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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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er hoffen könnte, daß sie sich zur rechte" Zeit gegen "Junkertum und Hoch¬
schutzzoll" zur Mehrheit auswachsen könnte? Ganz gewiß darf er sie nicht
zu finden hoffen in dem wunderlichen Bündnis der spärlichen Reste der alte"
Manchesterorthodoxie und des bürgerliche" Radikalismus mit den Sozialdemo ^
traten, um das die "Nation" die Herren Bebel, Singer, Schippel und Ge¬
nossen neuerdings fast kniefällig bittet. Auch abgesehen von der fraglichen
Qualifikation der deutschen Sozialdemokratie zur deutschen Regierungspartei --
wie ist es denn vorläufig um ihre Aussichten auf die Mehrheit in der Wühler¬
schaft und im Reichstag bestellt? Mögen die sozialdemokratischen Führer den
Arbeitermassen immer wieder vorreden, eigentlich hätten sie schon die Majorität
im Volk, die Herren Barth und Brömel, Nösickc und Siemers sollten sich
das doch nicht auch vorreden! Die Macht der "Junker und Bauern" im
Osten und Norden, der Einfluß der "Pfaffen" und der "Schlotbarone" im
Süden ""d Westen, die Anhängerschaft der Mittelstandspvlitiker und der
Antisemiten in den Städten, sie bilden zusammen noch immer einen Heer¬
bann, gegen den die radikale Linke, wenn es zur Entscheidung kommt, die
Industriearbeiter uoch lange nicht zum Siege in der Wahlschlacht führen wird.
Es könnte gar nichts dümmeres geben, als wenn sich die sonst so klugen
Herren freihändlerischen "Kommerzienräte" und ihre volkswirtschaftlichen Be¬
rater einbildeten, durch das Aufgebot der Sozialdemokratie den handelspoli¬
tischen Entscheidungen des Jahres 1901 eine liberale Richtung geben zu
können.

Freilich die "Nation" wird darin wieder nur die Scheu sehen, "zu er¬
kennen und zu bekennen, daß in dem einen, was not thut, die Niederzwingung
des agrarischen Junkertums und der gescheitelten wie der geschornen Orthodoxie
alle Kinder der modernen Welt ohne jede Ausnahme natürliche Bundesgenossen
sind," und sie wird unser Lachen über solche Phrasen als "blinden Wahn einer
schier abergläubischen Furcht vor dem roten Gespenst" erkläre". Wir sind sehr weit
entfernt von dieser Gespensterfurcht, wenn wir auch die zunehmende Verhetzung
der Arbeitermassen durch die Sozialdemokraten und ihre malkontente" jüdische"
Gönner in den Großstädten nachgerade für unerträglich halten. Nicht die
Furcht vor dem roten Gespenst, sondern die Furcht davor, daß die Kurzsichtig¬
keit und das Ungeschick der politischen Führer, die den deutschen Liberalismus
seit Jahrzehnten immer mehr um allen Respekt beim Volk wie bei den Regie¬
rungen gebracht hat, auch in der ernsten handelspolitischen Kampagne, die jetzt
beginnt, der Reaktion mehr nützen als schaden werde, veranlaßt uns, die libe¬
ralen Freunde der Handelsvertragspolitik vor dein Wettkriechen um die Gunst
der Sozialdemokratie zu warnen. Dem flehenden Rufe: "schläfst du, Brutus?"
gegenüber, mit dem die "Nation" jüngst die Sozialdemokraten apostrophierte,
nimmt sich das Verhalten der "Genossen" geradezu vornehm aus. Sie trauen
den Offizieren ohne Armee, die sich in der "freien Vereinigung" ihrer selbst
gefälligen, beredsamen Ohnmacht freuen, nicht über den Weg; sie wollen ihre
Armee nicht.werden. Und ob wohl Barth und Brömel i" Bebel und Singer


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er hoffen könnte, daß sie sich zur rechte» Zeit gegen „Junkertum und Hoch¬
schutzzoll" zur Mehrheit auswachsen könnte? Ganz gewiß darf er sie nicht
zu finden hoffen in dem wunderlichen Bündnis der spärlichen Reste der alte»
Manchesterorthodoxie und des bürgerliche» Radikalismus mit den Sozialdemo ^
traten, um das die „Nation" die Herren Bebel, Singer, Schippel und Ge¬
nossen neuerdings fast kniefällig bittet. Auch abgesehen von der fraglichen
Qualifikation der deutschen Sozialdemokratie zur deutschen Regierungspartei —
wie ist es denn vorläufig um ihre Aussichten auf die Mehrheit in der Wühler¬
schaft und im Reichstag bestellt? Mögen die sozialdemokratischen Führer den
Arbeitermassen immer wieder vorreden, eigentlich hätten sie schon die Majorität
im Volk, die Herren Barth und Brömel, Nösickc und Siemers sollten sich
das doch nicht auch vorreden! Die Macht der „Junker und Bauern" im
Osten und Norden, der Einfluß der „Pfaffen" und der „Schlotbarone" im
Süden »»d Westen, die Anhängerschaft der Mittelstandspvlitiker und der
Antisemiten in den Städten, sie bilden zusammen noch immer einen Heer¬
bann, gegen den die radikale Linke, wenn es zur Entscheidung kommt, die
Industriearbeiter uoch lange nicht zum Siege in der Wahlschlacht führen wird.
Es könnte gar nichts dümmeres geben, als wenn sich die sonst so klugen
Herren freihändlerischen „Kommerzienräte" und ihre volkswirtschaftlichen Be¬
rater einbildeten, durch das Aufgebot der Sozialdemokratie den handelspoli¬
tischen Entscheidungen des Jahres 1901 eine liberale Richtung geben zu
können.

Freilich die „Nation" wird darin wieder nur die Scheu sehen, „zu er¬
kennen und zu bekennen, daß in dem einen, was not thut, die Niederzwingung
des agrarischen Junkertums und der gescheitelten wie der geschornen Orthodoxie
alle Kinder der modernen Welt ohne jede Ausnahme natürliche Bundesgenossen
sind," und sie wird unser Lachen über solche Phrasen als „blinden Wahn einer
schier abergläubischen Furcht vor dem roten Gespenst" erkläre». Wir sind sehr weit
entfernt von dieser Gespensterfurcht, wenn wir auch die zunehmende Verhetzung
der Arbeitermassen durch die Sozialdemokraten und ihre malkontente» jüdische»
Gönner in den Großstädten nachgerade für unerträglich halten. Nicht die
Furcht vor dem roten Gespenst, sondern die Furcht davor, daß die Kurzsichtig¬
keit und das Ungeschick der politischen Führer, die den deutschen Liberalismus
seit Jahrzehnten immer mehr um allen Respekt beim Volk wie bei den Regie¬
rungen gebracht hat, auch in der ernsten handelspolitischen Kampagne, die jetzt
beginnt, der Reaktion mehr nützen als schaden werde, veranlaßt uns, die libe¬
ralen Freunde der Handelsvertragspolitik vor dein Wettkriechen um die Gunst
der Sozialdemokratie zu warnen. Dem flehenden Rufe: „schläfst du, Brutus?"
gegenüber, mit dem die „Nation" jüngst die Sozialdemokraten apostrophierte,
nimmt sich das Verhalten der „Genossen" geradezu vornehm aus. Sie trauen
den Offizieren ohne Armee, die sich in der „freien Vereinigung" ihrer selbst
gefälligen, beredsamen Ohnmacht freuen, nicht über den Weg; sie wollen ihre
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[0212] ?!>> kjcmdclspolitik um Zähre er hoffen könnte, daß sie sich zur rechte» Zeit gegen „Junkertum und Hoch¬ schutzzoll" zur Mehrheit auswachsen könnte? Ganz gewiß darf er sie nicht zu finden hoffen in dem wunderlichen Bündnis der spärlichen Reste der alte» Manchesterorthodoxie und des bürgerliche» Radikalismus mit den Sozialdemo ^ traten, um das die „Nation" die Herren Bebel, Singer, Schippel und Ge¬ nossen neuerdings fast kniefällig bittet. Auch abgesehen von der fraglichen Qualifikation der deutschen Sozialdemokratie zur deutschen Regierungspartei — wie ist es denn vorläufig um ihre Aussichten auf die Mehrheit in der Wühler¬ schaft und im Reichstag bestellt? Mögen die sozialdemokratischen Führer den Arbeitermassen immer wieder vorreden, eigentlich hätten sie schon die Majorität im Volk, die Herren Barth und Brömel, Nösickc und Siemers sollten sich das doch nicht auch vorreden! Die Macht der „Junker und Bauern" im Osten und Norden, der Einfluß der „Pfaffen" und der „Schlotbarone" im Süden »»d Westen, die Anhängerschaft der Mittelstandspvlitiker und der Antisemiten in den Städten, sie bilden zusammen noch immer einen Heer¬ bann, gegen den die radikale Linke, wenn es zur Entscheidung kommt, die Industriearbeiter uoch lange nicht zum Siege in der Wahlschlacht führen wird. Es könnte gar nichts dümmeres geben, als wenn sich die sonst so klugen Herren freihändlerischen „Kommerzienräte" und ihre volkswirtschaftlichen Be¬ rater einbildeten, durch das Aufgebot der Sozialdemokratie den handelspoli¬ tischen Entscheidungen des Jahres 1901 eine liberale Richtung geben zu können. Freilich die „Nation" wird darin wieder nur die Scheu sehen, „zu er¬ kennen und zu bekennen, daß in dem einen, was not thut, die Niederzwingung des agrarischen Junkertums und der gescheitelten wie der geschornen Orthodoxie alle Kinder der modernen Welt ohne jede Ausnahme natürliche Bundesgenossen sind," und sie wird unser Lachen über solche Phrasen als „blinden Wahn einer schier abergläubischen Furcht vor dem roten Gespenst" erkläre». Wir sind sehr weit entfernt von dieser Gespensterfurcht, wenn wir auch die zunehmende Verhetzung der Arbeitermassen durch die Sozialdemokraten und ihre malkontente» jüdische» Gönner in den Großstädten nachgerade für unerträglich halten. Nicht die Furcht vor dem roten Gespenst, sondern die Furcht davor, daß die Kurzsichtig¬ keit und das Ungeschick der politischen Führer, die den deutschen Liberalismus seit Jahrzehnten immer mehr um allen Respekt beim Volk wie bei den Regie¬ rungen gebracht hat, auch in der ernsten handelspolitischen Kampagne, die jetzt beginnt, der Reaktion mehr nützen als schaden werde, veranlaßt uns, die libe¬ ralen Freunde der Handelsvertragspolitik vor dein Wettkriechen um die Gunst der Sozialdemokratie zu warnen. Dem flehenden Rufe: „schläfst du, Brutus?" gegenüber, mit dem die „Nation" jüngst die Sozialdemokraten apostrophierte, nimmt sich das Verhalten der „Genossen" geradezu vornehm aus. Sie trauen den Offizieren ohne Armee, die sich in der „freien Vereinigung" ihrer selbst gefälligen, beredsamen Ohnmacht freuen, nicht über den Weg; sie wollen ihre Armee nicht.werden. Und ob wohl Barth und Brömel i» Bebel und Singer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/212>, abgerufen am 01.07.2024.