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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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und -gewanderter Ernst II. legen. Ich ziehe den Trophäen von Eckernförde
und Abessinien den Blick in die fränkischen Gaue vor, der mir die echtere ge¬
schichtliche Lehre erteilt, daß der Burgenbau eine Periode in unserm Land der
einsamen Waldgebirge darstellt: er hat die Arbeit der Menschen, die vorher
nur den Fuß der Gebirge nmbrandete, auf die Gipfel geführt und so manche
von ihnen dauernd umgestaltet und bewohnbar gemacht.

Ich möchte noch an eine andre thüringische Residenzstadt erinnern. Von
Altenburg ist in der Welt viel weniger geredet worden lind ist noch heute
weniger die Rede als von Weimar, Eisenach und Gotha. Der Fremde schaut
sich an dem festen Schloß, das noch heute Residenz ist, das hohe Fenster an,
aus dem Kunz von Kausfungen mit unglaublicher Kühnheit die beiden sächsischen
Prinzen herausholte; er beachtet die baumreichen, freundlichen Straßen des
neuen und die engen mit kleinen Häusern umstauduen des alten Altenburg nud
entfernt sich in dein Bewußtsein, seine Kenntnis von den wichtigen Dingen dieser
Welt nicht wesentlich gefordert zu haben. Wer finden will, findet aber mich in
Altenburg, z. B. im Knustmusenin, eine schöne Sammlung alter Sieneseu und
Florentiner, darunter eine Perle, ein Fraueubildnis von Bottieelli; dann eine
Sammlung von neuern deutschen Bildern, die einmal für sich erfreulich und
dann weiter auch dadurch interessant ist, daß über ihre Vermehrung ein Aus¬
schuß kunstliebender Bürger beschließt, dem der Rektor des Gymnasiums, an¬
gesehene Ärzte u. dergl. angehören. Ein Geschichtschreiber der Zukunft wird
also darin ein clcxmmont duumin ersten Ranges für den durchschnittlichen Kunst¬
geschmack mittlerer Schichten unsers Zeitalters finden. Das ist ein Vorzug
dieser Sammlung vor großen, den Kunstlnuneu berühmter Direktoren unter-
worfnen Museen.

Es ist erfreulich zu sehen, daß das Skatspiel, das die berühmteste Er-
findung Altenburgs ist, den Geschmack für Höheres nicht ganz ertötet hat. Ein
deutsch-amerikanischer Bekannter, der als Arzt in einem fetten Landort wirkt,
wo noch die seltsame altenburger Bauerntracht getragen und die Hochzeit drei
Tage lange gefeiert wird, erzählte mir Schönes von dem geistigen Leben der
nahen "Hauptstadt," aber auch von der Abneigung der in der Mehrheit bäuer¬
lichen Volksvertretung, Geldopfer aus dem Staatssäckel für Bildungszwecke zu
bringen. Wer Studien über den Konservativismus einer bäuerlichen Bevölke¬
rung machen will, muß uach Altenburg gehn. Da ist nichts von der nur zu
geweckten Art der armen und unzufricdneu Arbeiterbevölkerung des "Waldes."
Ich bin überzeugt, wenn es auf die altenburgische Bevölkerung ankäme, wäre
weder die Buchdruckerkunst "och die Dampfmaschine erfunden worden, von der
Elektrizität gar nicht zu reden. Jedenfalls Hütte aber durch ihre Arbeit der
Teil der Weltgeschichte, der vou dunkeln Ackerbodenschvlleu, von schwer auf¬
stampfenden Rossen, von gefüllten Scheunen, von saurer Sämannsarbeit, von
Erntekränzen und vom frohen Tanz um die Dorflinde handelt, genau die Ge¬
stalt angenommen, die er heute hat, wenn auch nicht andre mitgewirkt hätten.
Und ich zweifle keinen Augenblick, wäre die Welt nicht so alt, daß alles er-


und -gewanderter Ernst II. legen. Ich ziehe den Trophäen von Eckernförde
und Abessinien den Blick in die fränkischen Gaue vor, der mir die echtere ge¬
schichtliche Lehre erteilt, daß der Burgenbau eine Periode in unserm Land der
einsamen Waldgebirge darstellt: er hat die Arbeit der Menschen, die vorher
nur den Fuß der Gebirge nmbrandete, auf die Gipfel geführt und so manche
von ihnen dauernd umgestaltet und bewohnbar gemacht.

Ich möchte noch an eine andre thüringische Residenzstadt erinnern. Von
Altenburg ist in der Welt viel weniger geredet worden lind ist noch heute
weniger die Rede als von Weimar, Eisenach und Gotha. Der Fremde schaut
sich an dem festen Schloß, das noch heute Residenz ist, das hohe Fenster an,
aus dem Kunz von Kausfungen mit unglaublicher Kühnheit die beiden sächsischen
Prinzen herausholte; er beachtet die baumreichen, freundlichen Straßen des
neuen und die engen mit kleinen Häusern umstauduen des alten Altenburg nud
entfernt sich in dein Bewußtsein, seine Kenntnis von den wichtigen Dingen dieser
Welt nicht wesentlich gefordert zu haben. Wer finden will, findet aber mich in
Altenburg, z. B. im Knustmusenin, eine schöne Sammlung alter Sieneseu und
Florentiner, darunter eine Perle, ein Fraueubildnis von Bottieelli; dann eine
Sammlung von neuern deutschen Bildern, die einmal für sich erfreulich und
dann weiter auch dadurch interessant ist, daß über ihre Vermehrung ein Aus¬
schuß kunstliebender Bürger beschließt, dem der Rektor des Gymnasiums, an¬
gesehene Ärzte u. dergl. angehören. Ein Geschichtschreiber der Zukunft wird
also darin ein clcxmmont duumin ersten Ranges für den durchschnittlichen Kunst¬
geschmack mittlerer Schichten unsers Zeitalters finden. Das ist ein Vorzug
dieser Sammlung vor großen, den Kunstlnuneu berühmter Direktoren unter-
worfnen Museen.

Es ist erfreulich zu sehen, daß das Skatspiel, das die berühmteste Er-
findung Altenburgs ist, den Geschmack für Höheres nicht ganz ertötet hat. Ein
deutsch-amerikanischer Bekannter, der als Arzt in einem fetten Landort wirkt,
wo noch die seltsame altenburger Bauerntracht getragen und die Hochzeit drei
Tage lange gefeiert wird, erzählte mir Schönes von dem geistigen Leben der
nahen „Hauptstadt," aber auch von der Abneigung der in der Mehrheit bäuer¬
lichen Volksvertretung, Geldopfer aus dem Staatssäckel für Bildungszwecke zu
bringen. Wer Studien über den Konservativismus einer bäuerlichen Bevölke¬
rung machen will, muß uach Altenburg gehn. Da ist nichts von der nur zu
geweckten Art der armen und unzufricdneu Arbeiterbevölkerung des „Waldes."
Ich bin überzeugt, wenn es auf die altenburgische Bevölkerung ankäme, wäre
weder die Buchdruckerkunst »och die Dampfmaschine erfunden worden, von der
Elektrizität gar nicht zu reden. Jedenfalls Hütte aber durch ihre Arbeit der
Teil der Weltgeschichte, der vou dunkeln Ackerbodenschvlleu, von schwer auf¬
stampfenden Rossen, von gefüllten Scheunen, von saurer Sämannsarbeit, von
Erntekränzen und vom frohen Tanz um die Dorflinde handelt, genau die Ge¬
stalt angenommen, die er heute hat, wenn auch nicht andre mitgewirkt hätten.
Und ich zweifle keinen Augenblick, wäre die Welt nicht so alt, daß alles er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/96>, abgerufen am 26.06.2024.