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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Kriegsminister General Andre und seine Reformen

der Vorwurf gemacht, daß sie geeignet seien, wenn nicht gar den Zweck ver¬
folgen, eine Demokratisierung der Armee herbeizuführen. Um dies recht zu
versteh", muß man wissen, daß den Offizieren in den höhern Stellungen, also
etwa vom Stabsoffizier an aufwärts, vielfach nachgesagt wird, sie stünden
unter antirepublikanischem und klerikalen Einfluß, und die auf den Militür-
schuleu vorgebildeten Offiziere stellten sich den aus der Truppe hervorgegangnen
gegenüber auf einen allzu exklusiven Standpunkt. Hierzu hat sich nun in letzter
Zeit noch eine weitere Erscheinung geltend gemacht, nämlich die zu Tage tretende
Animosität gegen israelitische Offiziere. Allen diesen Eigentümlichkeiten scheint
General Andre energisch entgegentreten zu wollen, ohne die sich natürlich er¬
gebenden Schwierigkeiten und Kämpfe zu schellen. Hierfür sprechen vor allem
seine die Reorganisation der berühmten Kriegsschule von Se. Chr betreffenden
Anordnungen, die das größte Aufsehen nicht nur in der Armee erregt und viel
Staub aufgewirbelt haben.

Um die Tragweite dieser Umänderungen zu verstehn, muß mau einen
Blick auf den Zweck und die Organisation der l^vois spsoi^is rnilitairs zu
Se. Cyr werfen. Ihr ist die Vorbildung der Offiziere übertragen für die
Infanterie, Kavallerie und Marineinfanterie. Die Zahl der Aufzunehmenden
wird jährlich durch den Kriegsminister bestimmt; die Aufnahme erfolgt auf
Grund eines Examens. Sonstige Bedingungen zur Aufnahme sind: fran¬
zösische Staatsangehörigkeit, das Alter zwischen dem 17. und 21. Lebensjahre,
Besitz des Reifezeugnisses einer Sekundärschule. Die Schicke ist militärisch
organisiert unter einem General als Kommandanten und einem Obersten als
Unterkvmmandanten. Der militärische Unterricht liegt in den Händen zahl¬
reicher hierzu kommcmdierter Offiziere. Die Schüler sind in zwei Divisionen
eingeteilt und in acht Infanteriekompanien und eine Sektion Kavallerie
formiert. Die Studien, die nur die militärische Ausbildung bezwecken, dauern
zwei Jahre. Nach dem Allstrittsexamen werden die jungen Leute klassifiziert.
Wer die Prüfung besteht, tritt als Sousleutuant in die Truppe, vorausgesetzt,
daß er die Kompagnie- oder Eskadronschule ausführen und kommandieren,
sowie in der Bataillvnschule die Stellung als Hauptmann ausfüllen kann.
Wer das Austrittsexamcu nicht besteht, wird als Soldat oder auf besondre
Empfehlung als Unteroffizier einem Regiment überwiesen. Die vom Kriegs¬
minister beantragte Reorganisation der Schule richtet sich nun in erster Linie
gegen das Lehrerpersonal. Nach den bisherigen Bestimmungen konnte nämlich
der Kriegsminister die Jnstruktoren und Professoren nur aus den ihm von
den Geueralinspcktenren der verschiednen Waffen vorgcschlagnen Offizieren
auswählen; es galt aber als Gesetz, daß hierzu nnr solche Offiziere bestimmt
wurden, die selbst ihre Bildung in Se. Cyr erhalten hatten. Minister Andre
fand nun, daß ihm auf diese Weise nicht genug Machtvollkommenheit eingeräumt
sei, die ihm tauglich erscheinenden Offiziere unabhängig von jedem Vor¬
schlag und unabhängig von ihrer Vorbildung --- zu bestimmen. Einen andern
Übelstand sah er darin, daß die Kavallerieaspiranteu schon zwei Monate nach


Kriegsminister General Andre und seine Reformen

der Vorwurf gemacht, daß sie geeignet seien, wenn nicht gar den Zweck ver¬
folgen, eine Demokratisierung der Armee herbeizuführen. Um dies recht zu
versteh», muß man wissen, daß den Offizieren in den höhern Stellungen, also
etwa vom Stabsoffizier an aufwärts, vielfach nachgesagt wird, sie stünden
unter antirepublikanischem und klerikalen Einfluß, und die auf den Militür-
schuleu vorgebildeten Offiziere stellten sich den aus der Truppe hervorgegangnen
gegenüber auf einen allzu exklusiven Standpunkt. Hierzu hat sich nun in letzter
Zeit noch eine weitere Erscheinung geltend gemacht, nämlich die zu Tage tretende
Animosität gegen israelitische Offiziere. Allen diesen Eigentümlichkeiten scheint
General Andre energisch entgegentreten zu wollen, ohne die sich natürlich er¬
gebenden Schwierigkeiten und Kämpfe zu schellen. Hierfür sprechen vor allem
seine die Reorganisation der berühmten Kriegsschule von Se. Chr betreffenden
Anordnungen, die das größte Aufsehen nicht nur in der Armee erregt und viel
Staub aufgewirbelt haben.

Um die Tragweite dieser Umänderungen zu verstehn, muß mau einen
Blick auf den Zweck und die Organisation der l^vois spsoi^is rnilitairs zu
Se. Cyr werfen. Ihr ist die Vorbildung der Offiziere übertragen für die
Infanterie, Kavallerie und Marineinfanterie. Die Zahl der Aufzunehmenden
wird jährlich durch den Kriegsminister bestimmt; die Aufnahme erfolgt auf
Grund eines Examens. Sonstige Bedingungen zur Aufnahme sind: fran¬
zösische Staatsangehörigkeit, das Alter zwischen dem 17. und 21. Lebensjahre,
Besitz des Reifezeugnisses einer Sekundärschule. Die Schicke ist militärisch
organisiert unter einem General als Kommandanten und einem Obersten als
Unterkvmmandanten. Der militärische Unterricht liegt in den Händen zahl¬
reicher hierzu kommcmdierter Offiziere. Die Schüler sind in zwei Divisionen
eingeteilt und in acht Infanteriekompanien und eine Sektion Kavallerie
formiert. Die Studien, die nur die militärische Ausbildung bezwecken, dauern
zwei Jahre. Nach dem Allstrittsexamen werden die jungen Leute klassifiziert.
Wer die Prüfung besteht, tritt als Sousleutuant in die Truppe, vorausgesetzt,
daß er die Kompagnie- oder Eskadronschule ausführen und kommandieren,
sowie in der Bataillvnschule die Stellung als Hauptmann ausfüllen kann.
Wer das Austrittsexamcu nicht besteht, wird als Soldat oder auf besondre
Empfehlung als Unteroffizier einem Regiment überwiesen. Die vom Kriegs¬
minister beantragte Reorganisation der Schule richtet sich nun in erster Linie
gegen das Lehrerpersonal. Nach den bisherigen Bestimmungen konnte nämlich
der Kriegsminister die Jnstruktoren und Professoren nur aus den ihm von
den Geueralinspcktenren der verschiednen Waffen vorgcschlagnen Offizieren
auswählen; es galt aber als Gesetz, daß hierzu nnr solche Offiziere bestimmt
wurden, die selbst ihre Bildung in Se. Cyr erhalten hatten. Minister Andre
fand nun, daß ihm auf diese Weise nicht genug Machtvollkommenheit eingeräumt
sei, die ihm tauglich erscheinenden Offiziere unabhängig von jedem Vor¬
schlag und unabhängig von ihrer Vorbildung --- zu bestimmen. Einen andern
Übelstand sah er darin, daß die Kavallerieaspiranteu schon zwei Monate nach


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[0124] Kriegsminister General Andre und seine Reformen der Vorwurf gemacht, daß sie geeignet seien, wenn nicht gar den Zweck ver¬ folgen, eine Demokratisierung der Armee herbeizuführen. Um dies recht zu versteh», muß man wissen, daß den Offizieren in den höhern Stellungen, also etwa vom Stabsoffizier an aufwärts, vielfach nachgesagt wird, sie stünden unter antirepublikanischem und klerikalen Einfluß, und die auf den Militür- schuleu vorgebildeten Offiziere stellten sich den aus der Truppe hervorgegangnen gegenüber auf einen allzu exklusiven Standpunkt. Hierzu hat sich nun in letzter Zeit noch eine weitere Erscheinung geltend gemacht, nämlich die zu Tage tretende Animosität gegen israelitische Offiziere. Allen diesen Eigentümlichkeiten scheint General Andre energisch entgegentreten zu wollen, ohne die sich natürlich er¬ gebenden Schwierigkeiten und Kämpfe zu schellen. Hierfür sprechen vor allem seine die Reorganisation der berühmten Kriegsschule von Se. Chr betreffenden Anordnungen, die das größte Aufsehen nicht nur in der Armee erregt und viel Staub aufgewirbelt haben. Um die Tragweite dieser Umänderungen zu verstehn, muß mau einen Blick auf den Zweck und die Organisation der l^vois spsoi^is rnilitairs zu Se. Cyr werfen. Ihr ist die Vorbildung der Offiziere übertragen für die Infanterie, Kavallerie und Marineinfanterie. Die Zahl der Aufzunehmenden wird jährlich durch den Kriegsminister bestimmt; die Aufnahme erfolgt auf Grund eines Examens. Sonstige Bedingungen zur Aufnahme sind: fran¬ zösische Staatsangehörigkeit, das Alter zwischen dem 17. und 21. Lebensjahre, Besitz des Reifezeugnisses einer Sekundärschule. Die Schicke ist militärisch organisiert unter einem General als Kommandanten und einem Obersten als Unterkvmmandanten. Der militärische Unterricht liegt in den Händen zahl¬ reicher hierzu kommcmdierter Offiziere. Die Schüler sind in zwei Divisionen eingeteilt und in acht Infanteriekompanien und eine Sektion Kavallerie formiert. Die Studien, die nur die militärische Ausbildung bezwecken, dauern zwei Jahre. Nach dem Allstrittsexamen werden die jungen Leute klassifiziert. Wer die Prüfung besteht, tritt als Sousleutuant in die Truppe, vorausgesetzt, daß er die Kompagnie- oder Eskadronschule ausführen und kommandieren, sowie in der Bataillvnschule die Stellung als Hauptmann ausfüllen kann. Wer das Austrittsexamcu nicht besteht, wird als Soldat oder auf besondre Empfehlung als Unteroffizier einem Regiment überwiesen. Die vom Kriegs¬ minister beantragte Reorganisation der Schule richtet sich nun in erster Linie gegen das Lehrerpersonal. Nach den bisherigen Bestimmungen konnte nämlich der Kriegsminister die Jnstruktoren und Professoren nur aus den ihm von den Geueralinspcktenren der verschiednen Waffen vorgcschlagnen Offizieren auswählen; es galt aber als Gesetz, daß hierzu nnr solche Offiziere bestimmt wurden, die selbst ihre Bildung in Se. Cyr erhalten hatten. Minister Andre fand nun, daß ihm auf diese Weise nicht genug Machtvollkommenheit eingeräumt sei, die ihm tauglich erscheinenden Offiziere unabhängig von jedem Vor¬ schlag und unabhängig von ihrer Vorbildung --- zu bestimmen. Einen andern Übelstand sah er darin, daß die Kavallerieaspiranteu schon zwei Monate nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/124>, abgerufen am 01.07.2024.