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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Lino Ergänzung zu"i allgüineinen Wahlrecht

Gesetzgebung, Militär, Justiz und was alles gedruckt wird, ist in der Form
freilich nicht so rabiat, wie die Ergüsse der sozialdemokratischen Presse vor dein
Sozialistengesetz, aber daß es weniger zersetzend ans das Baterlandsgefühl wirke,
wird man schwerlich behaupten können. Die Vorstellung eines Kampfes
zwischen Regierung und Volk war der alten Fortschrittspartei geläufig, und
ist es jetzt deu demokratischen Parteien in allen Schattierungen, nur hat die
Sozialdemokratie zur Regierung die "Kapitalisten" gefügt. Die "Regierung"
will das Volk unterdrücken, das "Volk" hat dagegen zu kämpfen, die "Ne¬
gierung" will möglichst viel Steuern, Soldaten usw., das "Volt" darf sich
nicht ausbeuten lasfei?, die Steuern "fließen in die Taschen der Regierung" ufm,
Es ließe sich mit Leichtigkeit eine reiche Sammlung von Phrasen - - und nicht
bloß aus den kleinern Blättern zusammenstellen, bei denen sich die Leser
nichts Verständiges denke" können und anch meistenteils überhaupt nichts
Rechtes denken, die aber das Gefühl eines Kriegsznstcmds mit der Regierung
mach erhalten. Solche Auffassung muß aber das Stellnngnehmen zur Politik
ungünstig beeinflusse". Wer von vornherein gewohnt ist, nicht zu fragen!
Was nützt die Maßregel dein Reich oder dem Staat? sondern statt dessen:
Welches Interesse hat die Regierung daran? Welchen Schaden hat das "Volk"
davon? dem wird es schwer fallen, zu einem sachlichen und richtigen Urteil
z" kommen.

Der Weg zum Verständnis und zur Verständigung ist auf diese Weise
verbaut; und bis zu welchem Grade das sich geltend machen und auch die
Abgeordneten beeinflussen kann, dafür fehlt es ja nicht an Beispielen ans
neuster Zeit. Presse und sonstige Agitation sind imstande, beabsichtigt oder
unbeabsichtigt, die große Menge über Zweck und Wesen einer Maßregel völlig
irre zu führen, ohne daß die Regierung dagegen -aufkommen kann. Es fehlt
ihr eben fast ganz die Möglichkeit, sich mit dem Volke direkt in Beziehung
zu setze". Und doch hat das Volk, als Gesamtheit der Wähler, die ihre Ver¬
treter schicken, um an der Regierung teilzunehmen, el" großes Interesse daran,
z" wissen, was die Regierung will, lind hat deshalb ein Recht, Aufklärung
zu fordern; und die Regierung hat ein Interesse daran, daß das Volk erfahrt,
was sie für das Reich als notwendig erachtet, und hat deshalb die Pflicht,
ihre Absichten so kundzuthun, daß jeder Bürger wenigstens die Möglichkeit hat,
sie kennen zu lernen.

Es fragt sich, wie sich das machen läßt. Daß offiziöse Artikel, die in
die Zeitungen lanciert werden, diesen Zweck nicht erfüllen, ist klar; ebensowenig
würden es Publikationen im Reichsanzeiger thun, Öffentliche Anschläge würden
in den größern Städten nicht ungelesen bleiben, aber doch nur flüchtig beachtet
werden, für das Land wären sie gar nicht anwendbar. Was aber jeder liest,
der sich auch nur oberflächlich um Politik bekümmert, ist seine Zeitung. Die
Zeitungen sind deswegen der Regierung -- um diesen kurzen und verständlichen
Ausdruck beizubehalten -- zugänglich zu machen, und darum scheint mir el"
Gesetz etwa in folgender Fassung erforderlich zu sein:


Lino Ergänzung zu»i allgüineinen Wahlrecht

Gesetzgebung, Militär, Justiz und was alles gedruckt wird, ist in der Form
freilich nicht so rabiat, wie die Ergüsse der sozialdemokratischen Presse vor dein
Sozialistengesetz, aber daß es weniger zersetzend ans das Baterlandsgefühl wirke,
wird man schwerlich behaupten können. Die Vorstellung eines Kampfes
zwischen Regierung und Volk war der alten Fortschrittspartei geläufig, und
ist es jetzt deu demokratischen Parteien in allen Schattierungen, nur hat die
Sozialdemokratie zur Regierung die „Kapitalisten" gefügt. Die „Regierung"
will das Volk unterdrücken, das „Volk" hat dagegen zu kämpfen, die „Ne¬
gierung" will möglichst viel Steuern, Soldaten usw., das „Volt" darf sich
nicht ausbeuten lasfei?, die Steuern „fließen in die Taschen der Regierung" ufm,
Es ließe sich mit Leichtigkeit eine reiche Sammlung von Phrasen - - und nicht
bloß aus den kleinern Blättern zusammenstellen, bei denen sich die Leser
nichts Verständiges denke» können und anch meistenteils überhaupt nichts
Rechtes denken, die aber das Gefühl eines Kriegsznstcmds mit der Regierung
mach erhalten. Solche Auffassung muß aber das Stellnngnehmen zur Politik
ungünstig beeinflusse». Wer von vornherein gewohnt ist, nicht zu fragen!
Was nützt die Maßregel dein Reich oder dem Staat? sondern statt dessen:
Welches Interesse hat die Regierung daran? Welchen Schaden hat das „Volk"
davon? dem wird es schwer fallen, zu einem sachlichen und richtigen Urteil
z» kommen.

Der Weg zum Verständnis und zur Verständigung ist auf diese Weise
verbaut; und bis zu welchem Grade das sich geltend machen und auch die
Abgeordneten beeinflussen kann, dafür fehlt es ja nicht an Beispielen ans
neuster Zeit. Presse und sonstige Agitation sind imstande, beabsichtigt oder
unbeabsichtigt, die große Menge über Zweck und Wesen einer Maßregel völlig
irre zu führen, ohne daß die Regierung dagegen -aufkommen kann. Es fehlt
ihr eben fast ganz die Möglichkeit, sich mit dem Volke direkt in Beziehung
zu setze». Und doch hat das Volk, als Gesamtheit der Wähler, die ihre Ver¬
treter schicken, um an der Regierung teilzunehmen, el» großes Interesse daran,
z» wissen, was die Regierung will, lind hat deshalb ein Recht, Aufklärung
zu fordern; und die Regierung hat ein Interesse daran, daß das Volk erfahrt,
was sie für das Reich als notwendig erachtet, und hat deshalb die Pflicht,
ihre Absichten so kundzuthun, daß jeder Bürger wenigstens die Möglichkeit hat,
sie kennen zu lernen.

Es fragt sich, wie sich das machen läßt. Daß offiziöse Artikel, die in
die Zeitungen lanciert werden, diesen Zweck nicht erfüllen, ist klar; ebensowenig
würden es Publikationen im Reichsanzeiger thun, Öffentliche Anschläge würden
in den größern Städten nicht ungelesen bleiben, aber doch nur flüchtig beachtet
werden, für das Land wären sie gar nicht anwendbar. Was aber jeder liest,
der sich auch nur oberflächlich um Politik bekümmert, ist seine Zeitung. Die
Zeitungen sind deswegen der Regierung — um diesen kurzen und verständlichen
Ausdruck beizubehalten — zugänglich zu machen, und darum scheint mir el»
Gesetz etwa in folgender Fassung erforderlich zu sein:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/224>, abgerufen am 01.07.2024.