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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-italienischer Verkehr im Mittelalter

wurde von Venedig und Genua entthront, die arabischen Händler verschwanden,
die Juden wurden auf den Geldhandel, und zwar auf dessen schlechtem Teil
zurückgedrängt.

In einem blieb die neue Form des Handels der vorhergehenden ähnlich:
Warenversendung durch Spedition und Reederei gab es nicht; der Kaufmann
mußte seine Ware selbst an Ort und Stelle bringen. Daraus nun und ans
der oben beschriebnen Entstehung des Handels ergaben sich mehrere Eigen¬
tümlich leiten. Zunächst, daß die Textilgcwerbe den Kapitalismus begründeten.
Da feines und schönes Tuch gar nicht anders als mit Hilfe von Geldkapital
hergestellt werden konnte, sanken die an seiner Anfertigung beteiligten Hans¬
industriellen und Handwerker: Spinner, Weber, Walker, Färber sehr bald zu
Arbeitern der kaufmännischen Unternehmer herab. Und das gab dann der
Politischen Entwicklung die Richtung. Die mächtigen Wollenzünfte gewannen
die Oberhand über die andern Zünfte der Kleinhandwerker, und in Florenz
z. B. verlief dann die Sache in der Art weiter, daß, als niederländische, fran¬
zösische und deutsche Konkurrenz die Macht der beiden Wollenzünfte schwächte,
die Seide Ersatz bot, deren Verarbeitung bis dahin das Monopol LnccaS
gewesen war, dann aber der Handel mit dem im Gewerbe erworbnen Gelde
das Rückgrat des Staates wurde und zuletzt ein Bankier die ganze Republik
in die Tasche steckte.

Eine andre Eigentümlichkeit war, daß die Notwendigkeit, die Warenzüge
selbst zu begleiten, das Bedürfnis eines Socius erzeugte. Gewöhnlich war
dieser ein Bruder oder ein Sohn. So bildeten sich Handelsgesellschaften, die
auf der Familie beruhten. Und solche Gesellschaften waren nun dem einzelnen
Kaufmann weit überlegen, ja sie allein waren den Aufgaben gewachsen, die
damals der Fernhandel stellte. Sehr bedeutende Geldmittel waren erforderlich,
alle die Schwierigkeiten des Transports zu überwinden, von denen der heutige
Kaufmann keine Ahnung mehr hat: da gab es unzählige Zölle zu entrichten,
Verluste durch Raub und Plünderung zu ertragen, bewaffnetes Geleite zu be¬
solden. An den verschiednen Zielpunkten des Handels mußten Faktoreien er¬
richtet, Agenten und Korrespondenten unterhalten werden. Der Leiter des
Geschäfts mußte über die gewerblichen Zustände und die Absatzverhältnisse,
über die politische Lage der entferntesten Gegenden genan unterrichtet sein (aus
den Kalifmailllskorrcspoildenzcn ist ja auch das Zeitungswesen hervorgegangen),
und er mußte die Tarife aller jener Zölle, sowie die Haudelsusanccu der Orte
^unen, mit denen er verkehrte. Sehr langlebig waren diese Gesellschaften und
Familienverbände nicht. Die Töchter der Begründer Heirateteil Adliche, und
die Enkel lebten selbst ritterlich und sorgten dafür, daß das von Vater und
Großvater aufgehäufte Geld nnter die Leute kam. Die Nachkommen einiger
solcher Familien sind, wie die Fugger, in den hohen Adel aufgestiegen, die
meisten aber haben sich im Volke verloren; die niedergehenden Familien wurden
von aufstrebenden und diese wieder von andern abgelöst. Aber jede von ihnen
hat sich, so lange sie blühte, hohe Verdienste erworben um den Völkerverkehr,


Deutsch-italienischer Verkehr im Mittelalter

wurde von Venedig und Genua entthront, die arabischen Händler verschwanden,
die Juden wurden auf den Geldhandel, und zwar auf dessen schlechtem Teil
zurückgedrängt.

In einem blieb die neue Form des Handels der vorhergehenden ähnlich:
Warenversendung durch Spedition und Reederei gab es nicht; der Kaufmann
mußte seine Ware selbst an Ort und Stelle bringen. Daraus nun und ans
der oben beschriebnen Entstehung des Handels ergaben sich mehrere Eigen¬
tümlich leiten. Zunächst, daß die Textilgcwerbe den Kapitalismus begründeten.
Da feines und schönes Tuch gar nicht anders als mit Hilfe von Geldkapital
hergestellt werden konnte, sanken die an seiner Anfertigung beteiligten Hans¬
industriellen und Handwerker: Spinner, Weber, Walker, Färber sehr bald zu
Arbeitern der kaufmännischen Unternehmer herab. Und das gab dann der
Politischen Entwicklung die Richtung. Die mächtigen Wollenzünfte gewannen
die Oberhand über die andern Zünfte der Kleinhandwerker, und in Florenz
z. B. verlief dann die Sache in der Art weiter, daß, als niederländische, fran¬
zösische und deutsche Konkurrenz die Macht der beiden Wollenzünfte schwächte,
die Seide Ersatz bot, deren Verarbeitung bis dahin das Monopol LnccaS
gewesen war, dann aber der Handel mit dem im Gewerbe erworbnen Gelde
das Rückgrat des Staates wurde und zuletzt ein Bankier die ganze Republik
in die Tasche steckte.

Eine andre Eigentümlichkeit war, daß die Notwendigkeit, die Warenzüge
selbst zu begleiten, das Bedürfnis eines Socius erzeugte. Gewöhnlich war
dieser ein Bruder oder ein Sohn. So bildeten sich Handelsgesellschaften, die
auf der Familie beruhten. Und solche Gesellschaften waren nun dem einzelnen
Kaufmann weit überlegen, ja sie allein waren den Aufgaben gewachsen, die
damals der Fernhandel stellte. Sehr bedeutende Geldmittel waren erforderlich,
alle die Schwierigkeiten des Transports zu überwinden, von denen der heutige
Kaufmann keine Ahnung mehr hat: da gab es unzählige Zölle zu entrichten,
Verluste durch Raub und Plünderung zu ertragen, bewaffnetes Geleite zu be¬
solden. An den verschiednen Zielpunkten des Handels mußten Faktoreien er¬
richtet, Agenten und Korrespondenten unterhalten werden. Der Leiter des
Geschäfts mußte über die gewerblichen Zustände und die Absatzverhältnisse,
über die politische Lage der entferntesten Gegenden genan unterrichtet sein (aus
den Kalifmailllskorrcspoildenzcn ist ja auch das Zeitungswesen hervorgegangen),
und er mußte die Tarife aller jener Zölle, sowie die Haudelsusanccu der Orte
^unen, mit denen er verkehrte. Sehr langlebig waren diese Gesellschaften und
Familienverbände nicht. Die Töchter der Begründer Heirateteil Adliche, und
die Enkel lebten selbst ritterlich und sorgten dafür, daß das von Vater und
Großvater aufgehäufte Geld nnter die Leute kam. Die Nachkommen einiger
solcher Familien sind, wie die Fugger, in den hohen Adel aufgestiegen, die
meisten aber haben sich im Volke verloren; die niedergehenden Familien wurden
von aufstrebenden und diese wieder von andern abgelöst. Aber jede von ihnen
hat sich, so lange sie blühte, hohe Verdienste erworben um den Völkerverkehr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/115>, abgerufen am 24.07.2024.