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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

funden ist, was Menschen überhaupt erfinden können, so würde Altenburg
nicht bloß den Skat, sondern mich den Pflug erfunden haben.

Es grünt und blüht ein reiches Leben an der Saale, Ilm und Unstrut,
aber für die großen Geschicke Deutschlands ist jahrhundertelang all dieses
Grünen und Buchen kaum in Betracht gekommen. Daher der Eindruck des
Zwecklosen, des ziellos Verlaufenden der Geschichte dieser Landschaften. Wenn
es ein Deutschland gegeben hätte, das auch der letzten Kleinstadt das Gefühl
Hütte erwecken können, daß sie zu einem großen Ganzen gehöre, wäre die Frage
berechtigt: Was hat ein Kasir, ein Saalfeld zu Deutschlands Wohle beige¬
tragen? Ich kaun mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses Zwecklose einer
mühseligen Kleingeschichte oft schon im Äußern mancher von diesen Städtchen
zum Vorschein kommt. Ich stieg den Südabhang des Thüringerwaldes hinab
und war enttäuscht über die Unscheinbarkeit der äußern Merkmale der Geschichte
eines so namhaften Ortes wie Schmalkalden. Ist das derselbe Ort, der in
der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle in dem entscheidendsten Augenblicke
gespielt hat? Man hat es nicht vergessen. Das Lutherhaus, heute eine Buch¬
handlung, das Melanchthonhaus, heute die Noseuapotheke, haben ihre Gedenk¬
tafeln, die allerdings etwas ärmlich und einsilbig sind. In der Hauptkirche, deren
verfallner Zustand dein christlichen Sinn der Schmalkaldner keine Ehre macht,
ist ein schlechtes Bild Luthers und ein Lutherstübcheu, wo der Reformator
gearbeitet hat; es ist bezeichnenderweise eine echte Gelehrtenzelle. Das Rathaus
ist unansehnlich, das Pfarrhaus war einst ein hübscher Fachwerkbau, der aber
jetzt vernachlässigt ist. Die übrigen Häuser der jetzt 7000 Einwohner zählende"
Stadt sind meist schlecht gehalten, die Gassen eng und schmutzig, und erst wenig
Neubauten zeigen an, daß die Stadt sich aus ihrer engen Zusmumendrängung
hinaus bergaufwärts ausbreiten will.

An ähnlichen und kleinern Städten Thüringens und Sachsens faud ich
oft noch am nuziehendsteu die enge Verbindung mit dem Lande, die jedenfalls
ein sozialer Charakterzug von Bedeutung ist. Man weiß oft uicht, ob das
städtische oder das ländliche Wesen überwiegt. Im vorigen Jahrhundert war
das noch mehr der Fall, und um die Umwelt der weimarischen Heroen zu
versteh", muß mau den Straßen Ilm-Athens Kühe und Schweine zur Staffage
geben. An das oberfrünkische Fichtelgebirgsstädtchen Wuusiedel schließen sich
ganze Straßen von aneinander gebauten Scheunen an, für die das zusammen¬
gedrängte Städtchen keinen Raum hat. Vielleicht hat auch die Rücksicht auf
die Feuersicherheit eine solche merkwürdige Absonderung lüudlicher Bauwerke
veranlaßt.

Wie man sieht, empfiehlt es sich nicht, immer nur Weimar zu nennen,
wenn man an die Bedeutung der kleinen Residenzstädte für die Entwicklung
des deutschen Volkes erinnern will. Mau hat zuviel von Weimar und seines¬
gleichen gesprochen und darüber die hundert andern vergessen, in denen, nn-
gewürmt und uubeleuchtet von der Sonue des Genies, das deutsche Bürger¬
tum verkümmert ist. Es ist wohl wahr, daß sich in den deutschen Mittel- und


Briefe eines Zurückgekehrten

funden ist, was Menschen überhaupt erfinden können, so würde Altenburg
nicht bloß den Skat, sondern mich den Pflug erfunden haben.

Es grünt und blüht ein reiches Leben an der Saale, Ilm und Unstrut,
aber für die großen Geschicke Deutschlands ist jahrhundertelang all dieses
Grünen und Buchen kaum in Betracht gekommen. Daher der Eindruck des
Zwecklosen, des ziellos Verlaufenden der Geschichte dieser Landschaften. Wenn
es ein Deutschland gegeben hätte, das auch der letzten Kleinstadt das Gefühl
Hütte erwecken können, daß sie zu einem großen Ganzen gehöre, wäre die Frage
berechtigt: Was hat ein Kasir, ein Saalfeld zu Deutschlands Wohle beige¬
tragen? Ich kaun mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses Zwecklose einer
mühseligen Kleingeschichte oft schon im Äußern mancher von diesen Städtchen
zum Vorschein kommt. Ich stieg den Südabhang des Thüringerwaldes hinab
und war enttäuscht über die Unscheinbarkeit der äußern Merkmale der Geschichte
eines so namhaften Ortes wie Schmalkalden. Ist das derselbe Ort, der in
der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle in dem entscheidendsten Augenblicke
gespielt hat? Man hat es nicht vergessen. Das Lutherhaus, heute eine Buch¬
handlung, das Melanchthonhaus, heute die Noseuapotheke, haben ihre Gedenk¬
tafeln, die allerdings etwas ärmlich und einsilbig sind. In der Hauptkirche, deren
verfallner Zustand dein christlichen Sinn der Schmalkaldner keine Ehre macht,
ist ein schlechtes Bild Luthers und ein Lutherstübcheu, wo der Reformator
gearbeitet hat; es ist bezeichnenderweise eine echte Gelehrtenzelle. Das Rathaus
ist unansehnlich, das Pfarrhaus war einst ein hübscher Fachwerkbau, der aber
jetzt vernachlässigt ist. Die übrigen Häuser der jetzt 7000 Einwohner zählende»
Stadt sind meist schlecht gehalten, die Gassen eng und schmutzig, und erst wenig
Neubauten zeigen an, daß die Stadt sich aus ihrer engen Zusmumendrängung
hinaus bergaufwärts ausbreiten will.

An ähnlichen und kleinern Städten Thüringens und Sachsens faud ich
oft noch am nuziehendsteu die enge Verbindung mit dem Lande, die jedenfalls
ein sozialer Charakterzug von Bedeutung ist. Man weiß oft uicht, ob das
städtische oder das ländliche Wesen überwiegt. Im vorigen Jahrhundert war
das noch mehr der Fall, und um die Umwelt der weimarischen Heroen zu
versteh», muß mau den Straßen Ilm-Athens Kühe und Schweine zur Staffage
geben. An das oberfrünkische Fichtelgebirgsstädtchen Wuusiedel schließen sich
ganze Straßen von aneinander gebauten Scheunen an, für die das zusammen¬
gedrängte Städtchen keinen Raum hat. Vielleicht hat auch die Rücksicht auf
die Feuersicherheit eine solche merkwürdige Absonderung lüudlicher Bauwerke
veranlaßt.

Wie man sieht, empfiehlt es sich nicht, immer nur Weimar zu nennen,
wenn man an die Bedeutung der kleinen Residenzstädte für die Entwicklung
des deutschen Volkes erinnern will. Mau hat zuviel von Weimar und seines¬
gleichen gesprochen und darüber die hundert andern vergessen, in denen, nn-
gewürmt und uubeleuchtet von der Sonue des Genies, das deutsche Bürger¬
tum verkümmert ist. Es ist wohl wahr, daß sich in den deutschen Mittel- und


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[0097] Briefe eines Zurückgekehrten funden ist, was Menschen überhaupt erfinden können, so würde Altenburg nicht bloß den Skat, sondern mich den Pflug erfunden haben. Es grünt und blüht ein reiches Leben an der Saale, Ilm und Unstrut, aber für die großen Geschicke Deutschlands ist jahrhundertelang all dieses Grünen und Buchen kaum in Betracht gekommen. Daher der Eindruck des Zwecklosen, des ziellos Verlaufenden der Geschichte dieser Landschaften. Wenn es ein Deutschland gegeben hätte, das auch der letzten Kleinstadt das Gefühl Hütte erwecken können, daß sie zu einem großen Ganzen gehöre, wäre die Frage berechtigt: Was hat ein Kasir, ein Saalfeld zu Deutschlands Wohle beige¬ tragen? Ich kaun mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses Zwecklose einer mühseligen Kleingeschichte oft schon im Äußern mancher von diesen Städtchen zum Vorschein kommt. Ich stieg den Südabhang des Thüringerwaldes hinab und war enttäuscht über die Unscheinbarkeit der äußern Merkmale der Geschichte eines so namhaften Ortes wie Schmalkalden. Ist das derselbe Ort, der in der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle in dem entscheidendsten Augenblicke gespielt hat? Man hat es nicht vergessen. Das Lutherhaus, heute eine Buch¬ handlung, das Melanchthonhaus, heute die Noseuapotheke, haben ihre Gedenk¬ tafeln, die allerdings etwas ärmlich und einsilbig sind. In der Hauptkirche, deren verfallner Zustand dein christlichen Sinn der Schmalkaldner keine Ehre macht, ist ein schlechtes Bild Luthers und ein Lutherstübcheu, wo der Reformator gearbeitet hat; es ist bezeichnenderweise eine echte Gelehrtenzelle. Das Rathaus ist unansehnlich, das Pfarrhaus war einst ein hübscher Fachwerkbau, der aber jetzt vernachlässigt ist. Die übrigen Häuser der jetzt 7000 Einwohner zählende» Stadt sind meist schlecht gehalten, die Gassen eng und schmutzig, und erst wenig Neubauten zeigen an, daß die Stadt sich aus ihrer engen Zusmumendrängung hinaus bergaufwärts ausbreiten will. An ähnlichen und kleinern Städten Thüringens und Sachsens faud ich oft noch am nuziehendsteu die enge Verbindung mit dem Lande, die jedenfalls ein sozialer Charakterzug von Bedeutung ist. Man weiß oft uicht, ob das städtische oder das ländliche Wesen überwiegt. Im vorigen Jahrhundert war das noch mehr der Fall, und um die Umwelt der weimarischen Heroen zu versteh», muß mau den Straßen Ilm-Athens Kühe und Schweine zur Staffage geben. An das oberfrünkische Fichtelgebirgsstädtchen Wuusiedel schließen sich ganze Straßen von aneinander gebauten Scheunen an, für die das zusammen¬ gedrängte Städtchen keinen Raum hat. Vielleicht hat auch die Rücksicht auf die Feuersicherheit eine solche merkwürdige Absonderung lüudlicher Bauwerke veranlaßt. Wie man sieht, empfiehlt es sich nicht, immer nur Weimar zu nennen, wenn man an die Bedeutung der kleinen Residenzstädte für die Entwicklung des deutschen Volkes erinnern will. Mau hat zuviel von Weimar und seines¬ gleichen gesprochen und darüber die hundert andern vergessen, in denen, nn- gewürmt und uubeleuchtet von der Sonue des Genies, das deutsche Bürger¬ tum verkümmert ist. Es ist wohl wahr, daß sich in den deutschen Mittel- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/97>, abgerufen am 26.06.2024.