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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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aufgegeben war und in den neunziger Jahren erfolgreich wieder aufgenommen
worden ist. Klar war uns dabei von vornherein der Zwiespalt zwischen dieser
Weltpolitik des Deutschen Reichs und der handelspolitischen Isolierung im
Sinne der agrarischen Bestrebungen, die die innere politische Lage vorwiegend
beeinflussen, Ihnen ist die Politik des größern Deutschlands, von der jetzt
überhaupt die Rede sein kann, in jeder Form zuwider: ebenso in der Form
friedlicher Ausdehnung und Sicherung unsrer Erwerbssphäre im Ausland, wie
in der Form einer wirtschaftlich wirkungsvollen Eroberungspolitik, Anawlien
und Argentinien als Kornkammern im politischen Besitz des Deutschen Reichs
scheinen für sie der schrecklichste der Schrecken zu sein, und ob die Kaumtvolle,
die wir brauchen, in deutschen oder fremden Kolonien wächst, scheint ihnen
höchst gleichgiltig zu sein. Nur die laudwirtschnftliche Produktion Deutschlands
soll auf dem deutschen Markte möglichst konkurrenzlos werden und bleiben. Wir
halten diese Politik für falsch, denn das nationale Interesse verlangt gebieterisch
die Erweiterung unsrer Erwerbssphäre, Dazu kommt das friedliche Mittel der
Handelsvertragspolitik zuerst in Betracht. Die ulliirm ratio rsguin ist eben
ultiirm rMo. Die agrarischen Absperrungsgelüste stören den Abschluß von
Handelsverträgen, wie wir sie brauchen, und wollen ihn stören. Vor allem
durch hohe Minimalsätze im Generaltarif, Dadurch wird der deutschen Land-
wirtschaft auf die Dauer nicht geholfen, vielleicht sogar geschadet werden, weil
die Güterpreise noch mehr nur zu "fiktiven" Werten werden, und die hohen
Zölle, die sie künstlich halten und treiben sollen, wohl doch über kurz oder lang
fallen müssen. Bei aller Anerkennung der großen politischen und sozialen
Bedeutung, die die Landwirtschaft für die Nation hat, und der Berechtigung
genügender Notstandszölle für sie glauben wir deshalb, daß die agrarischen
Absperrungsabsichten dem Gemeinwohl widersprechen, und daß das Übergewicht
des agrarischen Einflusses in den Parlamenten und in gewissen Regierungs-
kreisen beklagt werden muß. Die verantwortlichen Leiter der Reichspolitik
müssen den irrigen Anschauungen der dentschen Landwirte fest entgegentreten,
nur dadurch können unsre ungesunden Parteiverhältnisse geheilt werden. Je
mehr man wünschen muß, daß den deutschen Landwirten ihr politischer Einfluß
erhalten wird, um so dringender ist es geboten, die falschen agrarischen Partei
tendenzen zu bekämpfen. Dazu gehört aber ebenso sehr offne, unbeugsame und
unnahbare Festigkeit wie weise Mäßigung und Geduld, Für die Weltpolitik,
zu der wir gezwungen sind, braucht die Regierung eine zuverlässige, Verständnis
volle Mehrheit im Reichstag und im Volke, Die hat sie jetzt nicht, und ohne
die Landwirte kann sie sie nun einmal auch in absehbarer Zeit nicht bekommen.
Das sollte man bei der Beurteilung des Verhaltens des Grafen Bülow in
den gegenwärtigen handelspolitischen Fragen weit mehr berücksichtigen, als es
leider in den der Handelsvertragspolitik geneigten gebildeten Kreisen meist
geschieht.

Die neue Kanalvorlage hat den Reichskanzler veranlaßt, am 9. Januar
im preußischen Abgeordnetenhause als preußischer Ministerpräsident einige


aufgegeben war und in den neunziger Jahren erfolgreich wieder aufgenommen
worden ist. Klar war uns dabei von vornherein der Zwiespalt zwischen dieser
Weltpolitik des Deutschen Reichs und der handelspolitischen Isolierung im
Sinne der agrarischen Bestrebungen, die die innere politische Lage vorwiegend
beeinflussen, Ihnen ist die Politik des größern Deutschlands, von der jetzt
überhaupt die Rede sein kann, in jeder Form zuwider: ebenso in der Form
friedlicher Ausdehnung und Sicherung unsrer Erwerbssphäre im Ausland, wie
in der Form einer wirtschaftlich wirkungsvollen Eroberungspolitik, Anawlien
und Argentinien als Kornkammern im politischen Besitz des Deutschen Reichs
scheinen für sie der schrecklichste der Schrecken zu sein, und ob die Kaumtvolle,
die wir brauchen, in deutschen oder fremden Kolonien wächst, scheint ihnen
höchst gleichgiltig zu sein. Nur die laudwirtschnftliche Produktion Deutschlands
soll auf dem deutschen Markte möglichst konkurrenzlos werden und bleiben. Wir
halten diese Politik für falsch, denn das nationale Interesse verlangt gebieterisch
die Erweiterung unsrer Erwerbssphäre, Dazu kommt das friedliche Mittel der
Handelsvertragspolitik zuerst in Betracht. Die ulliirm ratio rsguin ist eben
ultiirm rMo. Die agrarischen Absperrungsgelüste stören den Abschluß von
Handelsverträgen, wie wir sie brauchen, und wollen ihn stören. Vor allem
durch hohe Minimalsätze im Generaltarif, Dadurch wird der deutschen Land-
wirtschaft auf die Dauer nicht geholfen, vielleicht sogar geschadet werden, weil
die Güterpreise noch mehr nur zu „fiktiven" Werten werden, und die hohen
Zölle, die sie künstlich halten und treiben sollen, wohl doch über kurz oder lang
fallen müssen. Bei aller Anerkennung der großen politischen und sozialen
Bedeutung, die die Landwirtschaft für die Nation hat, und der Berechtigung
genügender Notstandszölle für sie glauben wir deshalb, daß die agrarischen
Absperrungsabsichten dem Gemeinwohl widersprechen, und daß das Übergewicht
des agrarischen Einflusses in den Parlamenten und in gewissen Regierungs-
kreisen beklagt werden muß. Die verantwortlichen Leiter der Reichspolitik
müssen den irrigen Anschauungen der dentschen Landwirte fest entgegentreten,
nur dadurch können unsre ungesunden Parteiverhältnisse geheilt werden. Je
mehr man wünschen muß, daß den deutschen Landwirten ihr politischer Einfluß
erhalten wird, um so dringender ist es geboten, die falschen agrarischen Partei
tendenzen zu bekämpfen. Dazu gehört aber ebenso sehr offne, unbeugsame und
unnahbare Festigkeit wie weise Mäßigung und Geduld, Für die Weltpolitik,
zu der wir gezwungen sind, braucht die Regierung eine zuverlässige, Verständnis
volle Mehrheit im Reichstag und im Volke, Die hat sie jetzt nicht, und ohne
die Landwirte kann sie sie nun einmal auch in absehbarer Zeit nicht bekommen.
Das sollte man bei der Beurteilung des Verhaltens des Grafen Bülow in
den gegenwärtigen handelspolitischen Fragen weit mehr berücksichtigen, als es
leider in den der Handelsvertragspolitik geneigten gebildeten Kreisen meist
geschieht.

Die neue Kanalvorlage hat den Reichskanzler veranlaßt, am 9. Januar
im preußischen Abgeordnetenhause als preußischer Ministerpräsident einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/210>, abgerufen am 01.07.2024.