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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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möchte, sollte ihn sich und andern vorlesen. Fels im ersten Bündchen seiner
"Wege zur Kunst" giebt ihn mit einigen Abkürzungen ebenfalls, und zwar
richtig an einer wichtigen Stelle, die die Übersetzerin des Dieterichschen Ver¬
lags falsch verstanden hat: "Die Thatsache, daß überhaupt über Kunst ge¬
sprochen wird, beweist, daß es schlecht gethan wird oder nicht gethan werden
kann/' O nein, sie beweist vielmehr, daß dann mit der Kunst selbst etwas
nicht in Ordnung ist, daß sie schlecht oder überhaupt nicht gepflegt wird. Denn
der echte Maler spricht nicht viel von seinen Dingen, und der Vogel stellt
keine Theorien über die Erbauung seines Nestes ans, noch prahlt er damit,
wenn es fertig ist. - Nun ist aber der Redner doch von seinem Publikum
eingeladen, über Kunst zu sprechen. Wenn er ihnen jetzt sagte, Gustav Doreh
Kunst sei schlecht und grauenhaft, würden sie ihm glauben und Dore deshalb
weniger verehren? Wenn er dagegen zu ihnen von Mondschein und Frühlings¬
blumen spräche, von Raffaels Madonnen und Correggws Engeln, und was
sie sonst uoch gern hören möchten, dann könnte er ihnen, so alt er ist, noch
eine Weise auf der Harfe spielen, nach der sie tanzen würden, aber keiner
würde dadurch besser oder weiser werden. So kommt er auf sein eigentliches
Thema, den Zweck der Künste und ihre Lehre für das Leben, und spricht
wundervoll von den Pflichten des Wohlthuns und den falschen Ansprüchen
der "Stellung," die weit über das wirkliche Bedürfnis und den verständlichen
Egoismus des Einzelnen hinausgehn, vou Menschen, die sich immer in ihren
Reden bereit erklären, ihr Kreuz auf sich zu nehmen, als ob das Schlimme
am Kreuz in seinem Gewicht läge, und es nur ein Ding zum Tragen wäre,
von Jünglingen, die mau gebildet nennt, weil man sie springen, rudern und
einen Ball mit einem Schläger treffen gelehrt hat, was auch uns heute
einigermaßen angeht. Dieser Hnnptteil von den notwendigen Werken des
Lebens ist nnr kurz; Nuskiu hat an andern Stellen viel ausführlicher davon
gesprochen, In diesem Vortrag geht ihm eine lange, wohl uoch schönere Ein¬
leitung vorauf, worin verschiedne Klassen von Menschen um ihre Meinung
über das Jenseits und den Zweck unsers Lebens befragt werden, die Weisen,
die Dichter und zuletzt auch die "Praktischen," Über diese giebt er einmal
einen Traum gehabt zu haben vor. Eine Menge Kinder find in ein schönes
Schloß geladen, wo sie essen und trinken, in Zimmer" und Gärten spielen,
dann aber in Streit geraten und schließlich den größten Teil dieser Herrlich¬
keiten zu ihrem eignen Kummer und Verdruß zerstören. So ziehn auch einige
die blanken Nägel, mit denen die Möbel beschlagen sind, heraus, andre folgen
ihnen, und als einer der "ganz praktischen" Jungen erklärthat, es komme an
diesem Nachmittag nur darauf an, wieviel Nägel jemand habe, und alles andre,
womit man sich vergnügen könne, habe keinen andern Wert, als daß man
dafür Messingnägcl eintauschen könnte, da machen sich alle an das Heraus-
ziehn der Nägel, und obwohl sie wissen, daß keiner auch nur einen einzigen
Messingliwpf mitnehmen darf, zanken und prügeln sie sich um die Nägel: Wer
hat die meisten? Ehe ich uicht so viele habe wie du, kann ich unmöglich in


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möchte, sollte ihn sich und andern vorlesen. Fels im ersten Bündchen seiner
„Wege zur Kunst" giebt ihn mit einigen Abkürzungen ebenfalls, und zwar
richtig an einer wichtigen Stelle, die die Übersetzerin des Dieterichschen Ver¬
lags falsch verstanden hat: „Die Thatsache, daß überhaupt über Kunst ge¬
sprochen wird, beweist, daß es schlecht gethan wird oder nicht gethan werden
kann/' O nein, sie beweist vielmehr, daß dann mit der Kunst selbst etwas
nicht in Ordnung ist, daß sie schlecht oder überhaupt nicht gepflegt wird. Denn
der echte Maler spricht nicht viel von seinen Dingen, und der Vogel stellt
keine Theorien über die Erbauung seines Nestes ans, noch prahlt er damit,
wenn es fertig ist. - Nun ist aber der Redner doch von seinem Publikum
eingeladen, über Kunst zu sprechen. Wenn er ihnen jetzt sagte, Gustav Doreh
Kunst sei schlecht und grauenhaft, würden sie ihm glauben und Dore deshalb
weniger verehren? Wenn er dagegen zu ihnen von Mondschein und Frühlings¬
blumen spräche, von Raffaels Madonnen und Correggws Engeln, und was
sie sonst uoch gern hören möchten, dann könnte er ihnen, so alt er ist, noch
eine Weise auf der Harfe spielen, nach der sie tanzen würden, aber keiner
würde dadurch besser oder weiser werden. So kommt er auf sein eigentliches
Thema, den Zweck der Künste und ihre Lehre für das Leben, und spricht
wundervoll von den Pflichten des Wohlthuns und den falschen Ansprüchen
der „Stellung," die weit über das wirkliche Bedürfnis und den verständlichen
Egoismus des Einzelnen hinausgehn, vou Menschen, die sich immer in ihren
Reden bereit erklären, ihr Kreuz auf sich zu nehmen, als ob das Schlimme
am Kreuz in seinem Gewicht läge, und es nur ein Ding zum Tragen wäre,
von Jünglingen, die mau gebildet nennt, weil man sie springen, rudern und
einen Ball mit einem Schläger treffen gelehrt hat, was auch uns heute
einigermaßen angeht. Dieser Hnnptteil von den notwendigen Werken des
Lebens ist nnr kurz; Nuskiu hat an andern Stellen viel ausführlicher davon
gesprochen, In diesem Vortrag geht ihm eine lange, wohl uoch schönere Ein¬
leitung vorauf, worin verschiedne Klassen von Menschen um ihre Meinung
über das Jenseits und den Zweck unsers Lebens befragt werden, die Weisen,
die Dichter und zuletzt auch die „Praktischen," Über diese giebt er einmal
einen Traum gehabt zu haben vor. Eine Menge Kinder find in ein schönes
Schloß geladen, wo sie essen und trinken, in Zimmer» und Gärten spielen,
dann aber in Streit geraten und schließlich den größten Teil dieser Herrlich¬
keiten zu ihrem eignen Kummer und Verdruß zerstören. So ziehn auch einige
die blanken Nägel, mit denen die Möbel beschlagen sind, heraus, andre folgen
ihnen, und als einer der „ganz praktischen" Jungen erklärthat, es komme an
diesem Nachmittag nur darauf an, wieviel Nägel jemand habe, und alles andre,
womit man sich vergnügen könne, habe keinen andern Wert, als daß man
dafür Messingnägcl eintauschen könnte, da machen sich alle an das Heraus-
ziehn der Nägel, und obwohl sie wissen, daß keiner auch nur einen einzigen
Messingliwpf mitnehmen darf, zanken und prügeln sie sich um die Nägel: Wer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/231>, abgerufen am 01.07.2024.