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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Antiochia

Frieden mich Hanse gehn. Und von dein Lärm erwacht der Träumende und
denkt: Wie konnte ich so verkehrt von Kindern träumen, denn so etwas thun
doch uur Männer,

Man sieht wohl, hier sind Carlylische Gedankengänge, aber Rnskins Stil
ist ganz anders: als ein schlanker Segler durchschneidet er die Gedankenflut,
während Carlhles Worte wie schwerbeladueS Fuhrwerk über einen Knüppeldamm
rollen. Aber diese Art öffentlicher Vorträge und gemeinverständlicher Schriften,
in denen geistig hoch stehende Männer Menschen aller Art erbauen und zu sich
emporheben (nicht blos; über ihr Fach belehren oder anmutig unterhalten),
haben leider nnr die Engländer. Bei uns glaubt jeder, der ein Urteil über
etwas Gehörtes abgeben soll, seinen Ruf erst mit der Wendung sicherstellen
zu müssen: Etwas neues war es ja uicht, aber --, und hat dabei keinen
Schimmer von Gefühl dafür, wie einfältig und ungebildet das gesprochen ist.


A. P.


Antiochia

>le asiatische Türkei ist dreimal so groß wie das Deutsche Reich, Sie
umfaßt unter anderen dus alte Babylonien, Syrien und Kleinasien,
Die Herrlichkeiten Babylons feiern alle alten Schriftsteller einschlie߬
lich der biblischen Propheten, und sein materieller Wohlstand erklärt
sich leicht ans der mehrfach bezeugten Thatsache, daß der garder-
! mäßig gepflegte Boden zweihnndertfältige Frucht brachte. Das ist
dus zwauzigfachc dessen, was bei uns der rationellste Betrieb ans dem besten Boden
erzeugt! das 1000 Quadratmeilen große Ländchen hätte also ungefähr 80 Millionen
Menschen zu ernähren vermocht. In Syrien und an der Küste Kleinasiens lag
Stadt an Stadt, und Gegenden, durch die man jetzt nicht reisen kann, ohne seinem
Kamel Wasserschläuche aufgeladen zu haben, waren mit Landhäusern besät, denen
weder die Weinkeller noch die Wasserleitung und Badeeinrichtnng fehlten. Dieses
ganze große Land hat heute nur siebzehn und eine halbe Million Einwohner und
enthalt nicht mehr als sechs Städte von 100000 Einwohnern und darüber; die
größte, Smyrnn, hat 200000, Die größte Stadt des römischen Asiens, Antiochien,
schätzt Friedländer ans 800000 bis 1000000 Einwohner (das heutige Antakije
hat 24000), hat aber an Umfang die Reichshauptstadt wahrscheinlich übertroffen,
weil es geräumig angelegt war, und seine Hänser nicht über drei Stockwerke hinaus¬
gingen, während die im Altertum berüchtigten römischen Mietkasernen sieben bis
acht Stockwerke hatten. Von dieser Stadt nun haben wir eine so lebendige und
ausführliche Beschreibung, wie von keiner andern alten Stadt.*) Wir verdanken
sie dem Rhetor Libcmins, den die Verehrer Ibsens als Lehrer Julians**) und die




*) Die antiquarische Beschreibung griechischer Städte, die Pausanius giebt, ist freilich viel
ausführlicher und genauer in topographischer Beziehung; er nennt und beschreibt alle Gebäude
und Kunstwerke, aber das Leben dieser Städte schildert er nicht.
Weder in Konstantinopel noch in Athen ist er das gewesen, sondern in Niiomcdicn,
und nur in der Weise, das; Julian Niederschriften seiner Vortrage taufte, diese zu besuchen
wngte er nicht.
Antiochia

Frieden mich Hanse gehn. Und von dein Lärm erwacht der Träumende und
denkt: Wie konnte ich so verkehrt von Kindern träumen, denn so etwas thun
doch uur Männer,

Man sieht wohl, hier sind Carlylische Gedankengänge, aber Rnskins Stil
ist ganz anders: als ein schlanker Segler durchschneidet er die Gedankenflut,
während Carlhles Worte wie schwerbeladueS Fuhrwerk über einen Knüppeldamm
rollen. Aber diese Art öffentlicher Vorträge und gemeinverständlicher Schriften,
in denen geistig hoch stehende Männer Menschen aller Art erbauen und zu sich
emporheben (nicht blos; über ihr Fach belehren oder anmutig unterhalten),
haben leider nnr die Engländer. Bei uns glaubt jeder, der ein Urteil über
etwas Gehörtes abgeben soll, seinen Ruf erst mit der Wendung sicherstellen
zu müssen: Etwas neues war es ja uicht, aber —, und hat dabei keinen
Schimmer von Gefühl dafür, wie einfältig und ungebildet das gesprochen ist.


A. P.


Antiochia

>le asiatische Türkei ist dreimal so groß wie das Deutsche Reich, Sie
umfaßt unter anderen dus alte Babylonien, Syrien und Kleinasien,
Die Herrlichkeiten Babylons feiern alle alten Schriftsteller einschlie߬
lich der biblischen Propheten, und sein materieller Wohlstand erklärt
sich leicht ans der mehrfach bezeugten Thatsache, daß der garder-
! mäßig gepflegte Boden zweihnndertfältige Frucht brachte. Das ist
dus zwauzigfachc dessen, was bei uns der rationellste Betrieb ans dem besten Boden
erzeugt! das 1000 Quadratmeilen große Ländchen hätte also ungefähr 80 Millionen
Menschen zu ernähren vermocht. In Syrien und an der Küste Kleinasiens lag
Stadt an Stadt, und Gegenden, durch die man jetzt nicht reisen kann, ohne seinem
Kamel Wasserschläuche aufgeladen zu haben, waren mit Landhäusern besät, denen
weder die Weinkeller noch die Wasserleitung und Badeeinrichtnng fehlten. Dieses
ganze große Land hat heute nur siebzehn und eine halbe Million Einwohner und
enthalt nicht mehr als sechs Städte von 100000 Einwohnern und darüber; die
größte, Smyrnn, hat 200000, Die größte Stadt des römischen Asiens, Antiochien,
schätzt Friedländer ans 800000 bis 1000000 Einwohner (das heutige Antakije
hat 24000), hat aber an Umfang die Reichshauptstadt wahrscheinlich übertroffen,
weil es geräumig angelegt war, und seine Hänser nicht über drei Stockwerke hinaus¬
gingen, während die im Altertum berüchtigten römischen Mietkasernen sieben bis
acht Stockwerke hatten. Von dieser Stadt nun haben wir eine so lebendige und
ausführliche Beschreibung, wie von keiner andern alten Stadt.*) Wir verdanken
sie dem Rhetor Libcmins, den die Verehrer Ibsens als Lehrer Julians**) und die




*) Die antiquarische Beschreibung griechischer Städte, die Pausanius giebt, ist freilich viel
ausführlicher und genauer in topographischer Beziehung; er nennt und beschreibt alle Gebäude
und Kunstwerke, aber das Leben dieser Städte schildert er nicht.
Weder in Konstantinopel noch in Athen ist er das gewesen, sondern in Niiomcdicn,
und nur in der Weise, das; Julian Niederschriften seiner Vortrage taufte, diese zu besuchen
wngte er nicht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/232>, abgerufen am 01.07.2024.