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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre

oder in Vollmar und Knutsky wirklich die zuverlässigen Feldherren sehen, durch
die sie ihrem Liberalismus zum Siege verhelfen können? "Wadenstrümpflern"
die Kastanien aus dem Feuer zu holen, dazu sind die "Genossen" denn doch
viel zu klug und viel zu machtbewußt. Auch wenn man einen stürmische,,
Entrüstungsrummel gegen den "Brotwucher," der inszeniert werden soll, als
durch die Anmaßung der Agrarier provoziert entschuldigen könnte, so wird
man die Verhetzung der Masse, worin er natürlich hauptsächlich bestehn wird,
und weshalb er den "Genossen" von Wert sein könnte, immer aufs tiefste be¬
klagen müssen. Auch die parlamentarische Obstrnttion, die, wie es scheint,
immer ernsthafter ins Auge gefaßt wird, wäre sehr vom Übel, Die "Freie
Bereinigung" und der ganze bürgerliche Liberalismus würden schwere Ver¬
antwortung auf sich laden, wenn sie frivol den Sozialdemokraten die Hand
dazu böten, obgleich mit allein Nachdruck darauf hingewiesen werden muß,
daß der schwerste Vorwurf die Mehrheitsparteieu treffen würde, wenn sie den
Sonderinteressen einer Minderheit des Volks, der landwirtschaftlichen Grund¬
besitzer, dienstbar, durch übermäßig hohe Zölle die Handelsvcrtragspolitik
zu vereiteln suchten und thatsächlich der Masse der Nichtbesitzenden die not¬
wendigste Nahrung verteuerten. Was ehrlich konservativ denkt, und vor allein
die Vertreter der Regierung werden alles aufbieten müssen, eine solche Heraus¬
forderung der Minderheit zu verhindern. Eine Änderung der Geschäftsordnung
zur Lähmung der Minderheit "et lloo, das heißt, um den agrarischen An¬
sprüchen bequem zum Siege zu verhelfen, würde daran wenig ändern, sie würde
erst recht verbittern und die Konservativen ins Unrecht setzen. Auch in dieser
Beziehung ist die Aufgabe des Grafen Btilow sehr schwer und sehr verant¬
wortlich.

Jeder Gedanke an die Befähigung der radikalen Linken zur Regierungs
Partei ist in dem monarchischen Preußen und im Reich mit seinen vielen
Monarchen ohne weiteres Unsinn. So wenig der Igel sich zum Pferde heraus¬
mausern kann, so wenig mausert sich die Sozialdemokratie als Partei zum
Träger der deutschen Reichspolitik im zwanzigsten Jahrhundert heraus. Wo
ist also, so fragen nur nochmals, die zuverlässige Mehrheit, die die "Freie
Vereinigung" im Bunde mit der Sozialdemokratie den Verbündeten Regierungen
zur Durchführung einer liberalen Handelspolitik gegen die Agrarier auch nur
von weitem in Aussicht stellen könnte? Graf Bülow muß die deutsche" Land¬
wirte für seine Politik zu gewinnen suchen, er muß hoffen und alles daran
setzen, den Bann zu brechen, in den sie eine zwanzigjährige beispiellos schwere
Krisis und eine fast ebenso lange und unerhört mächtige, geschickte und skrupel¬
lose Agitation geschlagen hat. Wer unsre Landwirte kennt, wird zugeben, daß
die Aussicht auf Erfolg dabei mehr als tausendmal größer ist, als die, die
Sozialdemokratie zur Regierungspartei zu machen. Wenn sich jetzt die Freunde
einer liberalen Handelspolitik in Handel und Industrie zur Abwehr der agra¬
rischen Übertreibungen und der Herrschsucht der industriellen Hochschutzzöllner
in dem sogenannten "Handelsvertragsverein" zusammenschließen "vollen, so kann


Die Handelspolitik im Jahre

oder in Vollmar und Knutsky wirklich die zuverlässigen Feldherren sehen, durch
die sie ihrem Liberalismus zum Siege verhelfen können? „Wadenstrümpflern"
die Kastanien aus dem Feuer zu holen, dazu sind die „Genossen" denn doch
viel zu klug und viel zu machtbewußt. Auch wenn man einen stürmische,,
Entrüstungsrummel gegen den „Brotwucher," der inszeniert werden soll, als
durch die Anmaßung der Agrarier provoziert entschuldigen könnte, so wird
man die Verhetzung der Masse, worin er natürlich hauptsächlich bestehn wird,
und weshalb er den „Genossen" von Wert sein könnte, immer aufs tiefste be¬
klagen müssen. Auch die parlamentarische Obstrnttion, die, wie es scheint,
immer ernsthafter ins Auge gefaßt wird, wäre sehr vom Übel, Die „Freie
Bereinigung" und der ganze bürgerliche Liberalismus würden schwere Ver¬
antwortung auf sich laden, wenn sie frivol den Sozialdemokraten die Hand
dazu böten, obgleich mit allein Nachdruck darauf hingewiesen werden muß,
daß der schwerste Vorwurf die Mehrheitsparteieu treffen würde, wenn sie den
Sonderinteressen einer Minderheit des Volks, der landwirtschaftlichen Grund¬
besitzer, dienstbar, durch übermäßig hohe Zölle die Handelsvcrtragspolitik
zu vereiteln suchten und thatsächlich der Masse der Nichtbesitzenden die not¬
wendigste Nahrung verteuerten. Was ehrlich konservativ denkt, und vor allein
die Vertreter der Regierung werden alles aufbieten müssen, eine solche Heraus¬
forderung der Minderheit zu verhindern. Eine Änderung der Geschäftsordnung
zur Lähmung der Minderheit »et lloo, das heißt, um den agrarischen An¬
sprüchen bequem zum Siege zu verhelfen, würde daran wenig ändern, sie würde
erst recht verbittern und die Konservativen ins Unrecht setzen. Auch in dieser
Beziehung ist die Aufgabe des Grafen Btilow sehr schwer und sehr verant¬
wortlich.

Jeder Gedanke an die Befähigung der radikalen Linken zur Regierungs
Partei ist in dem monarchischen Preußen und im Reich mit seinen vielen
Monarchen ohne weiteres Unsinn. So wenig der Igel sich zum Pferde heraus¬
mausern kann, so wenig mausert sich die Sozialdemokratie als Partei zum
Träger der deutschen Reichspolitik im zwanzigsten Jahrhundert heraus. Wo
ist also, so fragen nur nochmals, die zuverlässige Mehrheit, die die „Freie
Vereinigung" im Bunde mit der Sozialdemokratie den Verbündeten Regierungen
zur Durchführung einer liberalen Handelspolitik gegen die Agrarier auch nur
von weitem in Aussicht stellen könnte? Graf Bülow muß die deutsche» Land¬
wirte für seine Politik zu gewinnen suchen, er muß hoffen und alles daran
setzen, den Bann zu brechen, in den sie eine zwanzigjährige beispiellos schwere
Krisis und eine fast ebenso lange und unerhört mächtige, geschickte und skrupel¬
lose Agitation geschlagen hat. Wer unsre Landwirte kennt, wird zugeben, daß
die Aussicht auf Erfolg dabei mehr als tausendmal größer ist, als die, die
Sozialdemokratie zur Regierungspartei zu machen. Wenn sich jetzt die Freunde
einer liberalen Handelspolitik in Handel und Industrie zur Abwehr der agra¬
rischen Übertreibungen und der Herrschsucht der industriellen Hochschutzzöllner
in dem sogenannten „Handelsvertragsverein" zusammenschließen »vollen, so kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/213>, abgerufen am 01.07.2024.