß, wie es sein würde, wenn man etwa fünf
Villen, drei Bäder, sieben Gärten und dreihundert Cypressen zählte, sondern die
Menge und Fülle wetteifert mit der Schönheit, sodaß sich die Stadt vor dieser
Vorstadt schämen muß, und die Römer erklären, so etwas Schönes finde man nicht
einmal in Galiläa! Das Allerschönste aber in der Daphne, jn in der ganzen
Welt (lies nicht weiter, verehrter Studiosus Biermörder, wenn du bis hierher ge¬
lesen haben solltest!) sind nach meiner Ansicht die Quellen der Daphne. So etwas
von Wasser in Ansehen und Geschmack bringt die Erde sonst nirgends hervor.
Hier haben die Nymphen ihre Wohnstätte aufgeschlagen, hier quillt ihre reinste und
lauterste Spende, von hier aus herrschen sie über die Wasser, wie die Könige von
ihren Akropolen. Nicht um Berge Jda, glnnbe ich, haben sich die drei großen
Göttinnen um den Preis der Schönheit beworben, sondern hier, nach einem Bade
in diesem Wasser. Wer, der hier steht, das Wasser aus deu Röhrenmündungen
hervorbrechen und an beiden Mauern des Tempels (der über die Quelle gebaut
war) entlang fließen sieht, würde nicht die Fülle bewundern, von der Schönheit
getroffen werden, die Gottheit ehren! Wie sollte es ihm nicht Süßigkeit sein, dieses
Wasser anzufühlen, noch süßer, hineinzntnnchen, am süßesten, es zu trinken? So
frisch, so durchsichtig, so lieblich, so freundlich dem Menschenleibe ist es.
Und Mutter Daphne behält es nicht für sich, sondern die ganze Stadt durch¬
strömt es von Hans zu Haus. Das hat viel mühselige Arbeit, viel Gefahr, viel
von der aus Menschenliebe entsvruugnen Fürsorge unsrer Wohlthäter gekostet; indem
die Antiochener dem Strom einen bedeckten Weg gebant haben dnrch die Berg¬
abhänge, hier den Hügel mit einem Hohlweg durchschneidend, dort an den Abhang
eine Unterlage anmauernd, und wo Klüfte im Wege liegen, ihn über Brücken
führend, machen sie die Stadt der Spende der Vorstädte teilhaftig. Diese Wasser¬
versorgung ists, wodurch wir im Wettkampf der Städte gewißlich siegen; möchte
uns eine in irgend etwas anderen übertreffen, darin müssen uns alle weichen.
Die sich der Fülle rühmt, die besiegen wir durch die Schönheit, und die der
Schönheit, die schlagen wir durch die Fülle unsers Wassers. Von den Volksbädern
schüttet jedes das Maß eines Flusses aus, von deu Privntbädern manches nicht viel
weniger, und wer ein neues bauen will, den hält nicht die Besorgnis ab, es möchte
ihm das Wasser fehlen. Jedes Stadtquartier ist rin Privntbädern geziert, die um
so viel schöner sind, je mehr sie an Größe den öffentlichen nnchstehn, und jedes
Quartier will, eifersüchtig auf die andern, die schönsten haben. Und so viel Häuser,
so viel giebts Quellen, ja genau gesprochen, mehr Quellen als Häuser, denn außer
der Leitung für den Haushalt haben die Handwerker noch eine in der Werkstatt.
Daher entsteht auch kein Zank um die öffentlichen Brunnen. Anderwärts will jedes
zuerst schöpfe», und es kommt nicht selten zu Schlägereien. Bei uns fließen die
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