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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ebensowenig auf wie gegen den Kommandeur des Kadettencorps. Er begleitet
diesen nicht einmal regelmäßig bei den jährlichen Revisionen der Voranstalten,
Der Generalinspckteur scheint, abgesehen von der Hanptanstalt, immer ohne
ihn zu revidierein Ob diese überwiegend durch höhere Offiziere geübte Be¬
urteilung des wissenschaftlichen Schulunterrichts nach sonst herrschenden An¬
schauungen berechtigt und begründet sei, ist einer Prüfung wert.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Notschrei eines Gymnnsiastenvaters.

Die folgenden wohl vielen Väter"
ans dem Herzen geschriebnen Auslassungen waren uns zugesandt worden, als der
Erlas; des Kaisers vom 26. November noch nicht bekannt geworden war. Sie
mögen als Ouvertüre für das hier stehn, was wir i" deu nächsten Heften über
den Erlaß selbst und die humanistische Schule bringen werden. Der Gymnasiasten-
Vater schreibt: Von der geplanten Reform der höhern Knabenschulen in Preußen
ist es nach dem große" Lärm im Frühjahr ziemlich still geworden; nur so viel
scheint festzustehn, daß der lateinische Unterricht auf den preußischen Gymnasien um
mehrere Stunden vermehrt, das Englische verbindlich gemacht, im ganzen also die
Zahl der Pslichlstundeu des Gymnasiums erhöht werden wird. Wer als Vater
eines Gymnasiasten lebhaften Anteil an allen A"gelege"beide" der Schule nimmt,
den wird diese Aussicht nicht nur beunruhigen, souderu geradezu erschrecken, be¬
sonders wen" er in einer Großstadt wohnt, wo weite Schulwege, nervenangreifender
Lärm und Zerstreuung aller Art, außerdem aber ein scharfer Wettbewerb unter den
Schulen gleicher Gattung hinzukommen. Ein Schüler der mittlern Klasse" eines
Gymnasiums hat nach den Lehrpläuen von 1892 dreißig Stunden; dazu kommen
als allgemein verbindlich drei Stunden Turnen und zwei Stunden Singen. Wenn
es in deu Vemerkungen zu den Lehrplänen heißt, daß diese fünf Stunden nicht
als eigentliche Arbeitsstunden zu erachten seien, so haben inzwischen wiederholte ein¬
gehende Untersuchungen erwiesen, daß insbesondre die Turnstunden den jungen
Körper (auch den Geist) ganz gehörig angreifen und ihn eine Zeit lang für geistige
Arbeit weniger empfänglich machen; mindestens entzieh" diese Stunden den Schüler
der Erholung oder der Vorbereitung auf die Unterrichtsstunden. Zu diesen fünf¬
unddreißig Stunden treten dann jür den Untetsekundaner, der sich am Zeichen¬
unterricht beteiligt (und wie nötig ist heutzutage Übung im Zeichnen für alle Be¬
rufe), weitere zwei Stunden, macht zusammen siebenunddreißig Stunden wöchentlich.
Aber damit ist das Maß noch nicht voll. Im Sommer sind Turnspiele unter
Aufsicht eines Lehrers eingerichtet worden, denen sich der Schüler anch nicht gut
^uziehn kann, und die ihn mit dem Hin- und Rückweg noch ungefähr drei Stunden
"> Anspruch nehmen und für deu Rest des Tages gewöhnlich unfähig zur Arbeit
wache". Dazu rechne mau wöchentlich sechs Stunden (sechs Vormittage und drei
Nachmittage zu je vierzig Minuten für Hin- und Rückweg) für den Schulweg, das
ergiebt zusammen sechsundvierzig Stunden wöchentlich. Für den Schüler einer


Grenzboten I 1901 19
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ebensowenig auf wie gegen den Kommandeur des Kadettencorps. Er begleitet
diesen nicht einmal regelmäßig bei den jährlichen Revisionen der Voranstalten,
Der Generalinspckteur scheint, abgesehen von der Hanptanstalt, immer ohne
ihn zu revidierein Ob diese überwiegend durch höhere Offiziere geübte Be¬
urteilung des wissenschaftlichen Schulunterrichts nach sonst herrschenden An¬
schauungen berechtigt und begründet sei, ist einer Prüfung wert.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Notschrei eines Gymnnsiastenvaters.

Die folgenden wohl vielen Väter»
ans dem Herzen geschriebnen Auslassungen waren uns zugesandt worden, als der
Erlas; des Kaisers vom 26. November noch nicht bekannt geworden war. Sie
mögen als Ouvertüre für das hier stehn, was wir i» deu nächsten Heften über
den Erlaß selbst und die humanistische Schule bringen werden. Der Gymnasiasten-
Vater schreibt: Von der geplanten Reform der höhern Knabenschulen in Preußen
ist es nach dem große» Lärm im Frühjahr ziemlich still geworden; nur so viel
scheint festzustehn, daß der lateinische Unterricht auf den preußischen Gymnasien um
mehrere Stunden vermehrt, das Englische verbindlich gemacht, im ganzen also die
Zahl der Pslichlstundeu des Gymnasiums erhöht werden wird. Wer als Vater
eines Gymnasiasten lebhaften Anteil an allen A»gelege»beide» der Schule nimmt,
den wird diese Aussicht nicht nur beunruhigen, souderu geradezu erschrecken, be¬
sonders wen» er in einer Großstadt wohnt, wo weite Schulwege, nervenangreifender
Lärm und Zerstreuung aller Art, außerdem aber ein scharfer Wettbewerb unter den
Schulen gleicher Gattung hinzukommen. Ein Schüler der mittlern Klasse» eines
Gymnasiums hat nach den Lehrpläuen von 1892 dreißig Stunden; dazu kommen
als allgemein verbindlich drei Stunden Turnen und zwei Stunden Singen. Wenn
es in deu Vemerkungen zu den Lehrplänen heißt, daß diese fünf Stunden nicht
als eigentliche Arbeitsstunden zu erachten seien, so haben inzwischen wiederholte ein¬
gehende Untersuchungen erwiesen, daß insbesondre die Turnstunden den jungen
Körper (auch den Geist) ganz gehörig angreifen und ihn eine Zeit lang für geistige
Arbeit weniger empfänglich machen; mindestens entzieh» diese Stunden den Schüler
der Erholung oder der Vorbereitung auf die Unterrichtsstunden. Zu diesen fünf¬
unddreißig Stunden treten dann jür den Untetsekundaner, der sich am Zeichen¬
unterricht beteiligt (und wie nötig ist heutzutage Übung im Zeichnen für alle Be¬
rufe), weitere zwei Stunden, macht zusammen siebenunddreißig Stunden wöchentlich.
Aber damit ist das Maß noch nicht voll. Im Sommer sind Turnspiele unter
Aufsicht eines Lehrers eingerichtet worden, denen sich der Schüler anch nicht gut
^uziehn kann, und die ihn mit dem Hin- und Rückweg noch ungefähr drei Stunden
"> Anspruch nehmen und für deu Rest des Tages gewöhnlich unfähig zur Arbeit
wache». Dazu rechne mau wöchentlich sechs Stunden (sechs Vormittage und drei
Nachmittage zu je vierzig Minuten für Hin- und Rückweg) für den Schulweg, das
ergiebt zusammen sechsundvierzig Stunden wöchentlich. Für den Schüler einer


Grenzboten I 1901 19
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[0153] Maßgebliches und Unmaßgebliches ebensowenig auf wie gegen den Kommandeur des Kadettencorps. Er begleitet diesen nicht einmal regelmäßig bei den jährlichen Revisionen der Voranstalten, Der Generalinspckteur scheint, abgesehen von der Hanptanstalt, immer ohne ihn zu revidierein Ob diese überwiegend durch höhere Offiziere geübte Be¬ urteilung des wissenschaftlichen Schulunterrichts nach sonst herrschenden An¬ schauungen berechtigt und begründet sei, ist einer Prüfung wert. (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Notschrei eines Gymnnsiastenvaters. Die folgenden wohl vielen Väter» ans dem Herzen geschriebnen Auslassungen waren uns zugesandt worden, als der Erlas; des Kaisers vom 26. November noch nicht bekannt geworden war. Sie mögen als Ouvertüre für das hier stehn, was wir i» deu nächsten Heften über den Erlaß selbst und die humanistische Schule bringen werden. Der Gymnasiasten- Vater schreibt: Von der geplanten Reform der höhern Knabenschulen in Preußen ist es nach dem große» Lärm im Frühjahr ziemlich still geworden; nur so viel scheint festzustehn, daß der lateinische Unterricht auf den preußischen Gymnasien um mehrere Stunden vermehrt, das Englische verbindlich gemacht, im ganzen also die Zahl der Pslichlstundeu des Gymnasiums erhöht werden wird. Wer als Vater eines Gymnasiasten lebhaften Anteil an allen A»gelege»beide» der Schule nimmt, den wird diese Aussicht nicht nur beunruhigen, souderu geradezu erschrecken, be¬ sonders wen» er in einer Großstadt wohnt, wo weite Schulwege, nervenangreifender Lärm und Zerstreuung aller Art, außerdem aber ein scharfer Wettbewerb unter den Schulen gleicher Gattung hinzukommen. Ein Schüler der mittlern Klasse» eines Gymnasiums hat nach den Lehrpläuen von 1892 dreißig Stunden; dazu kommen als allgemein verbindlich drei Stunden Turnen und zwei Stunden Singen. Wenn es in deu Vemerkungen zu den Lehrplänen heißt, daß diese fünf Stunden nicht als eigentliche Arbeitsstunden zu erachten seien, so haben inzwischen wiederholte ein¬ gehende Untersuchungen erwiesen, daß insbesondre die Turnstunden den jungen Körper (auch den Geist) ganz gehörig angreifen und ihn eine Zeit lang für geistige Arbeit weniger empfänglich machen; mindestens entzieh» diese Stunden den Schüler der Erholung oder der Vorbereitung auf die Unterrichtsstunden. Zu diesen fünf¬ unddreißig Stunden treten dann jür den Untetsekundaner, der sich am Zeichen¬ unterricht beteiligt (und wie nötig ist heutzutage Übung im Zeichnen für alle Be¬ rufe), weitere zwei Stunden, macht zusammen siebenunddreißig Stunden wöchentlich. Aber damit ist das Maß noch nicht voll. Im Sommer sind Turnspiele unter Aufsicht eines Lehrers eingerichtet worden, denen sich der Schüler anch nicht gut ^uziehn kann, und die ihn mit dem Hin- und Rückweg noch ungefähr drei Stunden "> Anspruch nehmen und für deu Rest des Tages gewöhnlich unfähig zur Arbeit wache». Dazu rechne mau wöchentlich sechs Stunden (sechs Vormittage und drei Nachmittage zu je vierzig Minuten für Hin- und Rückweg) für den Schulweg, das ergiebt zusammen sechsundvierzig Stunden wöchentlich. Für den Schüler einer Grenzboten I 1901 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/153>, abgerufen am 01.07.2024.