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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Kriegsminister General Andre und seine Reformen

aussprechen, daß man absichtlich einem möglichst parteilosen Manne das Mini¬
sterium angeboten habe, um allen politischen Debatten, die mit der Demission
Gallifets verknüpft waren, den Boden zu entziehn. Aber schon wenig Wochen
nach der Übernahme des Postens erregten gewisse Maßnahmen des neuen
Ministers das Erstaunen der militärischen Kreise, Vor allem war es ein um¬
fassender Personalwechsel im Generalstabe, den er, ohne sich mit den direkten
Vorgesetzten zuvor ins Einvernehmen gesetzt zu haben, anordnete, und der
ernste Folgen nach sich zog. Es erbat nämlich infolgedessen nicht allein der
Chef des Generalstabs, General Delarue, seine Versetzung zur Truppe, sondern
der Vizepräsident des obersten Kriegsrath, General Jamont, der für den
Kriegsfall als Oberbefehlshaber in Aussicht genommen war, wurde auf eignen
Wunsch zur Disposition gestellt/") Unmittelbar daraus verfügte der Minister
eine gänzlich veränderte Organisation des obersten Kriegsrath und stellte sich
damit in prinzipiellen Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem in der Armee
hochnngesehenen General Gallifet, Während dieser und zwar erst im Oktober
1899 bestimmt hatte, daß jedes Titulnrmitglied^) des obersten Kriegsrath im
Frieden ein Armeekorps führen oder an der Spitze eines Generalgouverne¬
ments stehn solle, enthob sie Andre jedes Kommandos und wies ihnen Paris
als Wohnort an, damit sie dort jederzeit zur Verfügung des Kriegsministers
seien. Von dieser Maßregel wurden zunächst die Kommandeure des sechsten,
siebenten und neunten Armeekorps betroffen, die alle drei wesentlich älter im
Dienstrange waren als der Minister. Noch mehr Aufsehen erregte es aber,
als er den General Negrier, der ein Jahr zuvor aus disziplincllen Gründen
vom Minister Gallifet seiner Stellung als Mitglied des obersten Kriegsrath
enthoben worden war, wieder in diese Stellung einsetzte.

Wenn man bedenkt, was es heißen will, daß ein junger Kriegsminister
schon wenig Wochen nach der Übernahme des Portefeuilles solche Verände¬
rungen in den höchsten Kommandostellen verordnet und durchführt, so wird
man dem Betreffenden einen hohen Grad von Energie, vielleicht auch von
Rücksichtslosigkeit, nicht absprechen können. Alle Maßnahmen, die er in der
ersten Zeit seiner Amtsführung ins Leben rief, liefen darauf hinaus, die Macht¬
vollkommenheit des Kriegsministers zu vermehren und zu kräftigen. Bald traten
aber noch andre Anzeichen ein, die die Überzeugung hervorriefen, daß der neue
Minister die Absicht habe, uicht in dein gewohnten Gleise seiner Vorgänger
zu wandeln und sich nicht mit dem Einflüsse zu begnügen, der bis jetzt dem
Kriegsminister der Armee gegenüber zugefallen war. Verschiedne Dekrete, die
er erließ, Versetzungen, die er anordnete usw., ließen darüber keinen Zweifel;
allen Anordnungen aber, die er traf, wurde und wird noch von vielen Seiten




Gencrnl Jamont motivierte seinen Entschluß mit den Worten: I,'lo.8eg,tiilits av. vtuzk
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Diese Bezeichnung zur Unterscheidung vom Kriegsminister, Chef und Souschef des
Generalstabs, die infolge ihrer Stellung an und für sich Mitglieder sind.
Kriegsminister General Andre und seine Reformen

aussprechen, daß man absichtlich einem möglichst parteilosen Manne das Mini¬
sterium angeboten habe, um allen politischen Debatten, die mit der Demission
Gallifets verknüpft waren, den Boden zu entziehn. Aber schon wenig Wochen
nach der Übernahme des Postens erregten gewisse Maßnahmen des neuen
Ministers das Erstaunen der militärischen Kreise, Vor allem war es ein um¬
fassender Personalwechsel im Generalstabe, den er, ohne sich mit den direkten
Vorgesetzten zuvor ins Einvernehmen gesetzt zu haben, anordnete, und der
ernste Folgen nach sich zog. Es erbat nämlich infolgedessen nicht allein der
Chef des Generalstabs, General Delarue, seine Versetzung zur Truppe, sondern
der Vizepräsident des obersten Kriegsrath, General Jamont, der für den
Kriegsfall als Oberbefehlshaber in Aussicht genommen war, wurde auf eignen
Wunsch zur Disposition gestellt/") Unmittelbar daraus verfügte der Minister
eine gänzlich veränderte Organisation des obersten Kriegsrath und stellte sich
damit in prinzipiellen Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem in der Armee
hochnngesehenen General Gallifet, Während dieser und zwar erst im Oktober
1899 bestimmt hatte, daß jedes Titulnrmitglied^) des obersten Kriegsrath im
Frieden ein Armeekorps führen oder an der Spitze eines Generalgouverne¬
ments stehn solle, enthob sie Andre jedes Kommandos und wies ihnen Paris
als Wohnort an, damit sie dort jederzeit zur Verfügung des Kriegsministers
seien. Von dieser Maßregel wurden zunächst die Kommandeure des sechsten,
siebenten und neunten Armeekorps betroffen, die alle drei wesentlich älter im
Dienstrange waren als der Minister. Noch mehr Aufsehen erregte es aber,
als er den General Negrier, der ein Jahr zuvor aus disziplincllen Gründen
vom Minister Gallifet seiner Stellung als Mitglied des obersten Kriegsrath
enthoben worden war, wieder in diese Stellung einsetzte.

Wenn man bedenkt, was es heißen will, daß ein junger Kriegsminister
schon wenig Wochen nach der Übernahme des Portefeuilles solche Verände¬
rungen in den höchsten Kommandostellen verordnet und durchführt, so wird
man dem Betreffenden einen hohen Grad von Energie, vielleicht auch von
Rücksichtslosigkeit, nicht absprechen können. Alle Maßnahmen, die er in der
ersten Zeit seiner Amtsführung ins Leben rief, liefen darauf hinaus, die Macht¬
vollkommenheit des Kriegsministers zu vermehren und zu kräftigen. Bald traten
aber noch andre Anzeichen ein, die die Überzeugung hervorriefen, daß der neue
Minister die Absicht habe, uicht in dein gewohnten Gleise seiner Vorgänger
zu wandeln und sich nicht mit dem Einflüsse zu begnügen, der bis jetzt dem
Kriegsminister der Armee gegenüber zugefallen war. Verschiedne Dekrete, die
er erließ, Versetzungen, die er anordnete usw., ließen darüber keinen Zweifel;
allen Anordnungen aber, die er traf, wurde und wird noch von vielen Seiten




Gencrnl Jamont motivierte seinen Entschluß mit den Worten: I,'lo.8eg,tiilits av. vtuzk
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Diese Bezeichnung zur Unterscheidung vom Kriegsminister, Chef und Souschef des
Generalstabs, die infolge ihrer Stellung an und für sich Mitglieder sind.
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[0123] Kriegsminister General Andre und seine Reformen aussprechen, daß man absichtlich einem möglichst parteilosen Manne das Mini¬ sterium angeboten habe, um allen politischen Debatten, die mit der Demission Gallifets verknüpft waren, den Boden zu entziehn. Aber schon wenig Wochen nach der Übernahme des Postens erregten gewisse Maßnahmen des neuen Ministers das Erstaunen der militärischen Kreise, Vor allem war es ein um¬ fassender Personalwechsel im Generalstabe, den er, ohne sich mit den direkten Vorgesetzten zuvor ins Einvernehmen gesetzt zu haben, anordnete, und der ernste Folgen nach sich zog. Es erbat nämlich infolgedessen nicht allein der Chef des Generalstabs, General Delarue, seine Versetzung zur Truppe, sondern der Vizepräsident des obersten Kriegsrath, General Jamont, der für den Kriegsfall als Oberbefehlshaber in Aussicht genommen war, wurde auf eignen Wunsch zur Disposition gestellt/") Unmittelbar daraus verfügte der Minister eine gänzlich veränderte Organisation des obersten Kriegsrath und stellte sich damit in prinzipiellen Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem in der Armee hochnngesehenen General Gallifet, Während dieser und zwar erst im Oktober 1899 bestimmt hatte, daß jedes Titulnrmitglied^) des obersten Kriegsrath im Frieden ein Armeekorps führen oder an der Spitze eines Generalgouverne¬ ments stehn solle, enthob sie Andre jedes Kommandos und wies ihnen Paris als Wohnort an, damit sie dort jederzeit zur Verfügung des Kriegsministers seien. Von dieser Maßregel wurden zunächst die Kommandeure des sechsten, siebenten und neunten Armeekorps betroffen, die alle drei wesentlich älter im Dienstrange waren als der Minister. Noch mehr Aufsehen erregte es aber, als er den General Negrier, der ein Jahr zuvor aus disziplincllen Gründen vom Minister Gallifet seiner Stellung als Mitglied des obersten Kriegsrath enthoben worden war, wieder in diese Stellung einsetzte. Wenn man bedenkt, was es heißen will, daß ein junger Kriegsminister schon wenig Wochen nach der Übernahme des Portefeuilles solche Verände¬ rungen in den höchsten Kommandostellen verordnet und durchführt, so wird man dem Betreffenden einen hohen Grad von Energie, vielleicht auch von Rücksichtslosigkeit, nicht absprechen können. Alle Maßnahmen, die er in der ersten Zeit seiner Amtsführung ins Leben rief, liefen darauf hinaus, die Macht¬ vollkommenheit des Kriegsministers zu vermehren und zu kräftigen. Bald traten aber noch andre Anzeichen ein, die die Überzeugung hervorriefen, daß der neue Minister die Absicht habe, uicht in dein gewohnten Gleise seiner Vorgänger zu wandeln und sich nicht mit dem Einflüsse zu begnügen, der bis jetzt dem Kriegsminister der Armee gegenüber zugefallen war. Verschiedne Dekrete, die er erließ, Versetzungen, die er anordnete usw., ließen darüber keinen Zweifel; allen Anordnungen aber, die er traf, wurde und wird noch von vielen Seiten Gencrnl Jamont motivierte seinen Entschluß mit den Worten: I,'lo.8eg,tiilits av. vtuzk 6'viAt-ins.jor 60 1'srmüv oft invomxstMv »ovo 1» tormatiov se. I» oonäuits ä«8 »rnwvg 00 "ÄMpaMS, Diese Bezeichnung zur Unterscheidung vom Kriegsminister, Chef und Souschef des Generalstabs, die infolge ihrer Stellung an und für sich Mitglieder sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/123>, abgerufen am 29.06.2024.