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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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folge der Kaufleute wanderten Handwerker ein, die sich in deutschen Bruder¬
schaften zusammenschlossen. In Florenz gab es mehrere solche. Am genausten
ist man über die der Schuhmacher unterrichtet: Looiöws Virginis Ug,ris se
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1454 kaufte sie ein Haus in der Via ti S. Gallo, in der Nähe von S, Lo-
renzo, wo sie ihre Gottesdienste abhalten ließ, und richtete es zu einem Spital
für kranke Mitglieder ein, vier Jahre später baute sie noch eine Kapelle auf
dem Grundstück. Danach sank die Mitgliederzahl rasch; 1502 waren nur noch
drei vorhanden. Diese übergaben das bedeutende Vermögen einer italienischen
Bruderschaft unter der Bedingung, daß sie die Deutschen schütze und deren
Töchter ausstatte; gesonderte Gottesdienste der Deutschen haben bis 1629 be¬
standen. Die deutsche Kolonie in Rom hat, wie Schulte glaubt, nicht nach
Hunderten, sondern nach tausenden gezählt. Die deutschen Schuster hatten ein
Gildehnus, die Bäcker außer ihrer sebolg, (womit ebenfalls ein Zunfthaus ge¬
meint ist) ein Spital und eine eigne Kirche. Zahlreich waren die deutscheu
Gastwirte, und zwar nicht bloß in Rom. Äneas Sylvius schreibt: Die
Deutschen macheu überall die Wirtsleute; ihr Verdienst ist es, daß man ziem¬
lich allenthalben in Italien ein Gasthaus findet; wo es keine Deutschen giebt,
da giebt es auch keine Herberge. Woher mag wohl diese Anlage der Deutschen
für Gnstwirtsgewerbe kommen? Ohne Zweifel doch vom innern Zuge zu Bier
und Wein. Und dieser Zug, oder einfacher gesprochen der deutsche Durst,
hängt doch gewiß auch mit einer andern mittelalterlichen Erscheinung zusammen,
die nicht nur von der größten Bedeutung für den Handel, sondern geradezu
bestimmend für den Gang der Weltgeschichte gewesen ist: mit der Sucht aller
mittelalterlichen Nordländer, unglaubliche Mengen scharfen Gewürzes zu ver¬
schlingen und sogar unsinnige Preise dafür zu zahlen. Der Gewürzhandel hat
zuerst Venedig lind dann Augsburg reich gemacht. Durch seinen Reichtum
aber ist Venedig Weltmacht geworden, und ohne den Reichtum der Fugger,
der wenigstens zum Teil aus dem Gewürzhcmdel stammt, wäre Maximilian
kaum Kaiser geworden. Daß der Gewürzhandel nach der Entdeckung des Kaps
andre Wege einschlug, hat Venedig herunter-, Portugal und Holland empor-
gebracht, und dieses für einige Zeit zur Weltmacht erhoben. Die Portugiesen
haben in der kurzen Zeit ihrer Macht den Holländern für ihre bekannte Praxis
das Vorbild geliefert; sie haben alle Schiffe von .Konkurrenten, die sie in ihre
Gewalt bekommen konnten, vernichtet, und haben, um die Preise hoch zu halten,
einen Teil der Gewürzernten verbrannt. Von was für merkwürdigen Ein¬
flüssen doch der Gang der Weltgeschichte abhängt! Die zukünftige Regierung
der sozialistischen Weltrepublik wird, um das Wirtschaftsleben der ganzen Erde
regeln und leiten zu können, außer andern wunderbaren Begabungen auch die
feinste Witterung für allen Zungen- und sonstigen Geschmack und dessen Wand¬
lungen haben müssen. Den Zungengeschmack unsrer Altvordern und den dazu
gehörigen Magen haben nur die Bayern in unsre moderne Welt herüber¬
gerettet.


folge der Kaufleute wanderten Handwerker ein, die sich in deutschen Bruder¬
schaften zusammenschlossen. In Florenz gab es mehrere solche. Am genausten
ist man über die der Schuhmacher unterrichtet: Looiöws Virginis Ug,ris se
ssWvtö I<g,tsi'ins löutvnivornm vualsiolarioruin ^.lammnniö alls. Jur Jahre
1454 kaufte sie ein Haus in der Via ti S. Gallo, in der Nähe von S, Lo-
renzo, wo sie ihre Gottesdienste abhalten ließ, und richtete es zu einem Spital
für kranke Mitglieder ein, vier Jahre später baute sie noch eine Kapelle auf
dem Grundstück. Danach sank die Mitgliederzahl rasch; 1502 waren nur noch
drei vorhanden. Diese übergaben das bedeutende Vermögen einer italienischen
Bruderschaft unter der Bedingung, daß sie die Deutschen schütze und deren
Töchter ausstatte; gesonderte Gottesdienste der Deutschen haben bis 1629 be¬
standen. Die deutsche Kolonie in Rom hat, wie Schulte glaubt, nicht nach
Hunderten, sondern nach tausenden gezählt. Die deutschen Schuster hatten ein
Gildehnus, die Bäcker außer ihrer sebolg, (womit ebenfalls ein Zunfthaus ge¬
meint ist) ein Spital und eine eigne Kirche. Zahlreich waren die deutscheu
Gastwirte, und zwar nicht bloß in Rom. Äneas Sylvius schreibt: Die
Deutschen macheu überall die Wirtsleute; ihr Verdienst ist es, daß man ziem¬
lich allenthalben in Italien ein Gasthaus findet; wo es keine Deutschen giebt,
da giebt es auch keine Herberge. Woher mag wohl diese Anlage der Deutschen
für Gnstwirtsgewerbe kommen? Ohne Zweifel doch vom innern Zuge zu Bier
und Wein. Und dieser Zug, oder einfacher gesprochen der deutsche Durst,
hängt doch gewiß auch mit einer andern mittelalterlichen Erscheinung zusammen,
die nicht nur von der größten Bedeutung für den Handel, sondern geradezu
bestimmend für den Gang der Weltgeschichte gewesen ist: mit der Sucht aller
mittelalterlichen Nordländer, unglaubliche Mengen scharfen Gewürzes zu ver¬
schlingen und sogar unsinnige Preise dafür zu zahlen. Der Gewürzhandel hat
zuerst Venedig lind dann Augsburg reich gemacht. Durch seinen Reichtum
aber ist Venedig Weltmacht geworden, und ohne den Reichtum der Fugger,
der wenigstens zum Teil aus dem Gewürzhcmdel stammt, wäre Maximilian
kaum Kaiser geworden. Daß der Gewürzhandel nach der Entdeckung des Kaps
andre Wege einschlug, hat Venedig herunter-, Portugal und Holland empor-
gebracht, und dieses für einige Zeit zur Weltmacht erhoben. Die Portugiesen
haben in der kurzen Zeit ihrer Macht den Holländern für ihre bekannte Praxis
das Vorbild geliefert; sie haben alle Schiffe von .Konkurrenten, die sie in ihre
Gewalt bekommen konnten, vernichtet, und haben, um die Preise hoch zu halten,
einen Teil der Gewürzernten verbrannt. Von was für merkwürdigen Ein¬
flüssen doch der Gang der Weltgeschichte abhängt! Die zukünftige Regierung
der sozialistischen Weltrepublik wird, um das Wirtschaftsleben der ganzen Erde
regeln und leiten zu können, außer andern wunderbaren Begabungen auch die
feinste Witterung für allen Zungen- und sonstigen Geschmack und dessen Wand¬
lungen haben müssen. Den Zungengeschmack unsrer Altvordern und den dazu
gehörigen Magen haben nur die Bayern in unsre moderne Welt herüber¬
gerettet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/118>, abgerufen am 24.07.2024.