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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-italienischer Verkehr im MittelaUer

aus China. Dieser Handel war Wanderhandel, Konstantinopel war seine Be¬
herrscherin, Juden waren seine Organe. Ihnen begegneten von Norden her
die Friesen als erste Händler und zugleich Fabrikanten deutschen Stammes.
Gleich den nordischen Seeräubern kamen sie zu Schiff rheinaufwärts, brachten
selbstgefertigtes Tuch und tauschten Wein und Getreide ein. Die von Nitzsch
begründete Meinung, daß die deutschen Großgrundbesitzer durch ihre Dienst¬
mannen einen bedeutenden Handel hätten treiben lassen, bestreiten neuere
Autoritäten, denen sich Schulte anschließt. Der Weg, auf dein ein deutscher
Eigenhandel entstehn sollte, war von den Friesen vorgezeichnet. Wie die neuere
Jndustricentwicklung vom XinA Lotton ausgegangen ist, so die mittelalterliche
von der Wolle. Ein deutsches Gewerbe und deutscher Handel wurden von dein
Augenblick an möglich, als sich der Bauer mit Leinenhosen und einem Pelz
darüber nicht mehr begnügte. Zwar, nachdem der Handel in Gang gekommen
war, wurde auch die Leinwand Handelsartikel. Die Größe von Konstanz
-- denn Konstanz war im Mittelalter eine reiche und mächtige Stadt --
beruhte darauf; esta ^llanuMs findet sich in den Rechtsbüchern von Genua,
in den Verzeichnissen des päpstlichen Schatzes und in dem Testament eines in
Tauris seßhaften venetianischen Kaufmanns. Aber die Leinenerzeugung blieb
Sache des Hausfleißes, mit der Ackerwirtschaft eng verflochten; nur einzelne
Spezialitäten gingen ins städtische Gewerbe über, wie die Kölnische Bettziech-
weberci. Die Tuchmacherei dagegen entwickelte sich früh zum städtischen Ge¬
werbe. Zunächst, weil das Tuch gewalkt werden mußte, wenn es marktgängig
sein sollte, das Walken mit den Füßen aber eine sehr schwere, die Kräfte der
Frauen übersteigende Arbeit war. Zahlreiche starke Männer wurden dazu
gebraucht. Paris hatte zur Zeit Ludwigs des Heiligen 60 Tuchmacher, aber
im Leichenzuge dieses Königs (1270) gingen 300 Walker mit, und zur Schlacht
von Kortryk (1302) stellten die Brügger 1024 Walker. Als dann die Walk¬
mühlen eingeführt wurden, konnten Bauernfrauen erst recht nicht mehr daran
denken, mit dem städtischen Tuchmachergewerbe zu konkurrieren. Und sobald
der Wohlstand nur ein wenig gestiegen war, begnügte man sich mit grobem
Grautuch nicht mehr, man wollte feine Faser, schöne Färbung und gute
Appretur. Wie hätte all das ein Bauerhaus leisten sollen? Nur eine Kor¬
poration von Handwerkern oder ein reicher Kaufmann, am besten eine ganze
Korporation von Kaufleuten, konnte feine Wolle aus England oder Spanien
und Farbstoffe aus dem Orient beziehn und die Appretureinrichtungen treffen.
So wuchsen Gewerbe und Handel in Wechselwirkung miteinander auf; der
Handwerker wurde in seinem Bestreben, das Tuch außerhalb seines Wohnorts
zu verkaufen, ein Kaufmann, der Kaufmann wurde Fabrikant oder errichtete,
indem er Handwerker und ländliche Hausweber beschäftigte, ein Verlagsgeschäft.
Schwung brachten in den Eigenhandel der Abendländer die Kreuzzüge, die
orientalische Gewerbe und Künste zunächst nach Italien und von da aus in
die übrigen Länder verpflanzten und durch das Gewerbe einen Kaufmannsstand
erzeugten, der auch den Levantehandel in seine Hand nahm. Konstantinopel


Deutsch-italienischer Verkehr im MittelaUer

aus China. Dieser Handel war Wanderhandel, Konstantinopel war seine Be¬
herrscherin, Juden waren seine Organe. Ihnen begegneten von Norden her
die Friesen als erste Händler und zugleich Fabrikanten deutschen Stammes.
Gleich den nordischen Seeräubern kamen sie zu Schiff rheinaufwärts, brachten
selbstgefertigtes Tuch und tauschten Wein und Getreide ein. Die von Nitzsch
begründete Meinung, daß die deutschen Großgrundbesitzer durch ihre Dienst¬
mannen einen bedeutenden Handel hätten treiben lassen, bestreiten neuere
Autoritäten, denen sich Schulte anschließt. Der Weg, auf dein ein deutscher
Eigenhandel entstehn sollte, war von den Friesen vorgezeichnet. Wie die neuere
Jndustricentwicklung vom XinA Lotton ausgegangen ist, so die mittelalterliche
von der Wolle. Ein deutsches Gewerbe und deutscher Handel wurden von dein
Augenblick an möglich, als sich der Bauer mit Leinenhosen und einem Pelz
darüber nicht mehr begnügte. Zwar, nachdem der Handel in Gang gekommen
war, wurde auch die Leinwand Handelsartikel. Die Größe von Konstanz
— denn Konstanz war im Mittelalter eine reiche und mächtige Stadt —
beruhte darauf; esta ^llanuMs findet sich in den Rechtsbüchern von Genua,
in den Verzeichnissen des päpstlichen Schatzes und in dem Testament eines in
Tauris seßhaften venetianischen Kaufmanns. Aber die Leinenerzeugung blieb
Sache des Hausfleißes, mit der Ackerwirtschaft eng verflochten; nur einzelne
Spezialitäten gingen ins städtische Gewerbe über, wie die Kölnische Bettziech-
weberci. Die Tuchmacherei dagegen entwickelte sich früh zum städtischen Ge¬
werbe. Zunächst, weil das Tuch gewalkt werden mußte, wenn es marktgängig
sein sollte, das Walken mit den Füßen aber eine sehr schwere, die Kräfte der
Frauen übersteigende Arbeit war. Zahlreiche starke Männer wurden dazu
gebraucht. Paris hatte zur Zeit Ludwigs des Heiligen 60 Tuchmacher, aber
im Leichenzuge dieses Königs (1270) gingen 300 Walker mit, und zur Schlacht
von Kortryk (1302) stellten die Brügger 1024 Walker. Als dann die Walk¬
mühlen eingeführt wurden, konnten Bauernfrauen erst recht nicht mehr daran
denken, mit dem städtischen Tuchmachergewerbe zu konkurrieren. Und sobald
der Wohlstand nur ein wenig gestiegen war, begnügte man sich mit grobem
Grautuch nicht mehr, man wollte feine Faser, schöne Färbung und gute
Appretur. Wie hätte all das ein Bauerhaus leisten sollen? Nur eine Kor¬
poration von Handwerkern oder ein reicher Kaufmann, am besten eine ganze
Korporation von Kaufleuten, konnte feine Wolle aus England oder Spanien
und Farbstoffe aus dem Orient beziehn und die Appretureinrichtungen treffen.
So wuchsen Gewerbe und Handel in Wechselwirkung miteinander auf; der
Handwerker wurde in seinem Bestreben, das Tuch außerhalb seines Wohnorts
zu verkaufen, ein Kaufmann, der Kaufmann wurde Fabrikant oder errichtete,
indem er Handwerker und ländliche Hausweber beschäftigte, ein Verlagsgeschäft.
Schwung brachten in den Eigenhandel der Abendländer die Kreuzzüge, die
orientalische Gewerbe und Künste zunächst nach Italien und von da aus in
die übrigen Länder verpflanzten und durch das Gewerbe einen Kaufmannsstand
erzeugten, der auch den Levantehandel in seine Hand nahm. Konstantinopel


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[0114] Deutsch-italienischer Verkehr im MittelaUer aus China. Dieser Handel war Wanderhandel, Konstantinopel war seine Be¬ herrscherin, Juden waren seine Organe. Ihnen begegneten von Norden her die Friesen als erste Händler und zugleich Fabrikanten deutschen Stammes. Gleich den nordischen Seeräubern kamen sie zu Schiff rheinaufwärts, brachten selbstgefertigtes Tuch und tauschten Wein und Getreide ein. Die von Nitzsch begründete Meinung, daß die deutschen Großgrundbesitzer durch ihre Dienst¬ mannen einen bedeutenden Handel hätten treiben lassen, bestreiten neuere Autoritäten, denen sich Schulte anschließt. Der Weg, auf dein ein deutscher Eigenhandel entstehn sollte, war von den Friesen vorgezeichnet. Wie die neuere Jndustricentwicklung vom XinA Lotton ausgegangen ist, so die mittelalterliche von der Wolle. Ein deutsches Gewerbe und deutscher Handel wurden von dein Augenblick an möglich, als sich der Bauer mit Leinenhosen und einem Pelz darüber nicht mehr begnügte. Zwar, nachdem der Handel in Gang gekommen war, wurde auch die Leinwand Handelsartikel. Die Größe von Konstanz — denn Konstanz war im Mittelalter eine reiche und mächtige Stadt — beruhte darauf; esta ^llanuMs findet sich in den Rechtsbüchern von Genua, in den Verzeichnissen des päpstlichen Schatzes und in dem Testament eines in Tauris seßhaften venetianischen Kaufmanns. Aber die Leinenerzeugung blieb Sache des Hausfleißes, mit der Ackerwirtschaft eng verflochten; nur einzelne Spezialitäten gingen ins städtische Gewerbe über, wie die Kölnische Bettziech- weberci. Die Tuchmacherei dagegen entwickelte sich früh zum städtischen Ge¬ werbe. Zunächst, weil das Tuch gewalkt werden mußte, wenn es marktgängig sein sollte, das Walken mit den Füßen aber eine sehr schwere, die Kräfte der Frauen übersteigende Arbeit war. Zahlreiche starke Männer wurden dazu gebraucht. Paris hatte zur Zeit Ludwigs des Heiligen 60 Tuchmacher, aber im Leichenzuge dieses Königs (1270) gingen 300 Walker mit, und zur Schlacht von Kortryk (1302) stellten die Brügger 1024 Walker. Als dann die Walk¬ mühlen eingeführt wurden, konnten Bauernfrauen erst recht nicht mehr daran denken, mit dem städtischen Tuchmachergewerbe zu konkurrieren. Und sobald der Wohlstand nur ein wenig gestiegen war, begnügte man sich mit grobem Grautuch nicht mehr, man wollte feine Faser, schöne Färbung und gute Appretur. Wie hätte all das ein Bauerhaus leisten sollen? Nur eine Kor¬ poration von Handwerkern oder ein reicher Kaufmann, am besten eine ganze Korporation von Kaufleuten, konnte feine Wolle aus England oder Spanien und Farbstoffe aus dem Orient beziehn und die Appretureinrichtungen treffen. So wuchsen Gewerbe und Handel in Wechselwirkung miteinander auf; der Handwerker wurde in seinem Bestreben, das Tuch außerhalb seines Wohnorts zu verkaufen, ein Kaufmann, der Kaufmann wurde Fabrikant oder errichtete, indem er Handwerker und ländliche Hausweber beschäftigte, ein Verlagsgeschäft. Schwung brachten in den Eigenhandel der Abendländer die Kreuzzüge, die orientalische Gewerbe und Künste zunächst nach Italien und von da aus in die übrigen Länder verpflanzten und durch das Gewerbe einen Kaufmannsstand erzeugten, der auch den Levantehandel in seine Hand nahm. Konstantinopel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/114>, abgerufen am 24.07.2024.